Norderstedt. Fraktionen in der Stadtvertretung lehnen Kalkulation mehrheitlich ab. Der Grund ist ein Rechtsstreit mit offenem Ausgang.

Zum Jahresabschluss hat es in Norderstedt noch einmal eine kleine politische Überraschung gegeben. Denn die Stadtvertretung entschied sich mehrheitlich dafür, die Abfallgebühren vorerst nicht zu erhöhen. Und das, obwohl der Umweltausschuss genau das per Votum klar empfohlen hatte. Auch die Verwaltung war von einer Zustimmung ausgegangen: Der neue Abfallkalender, den kürzlich alle Haushalte erhielten, beinhaltet eine Übersicht der neuen Gebühren mit dem Hinweis, dass so die Kosten der Abfallwirtschaft gedeckt würden. „Diese Bürger*innen-Information ist nunmehr nicht mehr aktuell“, teilt die Stadt mit.

Zunächst einmal: An der Notwendigkeit hatte es grundsätzlich nicht einmal Zweifel gegeben. Deswegen sollten eigentlich zum 1. Januar die Gebühren für Restabfallbehälter um bis zu 30 Prozent steigen. Konkret: Der 60-Liter-Behälter würde monatlich 0,60 Euro mehr kosten, die 120-Liter-Tonne 2,95 Euro – also jährlich 7,20 und 35,40 Euro.

Müllgebühren in Norderstedt: Politik stimmt Erhöhung überraschend nicht zu

Es müssen Kostensteigerung aufgefangen werden – insbesondere bei der Energie, wo es beim Dieselkraftstoff laut Betriebsamt zu einer Verdoppelung kommt. Rückläufig ist dafür der Papiermarkt. Und die Mehrerlöse bei den Altkleidern sowie geringere Entsorgungskosten für Holz können diese Entwicklungen nicht kompensieren.

Zumal unverändert gelten soll: Die Anlieferung von Sperrmüll auf dem Wertstoffhof an der Friedrich-Ebert-Straße, die Strauchwerk-Straßensammlung, das Abholen der Weihnachtsbäume, die kostenfreien Papiermülltonnen, die Wertstoffinseln, das Gebrauchtwarenhaus Hempels – all das soll kostenfrei bleiben bzw. als Dienstleistung im bisherigen Umfang.

Rechtsstreit: Der WZV verklagt die Stadt Norderstedt

Doch ein Teil der Fraktionen hat noch Gesprächsbedarf. Es geht um den Konflikt der Stadt Norderstedt mit dem Wege-Zweckverband (WZV), in dem alle Städte und Gemeinden des Kreises – außer Norderstedt – zusammengeschlossen sind. Hier läuft im Hintergrund ein Rechtsstreit, dessen Ende nicht abzusehen ist. Wie mehrfach berichtet, gibt es zwischen beiden Seiten fundamentale Differenzen darüber, wer die Kosten für die Entsorgung der Restabfälle in Norderstedt zu tragen hat.

Am liebsten würde die Stadt diese nicht nur einsammeln, sondern auch selbst zur Verbrennungsanlage nach Glückstadt transportieren. Doch momentan ist das nicht möglich: Der Hausmüll wird zum Recyclinghof des WZV an der Oststraße gebracht und dort umgeschlagen. Grundlage ist ein Vertrag, der nach Ansicht von Zweckverband und Kreis Segeberg genau das bis 2050 festlegt.

Müllgebühren: Streitsumme beträgt über 1 Million Euro

Norderstedt hatte diese Vereinbarung Ende 2020 auslaufen lassen. Seitdem trägt die Stadt zwar widerwillig die Entsorgungskosten (auch das wird rechtlich angefochten), aber nicht die Ausgaben für den Umschlag und den Weitertransport. Genau diese fordert der WZV ein. Darum geht es in jener Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht. Mittlerweile ist die Streitsumme auf rund 1,26 Millionen Euro angewachsen.

Zusammengefasst: Es ist ein schwebendes Verfahren darüber, wem quasi der Restmüll gehört – inklusive aller Kosten und Einnahmen. Und eine komplizierte juristische Materie – die Klageschrift umfasst fast 50 Seiten.

Für die Norderstedter Haushalte ist das relevant, weil es in der Politik die Auffassung gibt, dass Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder nicht ausreichend informiert. Seit etwa zwei Jahren soll es eigentlich eine Mediationsrunde geben – die Stadt, der WZV, der Kreis, alle an einem Tisch. Ob sich hier etwas bewegt, fragen sich die Fraktionen. Und fordern Akteneinsicht.

„Wenn die Oberbürgermeister keinen Kompromiss findet, soll sie es uns sagen“

„Die Vorlage an sich war von Herrn Sandhof (Leiter des Betriebsamtes; d. Red.) und seinen Kollegen gut vorbereitet.“ Doch man wisse nicht, welche Kosten auf die Stadt zukommen könnten, wenn der WZV seine Klage gewinnen würde, sagt Reimer Rathje, Fraktionschef der WiN. „Wenn die Oberbürgermeisterin mit dem WZV keinen Kompromiss findet, soll sie es uns sagen.“

Ähnlich sieht es die CDU. „Man kann das Thema WZV nicht ausklammern“, so Peter Holle, Vorsitzender der Fraktion und des Hauptausschusses. Auch die FDP hätte laut Tobias Mährlein gerne eine andere Kalkulation. Denn wenn Norderstedt auf ganzer Linie verlieren würden in einem Prozess, müssten eventuell die Gebührenzahler die Folgen tragen. „Der WZV hat Klage eingereicht. Es wäre wichtig zu wissen, welcher Betrag dahinter steckt und wie wahrscheinlich es ist, dass der Verband Recht bekommt.“ Aus seiner Sicht sollte es im Januar weitere Gespräche geben. „Ich verstehe nicht, warum Frau Roeder daraus ein so großes Geheimnis macht. Möglich wäre, es nichtöffentlich zu machen, oder sie kann die Fraktionsvorsitzenden einladen.“

Müllgebühren Norderstedt: Die Erhöhung könnte nachträglich kommen

Die Grünen haben der Gebührenerhöhung hingegen zugestimmt, „weil es ehrlicherweise keine Alternative gibt. Die Kosten fallen an. Und die Vermengung mit dem WZV ist schwierig“, sagt der Fraktionsvorsitzende Marc-Christopher Muckelberg. Allerdings pflichtet er bei: „In der Gemeindeordnung steht das Recht auf Akteneinsicht.“

Die Stadt äußert sich nicht mit Hinweis auf das laufende Verfahren. Das Thema wird die nächste Stadtvertretung (31. Januar 2023) beschäftigen. Vermutlich wird der Gebührenerhöhung dann nachträglich zugestimmt. Die offizielle Mitteilung der Stadt selbst liest sich allerdings skeptisch. „Es bleibt die Entscheidung der Stadtvertreter*innen, ob es im Laufe des Jahres 2023 zu einer Anpassung der Abfallgebühren kommt beziehungsweise in welcher Form die Mehrkosten ausgeglichen werden sollen.“

Und vergleichsweise wäre Norderstedt übrigens wohl weiterhin günstig. Das hatte eine Untersuchung von Haus & Grund ergeben. Demnach sei die Stadt unter 25 von der Größe vergleichbaren Kommunen die drittbeste – vor Bocholt, nur hinter Stralsund und Brandenburg. Und selbst mit den möglicherweise erhöhten Gebühren noch auf Platz sieben.