Die Drittliga-Handballfrauen des SV Henstedt-Ulzburg verspielen beim SV Grün-Weiss Schwerin einen schon sicher geglaubten Sieg.

Volker Paul, der Trainer der Drittliga-Handballfrauen des SV Henstedt-Ulzburg, ist ein Freund klarer Worte. Entsprechend unmissverständlich fiel sein Statement nach der 26:27 (13:14)-Auswärtspleite des SVHU beim SV Grün-Weiss Schwerin aus. "Wir waren einfach zu dusselig", sagte er.

Noch in der 53. Minute hatte nichts auf eine Niederlage hingedeutet. Paul: "Wir waren bis zu diesem Zeitpunkt die bessere Mannschaft." Dann aber schlossen die Gäste ohne Not viermal aus schlechtem Winkel von der Linksaußenposition ab und gaben so ihren scheinbar komfortablen 26:23-Vorsprung leichtfertig aus der Hand.

Doch was passiert eigentlich hinter den Kulissen eines Drittliga-Spiels? Unsere Praktikantin Lea Steinfels hat die Mannschaft auf der Auswärtsfahrt begleitet und schildert ihre Eindrücke.

Schweigen. Eisiges Schweigen. Als sich der SV Henstedt-Ulzburg um 18.45 Uhr auf die Heimfahrt macht, fällt kein Wort. Zu sehr nagt die völlig überflüssige Niederlage an allen Beteiligten.

Besser wird die Stimmung erst fünf Minuten später; Uwe Arent, grundsätzlich ein fröhlicher Geselle, aber sehr streng, wenn es um die Sauberkeit in "seinem" Bus geht, parkt das Fahrzeug am Straßenrand, um dem Team einen schnellen Imbiss zu ermöglichen. Tina Pejic und Janicke Bielfeldt holen die Marschverpflegung aus dem Kofferraum. Es gibt Nudelsalat, Frikadellen und Chicken Nuggets der Schlachterei Nowatzki. Alle langen kräftig zu - Frust-Essen!

Anschließend ist zunächst jeder wieder mit sich selbst und dem Match beschäftigt. Dann bricht es aus Mirlinda Hani heraus: "Warum musste das so kurz vor Schluss passieren? Das kann doch nicht wahr sein!", ruft sie stellvertretend für den Rest des Teams in die Runde.

Hani hatte zwar das 26. und damit letzte Tor für den SVHU erzielt, anschließend aber mit drei überhasteten Würfen von der Linksaußenposition den schon am Boden liegenden Gegner wieder aufgebaut. Danach scheiterte zu allem Überfluss die sonst so zuverlässige Rabea Dieckmann mit ihrem Versuch aus spitzem Winkel. Dieckmann ist lange nach dem Schlusspfiff auch noch aus einem anderen Grund genervt: "Es gab nur zwei Duschen für uns, und die waren eklig."

Zu Beginn der Fahrt bekommt Busfahrer Uwe Arent Applaus

Auf der Hinfahrt hatten sie und ihre Teamkolleginnen deutlich bessere Laune gehabt. Als Uwe Arent die Mannschaft um 12.30 Uhr an der Sporthalle Maurepasstraße einsammelt, lässt er sofort einen flotten Spruch los: "Es ist ja wohl klar, dass ich Euch nur wieder mit nach Hause nehme, wenn Ihr das Ding auch gewinnt", sagt der Busfahrer und erntet viele Lacher sowie Applaus aus den hinteren Sitzreihen.

Der Trip in die Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern ist gerade erst 15 Minuten alt, da machen Fred-Ferkel-Fruchtgummis die Runde. Die Süßigkeit im Schweinchen-Look ist bei den Spielerinnen heiß begehrt und wird gnadenlos vernichtet. Trainer Volker Paul und Teammanager Lukas David gehen beim Verteilen leer aus; sie sitzen ganz vorn, also am Ende der Nahrungskette.

Jetzt wäre ein Videofilm zum Zeitvertreib genau das Richtige. Das Problem: Jennifer Knust, die normalerweise für das Unterhaltungsprogramm verantwortlich ist, befindet sich nicht an Bord. Die Torfrau, Goalgetterin Bente Maassen sowie Außen Nina Schilk reisen privat an.

Als Alternative zum Fernsehen bietet sich eine von Mirlinda Hani zusammengestellte CD an - ihr Musikgeschmack stößt allerdings nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Dem Busfahrer ist dies egal: Er dreht die Anlage auf, dass die Lautsprecher dröhnen. Zeitweilig erfolgt die Verständigung untereinander deshalb nur per SMS.

14.35 Uhr. Der SV Henstedt-Ulzburg ist ungewöhnlich früh am Ziel, Spielbeginn in der Reiferbahnhalle ist erst zwei Stunden später. Der Trainer ordnet einen 20-minütigen Spaziergang an. Seine Schützlinge sollen ein wenig frische Luft schnappen und ihren Kreislauf in Schwung bringen.

Eine Stunde vor dem Anpfiff beginnt die heiße Phase

Die heiße Phase der Vorbereitung auf das Match beginnt um 15.45 Uhr. Jetzt ist Physiotherapeutin Anika Humburg gefordert. Wer möchte, lässt sich von ihr mit einem oder mehreren Kinesio-Tape-Streifen verarzten. Das luft- und wasserdurchlässige Baumwollgewebe soll lädierte Muskelpartien stabilisieren und die Durchblutung fördern. Die Torfrauen Christiane Sacher und Jennifer Knust starten derweil mit ihrem Aufwärmprogramm. Der Rest der Mannschaft zuckelt nach und nach aufs Spielfeld und schließt sich ihnen an.

Noch acht Minuten bis zum Anpfiff. Volker Paul trommelt seinen Kader zusammen und bittet zur Taktikbesprechung in die Kabine. Allen ist klar: Das wird kein leichter Gang. Die Schwerinerinnen, die seit Mitte Dezember von Lutz Gau trainiert werden und die letzten vier Spiele gewonnen haben, sind ein unberechenbarer Gegner.

Es geht los. Der Hallensprecher stellt zunächst das SVHU-Team vor, nach dem Einlaufen dann auch die Gastgeberinnen. Der SV Grün-Weiss Schwerin erwischt, angetrieben von seinen lautstarken Fans, den besseren Start und führt nach zwei Minuten mit 3:1. Doch die Henstedt-Ulzburgerinnen lassen sich nicht beirren. Auch diejenigen, die gerade auf der Auswechselbank sitzen, fiebern intensiv mit, beklatschen jede gelungene Aktion, feuern an.

Der SVHU gewinnt die erste Halbzeit mit 14:13 - das lässt für den weiteren Spielverlauf hoffen. Und auch nach der Pause läuft zunächst alles wie geschmiert: Bente Maassen erzielt nach 46:39 Minuten mit ihrem fünften Tor das 21:17, die Weichen stehen auf Sieg.

Mit dem 26:23 haben die Gäste ihr Pulver verschossen

Auch nach 52:30 Minuten gibt es noch keinen Grund zur Besorgnis. Mirlinda Hani macht das 26:23. Was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnt: Die Gäste haben damit ihr Pulver verschossen. Zunächst verhängen die Schiedsrichter Steven Heine und Sascha Standke (Braunschweig/Friedland) wegen Trikotzerrens die zweite Zeitstrafe gegen Bente Maassen. Und in Unterzahl geht alles schief. Im Angriff der Henstedt-Ulzburgerinnen macht sich Hektik breit, Keeperin Jennifer Knust muss zweimal hinter sich greifen. Vivien Bartlau bringt Schwerin mit zwei Treffern auf 25:26 heran - die Partie ist nach 55:40 Minuten wieder völlig offen.

Trainer Paul versucht alles, um den immer stärker werdenden Gegner aus dem Rhythmus zu bringen, nimmt nach 56:20 Minuten ein Team-Timeout - ohne Erfolg! Stefanie Laas (57:44) und Vivien Erdmann (58:33) drehen mit ihren Toren die gesamte Begegnung, der SVHU-Tross ist fassungslos.

Als einer der Ersten findet der Coach die Sprache wieder. Volker Paul wahrt die Fassung, spendet trotz des bitteren Endes Trost und macht Mut für die kommenden Aufgaben. "Das war eine Drittliga-Partie auf sehr hohem Niveau. Wir haben 55 Minuten lang fast alles richtig gemacht, uns in der Schlussphase aber Fehler geleistet, die es künftig abzustellen gilt."

Am kommenden Sonnabend geht's zum Frankfurter HC II

Möglichst schon am kommenden Sonnabend. Denn dann müssen er und seine Mannschaft beim Tabellen-Schlusslicht HC Frankfurt II antreten. So richtig ernsthaft beschäftigt sich indes niemand mit der nächsten Partie, als der Bus um 21.09 Uhr in Henstedt-Ulzburg zum Ausladen hält.

Sabrina Wrage, die wegen einer Sehnenscheidenentzündung momentan Handballverbot hat, aber als Fan mitgefahren ist, spricht ihren Teamkolleginnen aus der Seele: "Ich will jetzt möglichst schnell in mein Bett!"

SV Grün-Weiss Schwerin - SV Henstedt-Ulzburg 27:26 (13:14).

Spielverlauf: 1:0 (1.), 3:1 (2.), 4:4 (8.), 6:6 (12.), 7:7 (14.), 7:9 (17.), 9:11 (22.), 11:13 (24.), 13:14 (30.) - 15:14 (31.), 17:17 (36.), 17:21 (40.), 19:23 (46.), 22:25 (51.), 23:26 (52.), 26:26 (57.), 27:26 (58.).

Tore des SV Henstedt-Ulzburg: Bente Maassen (6/davon 2 Siebenmeter), Tina Pejic (5/1)), Rabea Dieckmann (5/2), Ann-Kathrin Skubich (3), Laura Neu (3/1), Mirlinda Hani (2), Janicke Bielfeldt, Inga Schlegel (beide 1).

Tabelle: 1. HC Leipzig II (22:4 Punkte/395:317 Tore), 2. HC Rödertal (22:4/433:329), 3. Buxtehuder SV II (18:8/406:370), 4. TSV Owschlag (16:10/406:364), 5. TSG Wismar (16:12/414:410), 6. SV Grün-Weiss Schwerin (16:14/439:411), 7. SHV Oschatz (15:11/362:350), 8. SV Henstedt-Ulzburg (14:14/362:350), 9. MTV 1860 Altlandsberg (13:15/387:407),10. Berliner TSC (9:19/336:377), 11. Rostocker HC (8:20/347:423), 12. HC Sachsen Neustadt-Sebnitz (5:23/300:398), 13. Frankfurter HC II (4:24/345:426).