Norderstedt. Veranstaltung an KZ-Gedenkstätte Wittmoor. Und: Wie Norderstedts Schulen dem Thema begegnen und welche Konflikte es gibt.

Norderstedt will am heute ein klares Zeichen gegen Antisemitismus, gegen die Gewalt und für eine lebendige Erinnerungsarbeit setzen. Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und Ayala Nagel, Vorsitzende des Norderstedter Vereins Chaverim – Freundschaft mit Israel, rufen die Bürger zur Teilnahme am Gedenktag für die Reichspogromnacht am Donnerstag, 9. November, auf. Um 15 Uhr beginnt eine Gedenkfeier mit Kranzniederlegungen an der KZ-Gedenkstätte Wittmoor am Fuchsmoorweg in Norderstedt. Die Gedenkfeier ist öffentlich.

Die Reichspogromnacht, in der etliche Synagogen in Deutschland in Flammen aufgingen, liegt nun 85 Jahre zurück. Das Pogromgedenken geschieht vor dem Hintergrund des Nahostkonfliktes. Antisemitismus und Judenfeindlichkeit verbreiten sich stärker denn je, umso wichtiger ist es, dagegen anzugehen und die lebendige Erinnerungskultur von den vielen Fragen rund um den Konflikt in Gaza zu trennen.

Viele nehmen dabei besonders die junge Generation in den Fokus und sehen die Schulen in der Pflicht, das Thema aufzugreifen. Denn natürlich ist der Nahostkonflikt dort längst angekommen. Eltern berichten von Auseinandersetzungen auf den Schulhöfen zwischen Kindern und Jugendlichen, die sich „Pro Israel“ oder „Pro Palästina“ aussprechen.

Nahostkonflikt: Wie Schulen im Kreis Segeberg aufklären und gedenken

Kai Vogel, Schulleiter der Willy-Brandt-Schule in Norderstedt, hat in der vergangenen Woche eine Dienstversammlung einberufen. Gemeinsam mit seinem Kollegium diskutierte er darüber, wie die Schule mit rassistischen Vorfällen und Konflikten unter Schülern umgehen sollte. „Wir haben uns entschieden, sehr konsequent zu reagieren“, sagt Vogel. Im schlimmsten Fall würde er die Polizei informieren müssen oder das Kind der Schule verweisen.

Glücklicherweise passiere derzeit aber „extrem wenig“. Vogel berichtet von einem Schüler, der lautstark für Palästina skandiert habe. Mit dem Jungen sei gesprochen worden. An die 300 Kinder und Jugendliche an der Willy-Brandt-Schule sind Muslime, schätzt der Schulleiter. Von den insgesamt 800 Schülerinnen und Schülern seien vielleicht drei Juden.

Norderstedt: Willy-Brandt-Schule schreibt Elternbrief

Zwar gibt es zur Reichspogromnacht keine Gedenkveranstaltung. Aber im Unterricht arbeiten die Lehrkräfte mit den Kindern den Nahostkonflikt auf, so wie es für jede Klassenstufe angemessen ist. In der 5. Klasse geht es vor allem um das Thema Toleranz, in der Oberstufe um das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland. Ziel ist es, die Schüler aufzuklären und zu sensibilisieren. Auch die Eltern haben einen Brief nach Hause bekommen. „Werte wie Respekt, Gleichheit und Zusammenhalt sind uns wichtig. Wenn sich jemand rassistisch oder antisemitisch verhält, wird die Schule tätig“, sagt Vogel.

Die Schülerinnen und Schüler des Norderstedter Coppernicus-Gymnasiums haben auch in den vergangenen Jahren schon die KZ-Gedenkstätte Neuengamme besucht. Jedes Jahr zur Reichspogromnacht lädt ein Lehrer die Kinder ein, sich mit ihm die Stolpersteine in Hamburg anzusehen. In diesem Jahr wird es zudem Aushänge im Schulgebäude geben.

Coppernicus-Gymnasium: Schüler leben wieder stärker Religion aus

Schulleiterin Heike Schlesselmann, die auch das Fach Religion unterrichtet, spricht mit den Jugendlichen derzeit verstärkt über den Nahostkonflikt. „Wir möchten ins Gespräch kommen“, sagt sie. Doch gerade muslimische Schüler, von denen es 130 am Gymnasium gibt, würden sich oft nicht trauen, sich zu äußern. „Das finde ich schade.“

Schlesselmann sagt, es gebe keinen Streit zwischen „Pro Israel“- und „Pro Palästina“-Anhängern an ihrer Schule. Aber einige Lehrkräfte würden sich schon Gedanken machen über gewisse „Tendenzen“ unter den Jugendlichen. Allgemein stellt die Schuldirektorin fest, dass die Kinder wieder verstärkt ihre Religion ausleben. „Es tragen wieder mehr Kopftuch oder suchen sich Orte, an denen sie beten können.“

„In Schulen darf es keinen Platz für Antisemitismus geben“

An der Gemeinschaftsschule Schule im Alsterland in Nahe gibt es „glücklicherweise keine Konflikte in der Schülerschaft, die auf den Israel-Palästina-Konflikt zurückzuführen wären“, so Rektor Simon Franke. Der 9. November werde natürlich im Rahmen des Weltkunde/Geschichtsunterricht thematisiert, allerdings habe man sich dagegen entschieden, das Thema außerordentlich beziehungsweise jahrgangsübergreifend zu behandeln.

Am Lise-Meitner-Gymnasium haben die Lehrkräfte bereits vor den Herbstferien die Gespräche mit den Klassen gesucht und über die aktuelle Lage informiert. „In Schulen darf es keinen Platz für Antisemitismus oder für Hass geben“, heißt es in einem Brief an die Eltern. „Deshalb stehen wir als Schulgemeinschaft mit Einfühlungsvermögen und Entschlossenheit für den freien Meinungsaustausch und leben unser gemeinsames Werteverständnis.“

Bildungsministerin fordert, mit Schülern ins Gespräch zu kommen

Bildungsministerin Karin Prien hat die Schulen in Schleswig-Holstein unmittelbar nach Kriegsausbruch in einem Rundbrief gebeten, verstärkt auf das Thema Antisemitismus im Unterricht einzugehen. „Die Lehrerinnen und Lehrer sind besonders gefordert, auf die aktuelle Weltlage einzugehen. Der Nahostkonflikt und Antisemitismus werden in Schule und Unterricht zu einem Thema von Bedeutung. Es ist wichtig, mit den Schülerinnen und Schülern dazu ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben. Denn Kinder und Jugendliche sind durch die sozialen Medien oft Fake-News und Propaganda ausgesetzt“, so die Ministerin.

Aus diesem Grund habe das Bildungsministerium umfangreiches Material, Quellen und unterstützende Angebote zum Konflikt in Nahost und zum Antisemitismus zusammengestellt und ein digitales Forum für Lehrkräfte eingerichtet, in dem sich Lehrerinnen und Lehrer von Experten beraten lassen können. Karin Prien: „Schulen sind Orte der Bildung und Erziehung. Und es sind gerade die Schulen, die beispielhaft Orte für historisch-politische Bildung, für Werteerziehung zu Toleranz, für ein demokratisches Miteinander und Empathie sind und weiter sein müssen.“

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Sicherheitsbeauftragter der Jüdischen Gemeinde: „Aufklärung an Schulen zu gering“

Torben Miehle freut sich über die Bemühungen der Bildungsministerin. Trotzdem findet er, dass in den Schulen viel zu wenig über Antisemitismus gesprochen wird. „Meine Tochter besucht jetzt die 9. Klasse. Die Aufklärung, was damals passiert ist, ist sehr gering“, sagt der Sicherheitsbeauftragte der Jüdischen Gemeinde in Bad Segeberg.

In der Synagoge, der einzigen im Kreis Segeberg, berichtet er Schulklassen regelmäßig vom alten und neuen jüdischen Leben. „Dabei bemerke ich immer wieder, dass die Kinder überhaupt nicht aufgeklärt sind“, sagt er. Das sei aber enorm wichtig. Schließlich werde Judenhass offen auf der Straße ausgelebt. Juden, die eine Kippa tragen, hätten sich auch schon vor dem erneuten Ausbruch des Nahostkrieges komische Blicke oder Anfeindungen gefallen lassen müssen.