Henstedt-Ulzburg. Der Rechtsanwalt Horst Schumacher bietet Menschen aus der Ukraine Beratung an. So wird gegen Täter ermittelt.

Die sozialen Medien wie Telegram, Twitter oder Tiktok sind voll damit: Videos und Fotos, die Gräueltaten der russischen Armee und ihrer Handlanger in der Ukraine zeigen. Es sind Tausende Dokumente von Kriegsverbrechen, online ist alles leicht zu finden. In nicht wenigen Fällen haben Menschen, die aus dem angegriffenen Land nach Deutschland geflohen, selbst Mord, Plünderungen oder Vergewaltigungen gesehen oder erlebt. Das bedeutet: Es gibt eine Fülle an Indizien, Beweisen, möglicher Zeugenaussagen für Straftaten.

Horst Schumacher, Rechtsanwalt aus Henstedt-Ulzburg, treibt es um, wie hier den Betroffenen geholfen werden könnte. Und deswegen hat er ein Angebot geschaffen. „Ich habe früher viele Strafsachen, dabei auch Opferrecht, bearbeitet. Irgendwann dachte ich: Die Opfer und Zeugen von solchen Kriegsverbrechen können nicht alleine gelassen werden. Auslöser war unter anderem Butcha, aber auch ein Zeitungsartikel, der darauf hinwies, dass das Bundeskriminalamt eine Ermittlungsgruppe eingerichtet hat, bei der zentral Anzeigen, die in Deutschland wegen solcher Kriegsverbrechen erstattet werden, zusammenlaufen.“

Kriegsverbrechen: Ein Henstedt-Ulzburger will Opfern helfen

Er nahm Kontakt zum BKA auf, genauso zu den hiesigen Flüchtlingszentren und Informationsstellen. „Ich sehe mich zunächst als Berater, ob die Flüchtlinge überhaupt aussagen wollen oder nicht, was das Für und Wider ist. Und, wenn sie sich für eine Aussage entscheiden würden, dann würde ich mit ihnen zur örtlichen Polizeistelle gehen und sie begleiten.“

In Deutschland, wie auch in anderen Staaten, können Taten, die ein Verstoß gegen das Völkerrecht sind, strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn sie auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Landes – wie der Ukraine – begangen worden sind. Juristisch heißt das „Weltrechtsprinzip“, es ist in Paragraf 6 des Strafgesetzbuches festgelegt. Der Generalbundesanwalt leitete schon im März ein „Strukturermittlungsverfahren“ ein, also eine Beweissicherung, noch ohne konkrete Täter.

Auch Schumacher bezieht sich hierauf. Das Vorgehen ist in der Theorie simpel: Das BKA hat auf seiner Internetseite einen mehrsprachigen Flyer veröffentlicht. „Zur strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen werden auch in Deutschland möglichen Zeuge und/oder Opfer gesucht“, heißt es.

Bucha, ein Vorort von Kiew, steht stellvertretend für die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine.
Bucha, ein Vorort von Kiew, steht stellvertretend für die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. © dpa | Mykhaylo Palinchak

Wer über Fotos oder Videos verfügt, oder andere Opfer, Zeugen beziehungsweise Täter identifizieren könnte, wird gebeten, die internationale Strafverfolgung zu unterstützen. Jede Polizeidienststelle könne anhand eines Fragebogens Hinweise entgegennehmen.

Oftmals geben Indizien konkrete Hinweise auf die Täter

Horst Schumacher könnte zum Beispiel auf dem Revier assistieren. Das würde er kostenlos machen. „Ich kann dann im Rahmen einer solchen Strafanzeige beantragen, bei einem etwaigen späteren Gerichtsverfahren als Zeugenbeistand beigeordnet zu werden, könnte dann die Flüchtlinge gegebenenfalls bis zu der Aussage in einem Prozess begleiten. Wenn sie nicht nur Zeugen, sondern selbst Betroffene oder Angehörige von Betroffenen wären, die anklageberechtigt sind, könnte ich auch einen Nebenklageantrag stellen, um die Flüchtlinge vor den Gerichten zu vertreten.“

Unmöglich ist es nicht, Täter zu identifizieren. Oftmals geben sich diese gar nicht die Mühe, sich unkenntlich zu machen. Spezielle Abzeichen auf den Uniformen geben Rückschlüsse auf die Armee-Einheiten. Teilweise wurden Personen sogar rückverfolgt auf russische Dating-Portale.

Das BKA geht Hunderten Hinweisen nach

Eine Anzeige könnte zwar anonym geschehen. Andernfalls, und das ist wie bei allen Verfahren: „Wenn es keine anonyme Anzeige ist, sind die persönlichen Daten in der Akte. Auch für die Gegenseite. Das ist üblich. So etwas wäre dann im Beratungsgespräch zu diskutieren, ob jemand das Risiko in Kauf nimmt, dass es möglicherweise Repressalien geben könnte.“

Zuletzt hatte der Präsident des BKA, Holger Münch, vor zwei Monaten von Hunderten Hinweisen auf russische Kriegsverbrechen in der Ukraine berichtet, denen die Behörde nachgehe. Das betrifft die unmittelbaren Täter, aber auch Verantwortliche in Militär und Politik – bis hoch zu Wladimir Putin. In der Ukraine ermittelt der Internationale Gerichtshof seit Monaten, Deutschland unterstützt dies finanziell. Auch Ermittler der ukrainischen Regierung erhalten Hilfe von der EU.

Anfang 2022 wurde ein Syrer in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt

Theoretisch könnten Kriegsverbrecher auch in Deutschland inhaftiert werden. Schumacher: „Wenn sich hier ein russischer Kriegsverbrecher, sei es auch nur ein kleiner Soldat, aufhalten würde, gegen ihn ein Verfahren laufen und er erkannt werden, dann würde er in Haft genommen, der Justiz zugeführt – oder auch an die Ukraine überstellt.“

Doch wie erfolgversprechend sind die Aufrufe? Zum Vergleich: Anfang des Jahres hatte das Oberlandesgericht Koblenz einen Syrer, der für den Geheimdienst Vernehmungen durchführte und folterte, unter anderem wegen 27-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte sich aus dem Bürgerkriegsland abgesetzt, war dann 2019 in Berlin festgenommen worden.

Das Vertrauen der Ukrainer in erfolgreiche Ermittlungen ist gering

Beim Verein der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit mit Sitz in Hamburg ist die Initiative von Horst Schumacher angekommen. Die Vorsitzende Anna Rempel stammt aus der Ukraine. „Als Juristin finde ich das Angebot großartig“, sagt sie. Aber sie ist aus einem anderen Grund skeptisch: „Die Menschen, die Schutzsuchenden, die geflüchtet sind - sie arbeiten daran, es hinter sich zu lassen. Darüber hinaus ist der Rechtsstaat in der Ukraine etwas anderes als in Deutschland, die Menschen haben nicht so viel Vertrauen in Staatsanwaltschaft oder Polizei.“

Berichte über Kriegsverbrechen hat sie selbst viele gehört, etwa aus Mariupol. Doch das führt zu einem weiteren Problem. „Die meisten Leute haben noch Verwandtschaft in besetzten Gebieten.“ Und fürchten sich davor, dass eine Anzeige in Deutschland Folgen für die Familie in der Ostukraine haben könnte. Und ein dritter Punkt frustriert die ukrainische Community: die öffentliche Debatte in Deutschland. „Es gibt viele, die sagen, Deutschland würde nie für die Ukraine eintreten, sondern sich bei einem Tribunal neutral verhalten. So wie die Politik mit der Ukraine umgeht – das spüren die Menschen.“

Rechtsanwalt Horst Schumacher ist unter 04193/997 49, erreichbar. Beratungsgespräche können im Büro, zu Hause oder bei der Flüchtlingshilfe stattfinden. Termine sind Dienstag und Mittwoch, 9 bis 16 Uhr, sowie donnerstags von 9 bis 14 Uhr möglich.