Kaltenkirchen/Wacken. Rotes Kreuz Kaltenkirchen organisiert die medizinische Hilfe für 120.000 Wacken-Fans – ehrenamtlich und mit Begeisterung.

Erst wenn der Ochsenkopf über den Bühnen erscheint und die Helfer von Deutschen Roten Kreuz (DRK) alle medizinischen Utensilien vom Pflaster bis zum OP-Besteck parat liegen haben, kann es losgehen. Am Mittwoch beginnt in Wacken das legendäre Heavy-Metal-Festival. Die Besucher dürfen ab dem frühen Montagmorgen anreisen, doch die Retter sind schon da.

Zum 17. Mal leitet das Kaltenkirchener DRK den Sanitätsdienst beim Festival. Am Wochenende wurde aufgebaut. „Jeder weiß, was zu tun ist“, sagt Jürgen Schumacher, Vorsitzender des Ortsverbands. Am Sonnabendmorgen trafen die Lastwagen auf dem Festivalgelände ein, die bis unters Dach mit der Ausrüstung der Rot-Kreuzler inklusive Zelten und Küche und beladen waren.

Wacken 2023 – die Retter aus Kaltenkirchen sind schon da

Die Aufgabe der Helfer: Sie bauen ein mobiles Krankenhaus auf, das genauso ausgestattet ist wie eine Klinik in einer Stadt mit 120.000 Einwohnern. Wenn einer von ihnen ein medizinisches Problem hat, kann er sich direkt auf dem Festivalgelände an die Rot-Kreuzler wenden, die so ziemlich alles behandeln, was an Notfällen eintrifft: ein Schnitt in den Finger, eine Alkoholvergiftung, aber auch Herzinfarkte und andere bedrohliche Krankheiten.

Morast oder Staub? Das ist in Wacken alle Jahre wieder die Frage, die sich nicht nur die 85.000 Besucher in Zelten, Wohnwagen und Wohnmobilen stellen müssen. Auch die Retter von DRK kennen die Tücken des Geländes. In diesem Jahr sieht es nach den vielen Regenfällen nach einem morastigen Festival aus.

Kommt der Rettungswagen nicht durch, sind die Quads des DRK unterwegs

Der Traktor eines Bauern steht seit Sonnabend für den Fall bereit, dass sich die Retter festfahren. Ebenfalls einsatzbereit stehen seit Sonnabend acht mit Blaulicht und Sanitätsmaterial ausgerüsteten Quads vor den Zelten. Auf ihnen sind – je nach Bedarf – Sanitäter oder Notarztteams auf den Weiten des Geländes unterwegs.

Nils Bade, Bereitschaftsleiter des DRK Kaltenkirchen, räumt das Material für das provisorische Krankenhaus ein.
Nils Bade, Bereitschaftsleiter des DRK Kaltenkirchen, räumt das Material für das provisorische Krankenhaus ein. © Wolfgang Klietz

Wo normale Rettungsfahrzeuge wegen ihrer Größe oder wegen des Matsches nicht durchkommen, schickt die Einsatzleitung ein Quad oder auch ein achtachsiges Argo-Amphibienfahrzeuge, mit dem Patienten gefahren werden können. Hinzu kommen während der heißen Phase des Festivals pro Tag zehn konventionelle Rettungsfahrzeuge.

Aus Deutschland und den Nachbarländern kommen 450 Retter

Die ersten Helfer trafen bereits am Montag, 24. Juli, ein, als der Aufbau der Bühnen begann. Die Besatzungen von zwei Rettungswagen sicherten die Arbeiten ab – so will es die Berufsgenossenschaft. Wenn das Festival am Mittwoch beginnt, stehen mehr als 450 Retter und Notärzte unterschiedlicher Hilfsorganisationen aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland bereit, die im Schichtdienst rund um die Uhr für die medizinische Versorgung kümmern.

Am Sonnabend bauten Tischler den Empfangstresen für das Klinikzelt. Hier werden alle Notfälle aufgenommen. Wer gehen kann, betritt einen Nebeneingang. Für alle anderen steht ein schlammsichere Rampe bereit, die von den Rettungswagen angefahren werden kann. Diese temporäre Rettungswache ist die größte im ganzen Bundesland.

Ladung aus zwei 40-Tonnern wird jedes Jahr nach Wacken geschafft

Im Zelt sind der Kaltenkirchener DRK-Bereitschaftsleiter Nils Bade und seine Kollegen damit beschäftigt, das Sanitätsmaterial aus den Lastwagen so unterzubringen, dass es jederzeit griffbereit ist. „Die Menge entspricht etwa der Ladung von zwei 40-Tonnern“, sagt Bade, der wie die meisten anderen jedes Jahr dabei ist.

Die Kaltenkirchenerinnen Sabine Hopp, Daniela Schumacher und Franziska Tietje (von rechts) entladen den Lastwagen mit den Küchenutensilien.
Die Kaltenkirchenerinnen Sabine Hopp, Daniela Schumacher und Franziska Tietje (von rechts) entladen den Lastwagen mit den Küchenutensilien. © Wolfgang Klietz

Nebenan rüsten die Kaltenkirchener DRKler das Küchenzelt her, in dem die Retter sich rund um die Uhr versorgen können – je nach Tageszeit mit warmen Speisen, Frühstück, Snacks oder Kaffee und Kuchen. Auch hier wird am Sonnabend kräftig geschwitzt, als plötzlich die Sonne zwischen den Regenwolken durchbricht, während die Kaltenkirchenerinnen Sabine Hopp, Daniela Schumacher und Franziska Tietje den Küchen-Lkw entladen. Auf der Ladefläche stapeln Drei-Liter-Kanister mit Pflanzenölen, Putzmitteln und Lebensmittelvorräten, mit denen man ein ganzes Dorf versorgen könnte.

Rotes Kreuz ist auch im Dorf und in den Nachbargemeinden im Einsatz

Wer hier in der Küche oder im Sanitätsdienst arbeitet, erledigt seinen Job ehrenamtlich. Dabei übernehmen die Rotkreuzler auch Aufgaben der hauptamtlichen Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH), die ebenfalls auf dem Gelände präsent ist. Dabei kommt es vor, dass das DRK auch Rettungseinsätze in Wacken und in den umliegenden Dörfern übernehmen muss.

Jürgen Schumacher bezeichnet das Engagement des Kaltenkirchener DRK in Wacken als Erfolgsgeschichte. Aber warum tun es sich die Helfer an, nachts oder im Regen auf einem Rockfestival zu arbeiten und dafür nur eine Anerkennung von einem Euro pro Stunde zu kassieren und dafür auch noch Urlaub zu nehmen?

Ehrenamtler fühlen sich in Wacken wie in einer Familie

„Das ist wie ein Klassentreffen“, sagt Schumacher. „Man trifft sich jedes Jahr. Alle kennen sich, alle wissen, was zu tun ist.“ Auch die Damen aus der DRK-Küche sehen das so. „Das ist das Team, das Feeling hier“, sagen sie. „Das hat was von einer Familie.“

Der 25 Jahre alte Tjark Schumacher aus Kaltenkirchen war erstmals 2003 in Wacken – damals noch an der Hand seiner Eltern. Inzwischen hat er die Ausbildung zum Sanitäter absolviert und gehört zur Stammbesatzung des Roten Kreuzes. Am Wochenende machte er sich mit einem Quad vertraut.

Erst der Sanitätsdienst in Zwölf-Stunden-Schichten, danach wir gefeiert

Viele der DRK-Helfer kommen auch nach Wacken, um nach den Zwölf-Stunden-Schichten zu feiern. Dann verwandeln sie sich von Sanitätern oder Notärzten in Metall-Fans in schwarzen Klamotten und anderen Insignien im Zeichen des Ochsenschädels.

„Wir haben hier noch die Stress gehabt“ sagt Jürgen Schumacher, Vorsitzender des DRK,
„Wir haben hier noch die Stress gehabt“ sagt Jürgen Schumacher, Vorsitzender des DRK, © Wolfgang Klietz

Und noch ein Grund spricht für viele Helfer für einen Einsatz in Wacken: Hier geht es friedlich zu. Während in Städten und Gemeinden auch der Rettungsdienst zunehmend bedroht wird und Einsatzkräfte von einer zunehmenden Aggression berichten, herrscht beim Metal-Festival Ruhe und Frieden.

„Wir haben hier noch nie Stress gehabt“, sagt Schumacher. „Die Besucher machen für uns stets die Wege frei und bieten auch mal an, die schweren Taschen zu tragen.“ Das Wacken Open Air ist auch in diesem Jahr ausverkauft. Gerade mal fünf Stunden hatte es gedauert, bis alle Tickets vergeben waren. 150 Konzerte stehen bis Sonnabendabend auf dem Programm.