Norderstedt. Wann beginnt Freundschaft? Wie erkennt man eine ehrliche Freundschaft, wodurch kann man sie von einer Beziehung unterscheiden, in der eine oder einer der Beteiligten nur persönliche Vorteile sucht? Und was hat Freundschaft mit Liebe zu tun?
Das große Thema Freundschaft behandelt die israelische Fotografin Oranit Ben Zimra mit einem Fotoprojekt, das in Norderstedt und in Israel entstanden ist. Die 24 Fotografien zeigen Freundespaare – zwölf aus Israel, zwölf aus Norderstedt.
Ausstellung: Was Freundschaft ausmacht – in Norderstedt und in Israel
Sie sind in der Ausstellung „Mit Dir bin ich ich“ von Donnerstag, 11. Mai an im Stadtmuseum Norderstedt zu sehen. Die Vernissage beginnt um 19 Uhr. Die Ausstellung feiert das 25-jährige Bestehen des Norderstedter Kulturvereins Chaverim – Freundschaft mit Israel.
Wer sind die Paare, die sich für diese Freundschafts-Fotografien vor Oranit Ben Zimras Kamera gestellt haben? Die sich fragen ließen, was ihre Freundschaft ausmacht, was sie prägt, und wie sie begann. Da Abendblatt erzählt exemplarisch die Geschichte von zwei Paaren.
Eine Frauen-Freundschaft: Gudrun Scheller und Young-Ja Bang-Cho
Gudrun Scheller und Young-Ja Bang-Cho lernten sich 2001 bei einem koreanischen Konzert in Planten un Blomen kennen. Young-Ja Bang-Cho war begeistert von der Deutschen, die so hervorragend koreanische Musik spielte. „Ich habe sie angesprochen und fühlte mich gleich wohl mit ihr“, sagt die Hamburgerin aus Korea. „Wir hatten sofort eine gemeinsame Verbindung“, sagt Gudrun Scheller. Sie ist Musik-Pädagogin, Young-Ja Bang-Cho ist bildende Künstlerin und gibt Kunstkurse in Hamburg.
„In Deutschland findet man nur langsam Freunde, aber wir haben uns sofort verstanden“, sagt Young-Ja Bang-Cho. Die Freundschaft wuchs, als ihre neue Freundin ihre Malerei mit ihrem Spiel auf Trommeln und anderen Percussions-Instrumenten in Musik umsetzte. „Ich könnte das nicht, wenn wir uns nicht so gut verstehen würden“, sagt die Musikerin. „Die Bilder und die Musik haben so miteinander harmoniert wie wir beide“, ergänzt die Malerin.
Die Malerin und die Musikerin harmonieren, in der Kunst wie im Leben
„Am Anfang war Interesse aneinander da, dann begann ich, mich auf Young-Ja zu verlassen und habe mich in ihr wiedergefunden“, erinnert sich Gudrun Scheller. Young-Ja Bang-Cho habe sich auch für ihre Familie, für ihre Musik, ihre Sprache interessiert und sich integriert. „Als Gudruns Mann starb, ging auch aus meinem Leben ein Mensch, und ich hatte viel Trauer in mir, da habe ich gemerkt, wie tief wir miteinander verbunden sind“, sagt Bang-Cho.
„Wir treffen uns oft zum Essen, oder die eine kocht für die andere, einmal koreanisch, dann europäisch“, sagt Scheller. Mal aber treffen sie sich wochenlang nicht, seien aber gedanklich stets in Verbindung miteinander. „Ich kann mit ihr über alles sprechen, und für mich ist es wichtig, wie sie mir zuhört, dass sie das Gehörte nicht sofort einordnet und beurteilt, ich fühle mich von ihr angenommen“, sagt Gudrun Scheller über die Frauen-Freundschaft.
„Wir nähern uns immer intensiver aneinander an, aber jede bleibt für sich ein Individuum, und diese gegenseitige Akzeptanz, dieses starke Vertrauen ineinander ist sehr wichtig, vor allem auch, dass keine von uns die andere ausnutzt, wir verstehen uns auf sinnlicher Ebene, auch ohne Worte“, bekennt Young-Ja Bang-Cho.
Eine Männer-Freundschaft: Wolfhard Tietgen und Michael Schirmer
Wolfhard Tietgen und Michael Schirmer sind seit 27 Jahren miteinander befreundet. Der Rechtsanwalt und der Pastor lernten sich 1996 im Norderstedter Rotary-Club kennen. Doch erst die Begegnung in einem Supermarkt markierte den Beginn ihrer langjährigen Freundschaft, denn sie stellten beim Einkaufen fest, dass sie beide gern kochen und haben sich sofort für eine gemeinsame Runde am Herd verabredet.
„Es ist kein Zufall, dass man sich genauer anguckt, sich näher kennenlernen will und beginnt, Dinge miteinander zu teilen, zum Beispiel Musik, Literatur und Reisen“, ergänzt Michael Schirmer.
Dem gemeinsamen Kochen folgten Literatur-Diskussionen, beispielsweise über Peter Rühmkorf und Robert Gernhardt, Harry Rowohlt und Philip Roth, über Jazz und Opern, gemeinsame Reisen zu viert mit den Ehefrauen. „Ich habe durch Michael Jazz kennengelernt“, sagt Wolfhard. „Und ich durch Wolfhard die Oper“, sagt Michael.
Jazz, Oper, gemeinsam kochen – und den anderen lassen, wie er ist
Mittlerweile hätten beide voneinander eine „verlässliche Einschätzung, was der jeweils andere denkt, wie er etwas einschätzt, und wie er spricht, das ist auch sehr wichtig.“ Die Männerfreundschaft Tietgen/Schirmer basiert darauf, das Wesen des jeweils anderen als einzigartig zu erkennen. Diese Erfahrung aber würde man selten machen können.
„Es ist mit Sicherheit auch ein Zusammenwachsen“, philosophiert Wolfhard Tietgen. „Eine Freundschaft dieser Art ist einmalig, und sie beruht darauf, den anderen so zu lassen, wie er ist, man will sich auch nicht in dem Anderen wiederfinden, denn gerade die Unterschiedlichkeit macht die Freundschaft aus“, sagt Schirmer.
Freundschaft werde getragen durch viele gemeinsame Interessen. Sie sei ein kostbares Gut, mit dem man nicht nachlässig umgehen sollte, beispielsweise, indem man Vertrauen missbrauchen oder den anderen ausnutzen würde. „Freundschaften müssen gepflegt werden, ohne auf einen Vorteil zu schielen“, weiß Tietgen. Und: „Man muss auch miteinander schweigen können“.
Ausstellung: Bilder sollen auch in Israel gezeigt werden
Bilder sagen in diesem Fall mehr als Worte. Zu sehen sein werden die Porträts der beiden Freundespaare und der 22 anderen im Stadtmuseum. „Mit unserer Jubiläumsausstellung möchten wir den Menschen Freundschaften und Verbindungen zeigen, denn Freundschaft stärkt – sowohl in Norderstedt als auch in Israel“ sagt Ayala Nagel, Vorsitzende des Vereins Chaverim und Mit-Initiatorin der Fotoausstellung.
Die Bilder sollen auch in Israel ausgestellt werden. „Um die Verbindung zwischen Norderstedt und Israel noch einmal zu intensivieren,“ sagt Nagel. Zeitnah werde daher nach einem passenden Ausstellungsort in Israel gesucht, das in diesem Mai sein 75-jähriges Bestehen feiert.
„25 Jahre Chaverim heißt auch 25 Jahre Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Norderstedt“, sagt Romy Rölicke vom Stadtmuseum. „Über die Jahre sind sehr viele israelische Künstlerinnen und Künstler nach Norderstedt gekommen – das verdanken wir dem Verein. Ich freue mich, dass wir als Stadtmuseum nun die Jubiläums-Fotoausstellung bei uns zeigen dürfen.“
25 Jahre Kulturverein Chaverim – Freundschaft mit Israel
Anlass der Ausstellung ist das 25-jährige Bestehen des Kulturvereins Chaverim – Freundschaft mit Israel in Norderstedt. Die Idee für den Kulturverein entstand an einem Herbstabend im Jahr 1997 in der Nähe von Jerusalem, 3700 Kilometer von Norderstedt entfernt. Der Gedanke: Aus einer Jugend-Begegnung zwischen jüdischen, muslimischen und christlichen Jugendlichen könnte man doch einen Freundschaftsverein für Erwachsene machen.
Die Idee begeisterte in Norderstedt rasch viele Menschen, und so gründeten am 14. Mai 1998, dem 50. Jahrestag des Staates Israels, 14 Norderstedter Bürgerinnen und Bürger den Verein Chaverim – Freundschaft mit Israel.
Seit 1999 ein Kulturträger der Stadt Norderstedt
Chaverim aus dem Hebräischen heißt auf Deutsch Freundschaft und umreißt klar das Ziel des Vereins, der im September 1999 als offizieller Kulturträger der Stadt Norderstedt anerkannt wurde: Freundschaft auf bilateraler Basis mit den Bürgerinnen und Bürgern Israels. Ein Staat, der während der dunkelsten Vergangenheit Deutschlands entstanden ist, dem Holocaust.
Daraus folgen die nächsten zwei Hauptziele des Vereins: Die vom NS-Regime zerschlagenen Beziehungen wieder aufzubauen und den Jüdinnen und Juden, der jüdischen Kunst und Kultur neuen Raum und neue Anerkennung zu geben.
Die Spuren jüdischen Lebens in Norderstedt
Auch in Norderstedt finden sich Spuren jüdischen Lebens. Hinterlassen von Alfred Stern, der 1947 das Norderstedter Amateur-Theater (NAT) als Volksspielbühne Garstedt gründete. Von Emanuel Strauß, der am Langen Kamp 161 lebte und KZ Theresienstadt deportiert wurde.
Von den jungen Jüdinnen und Juden, die sich im Kibbuz auf dem Zwickmoor-Gelände des Rauhen Hauses, dem Brüderhof an der Wilstedter Straße, von 1934 bis 1939 unter der Leitung der jüdischen Jugendbewegung Hechaluz (hebräisch, dt.: Pioniere) auf die Hachscharah, die Auswanderung, vorbereiteten. Und dann ist da natürlich noch das KZ Wittmoor, das von April bis Oktober 1933 bestand.
Chaverim errichtete Gedenkstelen und macht jüdische Kultur erlebbar
Für diese Juden errichtete Chaverim mit der Stadt Gedenkstelen. An der Gedenkstätte KZ Wittmoor veranstaltet Chaverim regelmäßig Gedenken zur Reichs-Pogromnacht am 9. November und zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.
Seit seiner Gründung veranstaltet Chaverim Vorträge und Lesungen über das Judentum und Israel. Es gab Lesungen jüdischdeutscher und israelischer Autorinnen und Autoren, Zeitzeugenberichte von Schoa-Überlebenden, Ausstellungen mit junger Kunst aus Israel, jüdisch-traditionelle Malerei, Konzerte mit jiddischer und israelischer Musik und jüdische Feste wie Chanukka.
Außerdem beteiligte sich Chaverim an den länderbezogenen Festwochen der Stadt, an Projekten der Kirchen und feierte auch stets runde Geburtstage Israels mit stadtweiten Festen. Auch die Musiktheater-Aufführungen der Musikschule Norderstedt wie „Antevka“ und „Brundíbar“ unterstützte Chaverim und betreute für „Brundíbar“ beispielsweise Zeitzeuginnen.
Der Bustan von Chaverim entstand zur Landesgartenschau
Zur Landesgartenschau 2011 installierte Chaverim den Bustan, den biblischen Wein- und Obstgarten, der heute im Feldpark des Stadtparks eine beliebter Treffpunkt für Veranstaltungen ist. Im Jahr 2012 konnte der Norderstedt-Wald im Wald der deutschen Länder an der Negev-Wüste in Israel mit prominent besetzter Delegation aus Norderstedt eingeweiht werden.
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Das größte Anliegen aber ist es, dem immer stärker auftretenden Antisemitismus mit Veranstaltungen, mit Präventionsarbeit vor allem in den Schulen, entgegen zu treten. Der Kulturverein Chaverim – Freundschaft mit Israel ist in den 25 Jahren seines Bestehens zum international wirkenden Botschafter Norderstedts geworden.
Foto-Ausstellung „Mit Dir bin ich ich“, Vernissage Do, 11.5, 19.00, Stadtmuseum Norderstedt, Friedrichsgaber Weg 290, Obergeschoss. Eintritt frei. Zu sehen bis 27.08., Mi–Sa 15.00–18.00, So 11.00–18.00, Eintritt 5 Euro für beide Museen, Kinder frei.
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