Norderstedt. Nahbar und Que mussten schließen, andere Clubs haben schwer zu kämpfen. Woran das liegt und was sich ändern müsste.

Die „Nahbar“ in Nahe hat es getroffen, das „Que“ in Bad Segeberg auch. Mit dem „Apollo“ in Elmshorn schloss eine weitere Institution des ländlichen Nachtlebens. In der Region greift das Clubsterben um sich – wie ein spätes Nachbeben der Corona-Pandemie. Andere Clubs, wie das „Joy“ in Henstedt-Ulzburg, halten sich über Wasser – aber auch sie haben zu kämpfen.

„Seit April 2023 laufen die Geschäfte nicht mehr gut. Meine Motivation hat in den letzten Monaten schon sehr gelitten, diesen Kampf weiterzuführen“, sagt Joey Claussen, Geschäftsführer des „Joy“. Dabei habe es, nach 19 Monaten Schließung während der Corona-Pandemie, eigentlich wieder gut ausgesehen: „Es gab einen Run auf die Clubs, denn die Leute hatten einen großen Nachholbedarf. 2022 war der beste Sommer unserer Geschichte“, so Claussen.

Kreis Segeberg: Landdiscos in Not – Stirbt das Nachtleben in der Region?

Nina Graf, Netzwerkkoordinatorin Pop in SH und als Musikerin bekannt als „Miu“.
Nina Graf, Netzwerkkoordinatorin Pop in SH und als Musikerin bekannt als „Miu“. © Elena Zaucke

Doch dann habe sich das Blatt langsam gewendet. Die Clubszene ist mittlerweile in einer schwierigen Lage – landesweit. Das bestätigt Nina Graf, Netzwerkkoordinatorin Pop des Landesmusikrates Schleswig-Holstein. „Man kann davon sprechen, dass mehr Clubs schließen als öffnen, dass ein Rückgang zu verzeichnen ist“, sagt die Norderstedterin, die als Musikerin unter ihrem Künstlernamen „Miu“ bekannt ist.

Als Gründe führt Nina Graf „Nachwirkungen der Corona-Krise, gestiegene Kosten für Energie und Personal sowie die Inflation“ an. Außerdem lasse sich „das Publikum schwerer als vor Corona zu Konzerten und Co bewegen“.

Teufelskreis: Jugendliche haben weniger Geld, Discos müssen die Preise erhöhen

Eine Party im „Joy“.
Eine Party im „Joy“. © dpa | Markus Scholz

Joey Claussen bestätigt das: „Ein Hauptgrund ist die Inflation. Die Leute haben einfach weniger Kaufkraft, und wir haben höhere Kosten. Ein Beispiel ist unsere Stromnachzahlung für 2022, die war gigantisch. Für uns war es unvermeidbar, jetzt ein bisschen die Preise zu erhöhen, etwa an der Garderobe. Aber wenn die Jugendlichen weniger im Portemonnaie haben, ist das natürlich ein Teufelskreis.“

Aber Claussen sieht auch einen kulturellen Wandel, der sich durch die Corona-Zeit noch verstärkt habe. Und der sei ein Problem für die Discos. Claussen: „Die Jugend heutzutage ist sehr stark digital unterwegs, sehr aktiv in den sozialen Medien. Das führt dazu, dass die Anforderungen an Clubs immer größer werden, dass zum Beispiel Shows erwartet werden, weil man ja alles im Netz vergleicht. Zum anderen sorgt es dafür, dass manche Jugendliche gar nicht mehr oder kaum noch ausgehen.“

Ausgehen nicht mehr nötig? Wie das Internet das Flirten verändert hat

Ein wesentlicher Punkt, der sich durch das Internet verändert habe, sei „das Flirten“, so Claussen. Das sei nämlich heute auch über einschlägige Apps wie „Tinder“ möglich. „Manche bleiben da gleich zu Hause und sparen den Eintritt in die Disco, weil sie sich denken, sie haben ja vor einem halben Jahr tolle Bilder hochgeladen und können damit auch ganz einfach ein Date bekommen“, so Claussen.

Nicht mehr viel los mit der Jugend, also? Auf der anderen Seite scheint es immer noch viele junge Menschen zu geben, die auf dem Land leben und ausgehen möchten – in ihrem Umkreis. Nur: angesichts der ausgedünnten Clubszene finden sie oft gar nicht, was sie suchen.

Meret Stahl, 20: „Wenn man bei uns feiern will, ist es kompliziert“

Wünscht sich mehr Angebote in und um Bad Segeberg: Meret Stahl (20) aus Groß Rönnau.
Wünscht sich mehr Angebote in und um Bad Segeberg: Meret Stahl (20) aus Groß Rönnau. © Privat

Meret Stahl (20) lebt derzeit noch bei ihren Eltern in Groß Rönnau bei Bad Segeberg. Und sie sagt: „Wenn man bei uns feiern gehen möchte, ist das kompliziert. Früher hatten wir das ,Que’. Jetzt muss man in eine Bar gehen, oder man bleibt gleich zu Hause. Oder man muss nach Hamburg oder Neumünster fahren.“

Meret beklagt, dass „generell die Räume für Jugendliche fehlen“. Die würden dann einfach in der Stadt herumlaufen, laute Musik hören, Alkohol trinken – was nicht selten die Anwohner störe. Sie selbst wird nun ein Studium in Flensburg beginnen. Aber für die Gegend, in der sie aufgewachsen ist, wünsche sie sich wieder mehr Angebote für Jugendliche.

Mia Bock (19): „Wir feiern privat oder fahren nach Hamburg auf den Kiez“

Ähnlich geht es Mia Bock. Die 19-Jährige lebt in Henstedt-Ulzburg. Dort gibt es zwar das „Joy“, aber das stand bei ihr „eher mit 16 im Vordergrund“. Mittlerweile feiere sie mit ihren Freunden privat, „oder wir fahren auf den Kiez nach Hamburg“. Da sitze man zwar pro Richtung eine Stunde in der Bahn, „aber das ist dann eben so“.

In jedem Fall, so sagt sie, gebe es in ihrer Generation durchaus noch ein großes Bedürfnis, in Clubs und Discos zu gehen. „Während der Corona-Zeit hatte man das Gefühl, die Zeit ist stehen geblieben. Man hat sie nicht bewusst gelebt, man fühlt sich zwei Jahre jünger. Deshalb hat man jetzt das Gefühl, dass man viel nachholen muss, dass man es ausnutzen sollte, jung zu sein.“

Ein Ausgehbedürfnis auf der einen Seite – Landdiscos mit Problemen auf der anderen. Angebot und Nachfrage finden teilweise offenbar nicht zusammen. Auf der anderen Seite gibt es Orte, die nach wie vor leidlich gut funktionieren – und zwar als ganz klassische „Dorfdisco“ für alle.

Wolters Gasthof in Weddelbrook: Party für alle, von 18 bis über 60

Eine Party in „Wolters Gasthof von 1787
Eine Party in „Wolters Gasthof von 1787" in Weddelbrook. © Nicolai Hoss

Ein Beispiel ist „Wolters Gasthof von 1878“ in Weddelbrook, einer Gemeinde bei Bad Bramstedt. Das Lokal bietet an normalen Tagen „rustikal deutsche Küche“ an, verwandelt sich aber alle paar Wochen in eine Disco, in der eine breite Musikpalette von aktuellen Hits über 80er- und 90er-Jahre-Pop bis Schlager geboten wird.

Ebenso breit gefächert ist das Publikum, das hier oft bis in die frühen Morgenstunden feiert: „Von 18 bis Ü 60“, sagt Inhaber Heiner Wolters. „Teilweise kommen Eltern mit ihren Kindern.“ Wolters organisiert diese Partys schon seit 1971, mittlerweile wird der 71-Jährige dabei von seiner 22-jährigen Tochter Antonia unterstützt.

„Manche überlegen sich zweimal, ob sie ausgehen“, sagt auch Heiner Wolters

Nach wie vor kämen „600 bis 700 Leute“ zu den Party-Abenden, eine „Veränderung“ stellt aber auch Wolters fest. Das Geld sitze einfach im Moment bei vielen nicht so locker, manche „überlegen sich zweimal, ob sie ausgehen“. Denn die Partys im Gasthof kosten zehn Euro Eintritt, „und wir mussten die Getränkepreise leider anpassen“.

Wolters’ Strategie, um an Party-Abenden kein Minus einzufahren: Die Feiern im Gasthof finden nur unregelmäßig statt – dann, wenn es nicht zeitgleich eine Scheunenfete oder ein Feuerwehrfest gibt. Außerdem hält Wolters mit besonderen Aktionen gegen den Trend: „Bei uns gibt es zum Beispiel die Ladies’ Night, mit freien Getränken für die Damen. Ohne so etwas geht’s nicht, sonst schläft das Ganze ein.“

Wie Joey Claussens Firma Verluste im „Joy“ kompensiert

Joey Claussen hat seine Firma schon vor einiger Zeit etwas breiter aufgestellt. Während der Corona-Zeit kaufte er die Bowlingbahn in Henstedt-Ulzburg und renovierte sie mit seinem Team. Der Ort, der heute unter dem Namen „Nordic Bowling“ firmiert, läuft heute – im Unterschied zum „Joy“ – bestens. Einer der Gründe, so Claussen: „Es kommen viele Firmen, machen hier Events für die Angestellten. Die müssen ihren Leuten ja etwas bieten, in Zeiten des Fachkräftemangels.“

Mancher verlustreicher Abend im „Joy“ lasse sich so kompensieren. Indes: Das Nachtleben auf dem Land lässt ich so wohl nicht dauerhaft retten. Was muss also passieren? „Wir müssen uns längerfristig einfach neu erfinden“, sagt Joey Claussen.

Was die Politik tun könnte: Mehrwertsteuer für die Clubs runter

Kurz- und mittelfristig wünscht er sich aber auch mehr Unterstützung von der Politik: „Das schnellste und einfachste Mittel, uns zu entlasten, wäre eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Getränke und Eintritt.“ Aktuell gilt bei Discos nämlich der reguläre Satz von 19 Prozent, während bei Konzerten oder Zirkus-Besuchen nur sieben Prozent fällig werden.

Nina Graf regt an, über neue „Förderinstrumente“ nachzudenken, zumal Schleswig-Holstein „eine der niedrigesten Förderquoten für Musikspielstätten“ in Deutschland habe. An dieser Stellschraube könne man „durchaus drehen.“

Warum Landdiscos auch in Zukunft noch gebraucht werden

Für Jugendliche müsse es möglich sein, auch „abseits der Metropolen“ etwas zu erleben, das sei auch eine Frage von kultureller Teilhabe. „Wir können von den Menschen doch nicht erwarten, dass ein Leben abseits der großen Städte bedeutet, kaum oder keine Kulturangebote aufzufinden“, sagt sie.

Auch Joey Claussen möchte sich das Land ohne Landdiscos nicht vorstellen. „Das sind einfach Orte, die enorm wichtig sind im Prozess des Erwachsenwerdens“, sagt er. Und Jugendliche, die noch zu Hause bei ihren Eltern wohnen, seien eben darauf angewiesen, dass auch im unmittelbaren Umfeld Angebote gebe – jenseits von „Hauspartys“.

Heiner Wolters formuliert es so: „Eine Landdisco ist ein Ort zum Wohlfühlen. Man kennt sich, begegnet nicht nur Fremden. Das ist Dorfleben, und das sollte auch gefördert werden.“