Der querschnittsgelähmte Handbike-Fahrer aus Kaltenkirchen hofft auf mehr Chancengleichheit und Strukturreformen im Behindertensport.

Kaltenkirchen. Nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf. Wenn Torben Bröer über die unlängst beendeten Paralympics 2012, also die Olympischen Spiele für Sportler mit Behinderung in London, spricht, wird schnell deutlich, in welch rasantem Tempo sich der Behindertensport entwickelt hat und weiterentwickeln wird.

Der 42 Jahre alte Kaltenkirchener weiß genau, wovon er redet. Schließlich ging er 2008 in Peking noch selbst an den Start: Der vierte Platz mit dem Handbike im 12 700-Meter-Zeitfahren war ein tolles, vorerst aber einmaliges Erlebnis für den gelernten Werkzeugmacher, der seit seinem Unfall bei einem Animationsspiel im Türkei-Urlaub 2005 querschnittgelähmt ist.

Direkt nach Peking hatte sich Bröer die Teilnahme an den Paralympics in der britischen Metropole zum Ziel gesetzt. Doch als die Nominierung anstand, waren andere Sportler schlicht schneller als er. "Mit meiner Zeit aus Peking wäre ich heute nicht einmal mehr kaderfähig", sagt Bröer.

Zwar gehört er weiterhin zu den Top zehn der Welt. Doch die Startplätze für deutsche Aktive sind rar und müssen ferner unter mehreren Disziplinen aufgeteilt werden. "Das reicht nicht mehr, um sich zu qualifizieren. Schließlich gibt es für Fahrrad und Handbike zusammen nur neun Tickets."

Also saß Bröer wie weltweit Millionen Fans vor dem Fernseher und ließ sich möglichst keine Übertragung entgehen. Sein Blick war gleichwohl deutlich kritischer. Und dies hat verschiedene Gründe.

Der Behindertensport ist nicht nur oftmals spektakulär, sondern kann auch sehr kompliziert sein. Hintergrund ist, dass jede Behinderung bis zu einem gewissen Grad einzigartig ist. Die Klassifizierungen sind daher nicht perfekt und je nach Sichtweise auch nicht immer fair. "Was heißt schon gerecht?", fragt Torben Bröer.

Eine zufriedenstellende Antwort gibt es allerdings nicht. Er führt ein Beispiel an dafür, wie schwierig es ist, tatsächlich eine absolute Chancengleichheit zu gewährleisten: "Die deutsche Silbermedaillengewinnerin im Rad-Straßenrennen, Denise Schindler, ist knapp über dem Knie amputiert, ihre Gegnerinnen hatten aber jeweils nur ein Bein. Das macht schon etwas aus. Und da gibt es eine einfache Möglichkeit: Man nimmt ein Pedal heraus. Damit wäre es wieder gerecht."

Teilweise sei es so, dass Sportler mit ihrem Fahrrad zusammen so viel wiegen würden wie manche Konkurrenten ohne Fahrrad. "Man sollte ein Mindestgewicht wie beispielsweise beim Motorsport einführen. Das würde ich fair finden", schlägt Bröer vor.

Wenig hilfreich wäre es seiner Meinung nach, die im Vergleich zu den Olympischen Spielen ohnehin schon deutlich höhere Zahl von Wettkämpfen - 503 in 20 Sportarten gegenüber 302 in 26 Sportarten - noch weiter aufzublähen. "Es kann nicht für jede einzelne Behinderung eine neue Klasse aufgemacht werden. Sonst sind die Goldmedaillen nicht mehr viel wert." Und dass eine Inflation an Siegerehrungen auch nicht unbedingt publikumsfreundlich ist, versteht sich von selbst.

Eines ist klar: Der Leistungssport auch von behinderten Athleten ist längst hochprofessionell und bedient sich moderner Technik. Ein Beispiel ist der Material-Wettlauf. Um etwa ein Fahrrad für deutsche Teilnehmer an den Paralympics zu konzipieren, sind nach Torben Bröers Erfahrung mindestens zwei Monate intensiver Entwicklung mit spezialisierten Ingenieuren nötig. Und direkt vor Wettkämpfen könne es durchaus sechs Tage und sechs Nächte dauern, bis die Maschine fit für das Rennen ist.

Die Kosten übersteigen dann leicht 10 000 Euro. Athleten im Nationalkader erhalten jährlich Fördermittel - insgesamt sind im Haushalt des zuständigen Bundesinnenministeriums über fünf Millionen Euro hierfür reserviert. Diese werden allerdings alle zwölf Monate neu evaluiert.

Doch Geld ist nicht alles. Torben Bröer hofft auf eine strukturelle Reform. "Der Sport wird immer professioneller, aber die Trainer in Deutschland kommen nicht mehr hinterher. In Zukunft müssen die Trainer mit den gestiegenen Anforderungen wachsen." Er benennt die vorherrschende Trennung zwischen Behindertensportlern und "Fußgängern" als Problem. "In England ist es erfreulich, dass es jeweils nur einen Nationaltrainer gibt, der auch den Behindertenkader betreut."

Auf jeden Fall hat Torben Bröer seine Olympia-Karriere noch nicht beendet. "Mit einer anderen Führung im deutschen Radsport wäre Rio 2016 eine interessante Option für mich."