Norderstedt. Frech und hochaktuell: Das zeigen die ersten Absolventinnen der Neuen Akademie der Darstellenden Künste auf der Bühne.

Über mangelnde Zuhörerinnen und Zuhörer konnte der Kulturverein „Kulturtreff“ nicht klagen. Gunnar Urbach, Gründer und Vorsitzender des Vereins, verbuchte mit seinem Team beim Konzert der ersten Absolventinnen der Neuen Akademie der Darstellenden Künste Norderstedt ein „ausverkauft“ im Gemeinderaum der Paul-Gerhardt-Kirche.

Es war ein dankbares Programm, dass Akademie-Leiterin Simone Voicu-Pohl, die auch das Kurhaus-Theater Bad Bramstedt managt, unter dem Titel „Revue der 1920er-Jahre“ mit ihren sechs Sängerinnen und der Pianistin Nadja dan Bernhardt zusammenstellte. „Es war eher ein Traum der ,Goldenen Zwanziger’, und für uns bleibt die Hoffnung, dass die 2020er-Jahre nicht wie vor 100 Jahren in eine Katastrophe wie die 1930er- und 1940er-Jahre münden“, sagte Gunnar Urbach mit Hinweis auf den aktuellen Rechtsruck in Europa.

Freche Revue in Norderstedt: Auf Zeitreise zurück in die „Goldenen Zwanziger“

In krassem Gegensatz zum NS-Terror stehen die Lieder und Chansons der „Golden Twenty“ der Komponisten und Textdichter Kurt Tucholsky, Friedrich Hollaender, Erich Kästner, Theo Mackeben bis zu Robert Liebmann und Werner Fink.

Alle Sängerinnen haben diese teils frechen, drastischen und auch sexistischen Texte genau analysiert, sich gesanglich zu eigen gemacht und zeigten, dass es in den 1920er-Jahren offenbar weniger Tabus gab als heute in den doch eher prüden 2020er-Jahren. In Charleston-Kleidern mit Accessoires wie Federboas, kecken Hüten, Spitzenhandschuhen, Pelzstolas und ellenlangen Zigarettenspitzen brachten sie etwas Flair vom „Babylon Berlin“ in den kirchlichen Gemeinderaum.

Freche Revue: Eine Publikumsbeschimpfung zu Beginn

Zu Beginn gab es eine Publikumsbeschimpfung von Kurt Tucholsky. Ob es denn wirklich so dumm sei, das Publikum, wie die Produzenten von Zeitung, Funk und Film es darstellen würden? Die sechs Sängerinnen wuchsen zusammen, und es gelang ihnen, indirekt die hohe Aktualität des 100 Jahre alten Textes zu transportieren.

In ihren Soli fanden die hoffnungsvollen Nachwuchs-Darstellerinnen jeweils zu ihrer eigenen Linie, beispielsweise Laura Araiza Inasaridse in „Die Kleptomanin“ von Friedrich Hollaender, die sie recht durchtrieben und leicht lasziv brachte. Sie begeisterte auch mit dem Hollaender-Lied „Benjamin, ich hab nichts anzuziehn“. Oder Anni Veit in „Eine Animierdame stößt Bescheid“ von Erich Kästner, mit dem sie mit ihrem klaren Sopran jegliche Illusion nahm, dass das Nachtleben für anschaffende Frauen auch amüsant sein könnte.

Schon Marlene Dietrich und Hildegard Knef sangen den Chanson

Mit einer gesalzenen Prise Ironie interpretierte Sarah Weidmann Friedrich Hollaenders und Robert Liebmanns Chanson „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“, das Sängerinnen von Marlene Dietrich über Hildegard Knef bis Meret Becker sangen. Mutig stellte sich Sarah Weidmann dem Gesang dieser Diven. Gut bei Stimme, bisschen rockig angehaucht, brachte Franziska Frömgen „Ein Neandertaler“ von Günter Neumann.

Fein gelang Marina Schubert die Moritat „Die billige Annette“ von Ralph Benatzky, in der sie die Launen einer verwöhnten Frau subtil variierte und auch im schnellen Sprechgesang gute Textverständlichkeit bewies. Auch Jasmin Fihlon zeigte Vielseitigkeit, einmal mit „Die zersägte Dame“ als romantisch Verliebte und als Heulsuse, dann verlässlich in „So oder so ist das Leben“.

Für die „Revue der 1920er-Jahre“ gibt es aktuell keine weiteren Aufführungstermine. Das Ensemble der Neuen Akademie der Darstellenden Künste ist am 11. und 12. November mit dem Musical Non(n)sens zu sehen, im Festsaal am Falkenberg, Langenharmer Weg 90, in Norderstedt. Weitere Infos kommen.