Norderstedt. Tierärzte müssen Tierleben auch beenden. Wie Dr. Mike Noll es schaffte, diese traurige Pflicht als etwas Gutes zu sehen.

Dr. Mike Noll führt durch den Operations-Trakt der Tierklinik Norderstedt. Auf einer großen Tafel, die an der Wand hängt, stehen alle geplanten Operationen für diesen Tag. Eine Kollegin in Raum zwei näht gerade die Bauchdecke eines Hundes wieder zusammen. In Saal eins, in dem Arbeiten am Knochen durchgeführt werden, liegt ein Hund in Narkose auf dem Behandlungstisch, bereit für seine OP. Ein anderer Vierbeiner sitzt benommen im Aufwachbereich. Ihm läuft Speichel aus dem Mund. Ein Tiermedizinischer Fachangestellter tupft mit einem Papier liebevoll sein Maul ab.

Martina Lütje, Oberärztin für Urologie und innere Medizin, im Operationssaal der Tierklinik Norderstedt.
Martina Lütje, Oberärztin für Urologie und innere Medizin, im Operationssaal der Tierklinik Norderstedt. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Die Räume sehen aus wie in einem modernen Krankenhaus für Menschen. Die Mitarbeitenden tragen Kittel, Haube und Mundschutz. Neben den Tischen stehen Narkosegeräte, die baugleich in der Humanmedizin verwendet werden. Sie versetzen den tierischen Patienten in den Schlaf und überwachen EKG, Blutdruck und Sauerstoffsättigung. „Die Anästhesie wird immer analoger zur Humanmedizin. Sie ist extrem wichtig, denn sie hält das Tier am Leben“, erklärt Noll, der Spezialist auf diesem Gebiet ist.

Tierklinik Norderstedt: Einschläfern – „Wir ersparen den Tieren damit viel Leid“

In der Tierklinik ist der 34-Jährige in der Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie tätig. An diesem Morgen hat er bereits das entzündete Knie eines Hundes punktiert. Außerdem behandelt er Notfälle – wie etwa Tiere, bei denen sich der Magen gedreht hat –, oder führt Kaiserschnitte durch. Zimperlich, ein Tier aufzuschneiden, darf er in seinem Beruf nicht sein. „Ich mag das. Oft ist es die einzige Möglichkeit, einem Tier zu helfen. Und ich habe kein Problem damit, Blut zu sehen“, sagt er.

Noll ist im Saarland aufgewachsen. Hunde waren schon immer Teil seines Lebens. Ihm war früh klar, dass er Tierarzt werden möchte. Noll promovierte in Hannover, seit zwei Jahren arbeitet er nun in der Tierklinik in Norderstedt. „Es ist einfach schön, helfen zu können und Tieren das weitere Leben zu sichern“, sagt er.

Tierarzt: Es ist Teil des Jobs, schlechte Nachrichten zu überbringen

Doch für manche Patienten kommt leider jede Hilfe zu spät. Auch das ist Teil des Jobs – wenn auch ein trauriger. „Häufig müssen wir Besitzern schlechte Nachrichten überbringen. Zum Beispiel wenn ein Tumor gestreut hat und eine OP keinen Sinn mehr macht“, erzählt der Tiermediziner.

Zu seinem Alltag gehört es, nicht nur Leben zu retten, sondern sie auch zu beenden. Noll muss Tiere einschläfern. Für viele Menschen wäre dies unvorstellbar. Doch er hat es geschafft, einen guten, gesunden Umgang mit dieser schweren Aufgabe zu finden. „Ich bin zu hundert Prozent davon überzeugt, dass wir den Tieren sehr viel Leid ersparen. Sie können nicht kommunizieren, wenn es ihnen schlecht geht und sie an starken Schmerzen leiden. Ich bin froh, dass wir die Möglichkeit haben, sie zu erlösen.“

Schmerzsprechstunde: Mischlingshündin Julie bekommt Spritze

An das erste Mal, als er einen Hund einschläfern musste, kann sich Noll noch genau erinnern. Ein zwölf Jahre alter Mops hatte einen Tumor am Hals, der ihm die Atmung erschwerte. Der Befund während der Operation war so schwer, dass der Tierarzt ihn aus der Narkose nicht mehr aufwachen ließ. „Natürlich beschäftigt uns so ein Schicksal. Aber man schläfert Tiere nicht einfach so ein, sondern aus gutem Grund. Man erlöst sie von ihrem Leiden. Das ist etwas Gutes“, betont Noll.

Dr. Mike Noll gibt Schmerzpatientin Julie eine Spritze.
Dr. Mike Noll gibt Schmerzpatientin Julie eine Spritze. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

An diesem Tag führt der Tierarzt keine weiteren Operationen durch. Er hat Schmerzsprechstunde. Julie ist heute zu Besuch. Die zwölf Jahre alte Mischlingshündin leidet an Arthrose. Auf einem Auge ist sie blind. Alle drei bis vier Wochen kommt Besitzerin Juliane Zaubitzer mit Julie in der Tierklinik vorbei. Dann verabreicht Dr. Noll ihr eine Spritze gegen die Schmerzen.

Team von mehr als 30 Tierärztinnen und Tierärzte gehören zur Tierklinik Norderstedt

Julie ist nervös, atmet unregelmäßig. Der Tiermediziner führt sie in einen anderen Raum. „Es funktioniert besser, ihr eine Spritze zu geben, wenn Frauchen nicht mit dabei ist“, erklärt er. Auch wenn die Hündin Spritzen nicht leiden kann, läuft sie schwanzwackelnd auf Noll zu. „Man baut ab einer gewissen Zeit eine Beziehung zueinander auf“, sagt er lachend und streichelt Julie über den Kopf.

In Norderstedts Tierklinik gibt es neben Dr. Noll viele weitere Spezialisten: zum Beispiel für Bildgebung, Chirurgie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Infektionsmedizin, Kardiologie, Lungenheilkunde, Neurologie, Onkologie, Telemedizin und Urologie. Die Tiermedizin hat sich rasant weiterentwickelt. Inzwischen kann in der hochmodernen Klinik an der Ulzburger Straße das Leiden der Tiere sehr gezielt behandelt werden.

Ein Team von mehr als 30 Tierärztinnen und Tierärzten arbeitet in Norderstedt. Die Spezialisten können Patienten an der Wirbelsäule operieren und mithilfe von Kameras verschluckte Gegenstände entnehmen. Sie nutzen sogar als eine der wenigen Tierkliniken in Europa die Nuklearmedizin, um Tumore in den Knochen zu erkennen.

Tierklinik Norderstedt: In der Tier- und Humanmedizin gibt es viele Überschneidungen

Dr. Monika Hund ist die Fachfrau für Augenheilkunde. Ihr heutiger Patient kann durch seine vereiterten Augen kaum noch etwas sehen. „Der Kater hat wegen mangelnder Tränenflüssigkeit eine entzündete Binde- und Hornhaut“, erklärt die 61-Jährige. Sie träufelt ihm Tropfen in die Augen.

Die Oberärztin für Augenheilkunde, Dr. Monika Hund (l.), und ihre Tiermedizinische Fachangestellte Svea Glismann im Behandlungsraum.
Die Oberärztin für Augenheilkunde, Dr. Monika Hund (l.), und ihre Tiermedizinische Fachangestellte Svea Glismann im Behandlungsraum. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Als Eberhard Magunna, der Gründer der Tierklinik, Monika Hund 1999 einstellte, war sie auf kein Fachgebiet spezialisiert. Erst während ihres dritten Staatsexamens entdeckte sie ihr Interesse für das Sehorgan. „Ich war so fasziniert davon, dass ich alles darüber wissen wollte“, sagt die Tierärztin.

Magunnas Spezialgebiet war zu dieser Zeit ebenfalls die Augenheilkunde. Obwohl es schon einen Experten in der Klinik gab, ermöglichte er Monika Hund, ihrer Leidenschaft nachzugehen. „Ich habe ihm sehr viel zu verdanken“, sagt sie.

Ihrem Patienten, dem Kater mit den verschleimten Augen, verschreibt sie Tropfen. Diese sind in der Apotheke erhältlich. Normalerweise nutzen Menschen sie. Aber in der modernen Tier- und Humanmedizin gibt es heutzutage eben viele Überschneidungen.

Serie: Das Abendblatt begleitet und porträtiert in den kommenden Wochen mit der Tierklinik Norderstedt eine der größten und bekanntesten des Nordens. Lesen Sie demnächst, wie die Spezialisten der Klinik arbeiten und was sie alles leisten können.