Kreis Segeberg. Ärzte im Kreis Segeberg und Krankenversicherungen melden steigende Zahlen. Doch es gibt auch gute Nachrichten.

Die Inzidenzen bei Corona sinken, doch die Zahl der Krankschreibungen erreicht ein rekordverdächtiges Niveau. Der Kaltenkirchener Hausarzt Jochen Gerlach spricht von einer extremen Situation. In seiner Praxis schreiben er und seine Kollegen 50 bis 60 Patienten pro Tag arbeitsunfähig. An normalen Tagen sind es zehn bis 15.

Gerlach gehört dem Vorstand des Ärztenetzwerks Huk und Hann an, zu dem sich Kollegen und Kolleginnen aus dem gesamten südlichen Kreis Segeberg zusammengeschlossen haben. In vielen Praxen sei diese „extrem ausufernde Situation“ vergleichbar. „Das geht in der Sprechstunde im Minutentakt“, berichtet der Mediziner.

Corona: „Extreme Situation“ – Krankschreibungen auf Rekord-Niveau

Die gute Nachricht: Schwerwiegende Corona-Verläufe sind mittlerweile selten. „Die große Dramatik ist inzwischen die Ausnahme“, sagte Gerlach. Viele Corona-Erkrankungen würden nur per Zufall entdeckt. Wer Symptome zeige, leide in der Regel wie bei einer normalen Erkältung. „Wir haben es eher mit einem organisatorischen als mit einem medizinischen Problem zu“, sagte Gerlach.

Besonders wichtig bleibe es, weiterhin vulnerable Gruppen wie die Bewohner von Altenheimen oder Patienten auf bestimmten Stationen der Krankenhäuser zu schützen. „Dort geht es weiter darum, Infektionsketten zu durchbrechen“, sagte Gerlach.

Als entspannt bezeichnete er dagegen die Belastung durch Patienten, die eine vierte Impfung wünschen. Die Wartezeiten betragen in den Praxen ein bis zwei Wochen. Ähnlich sieht es bei der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) aus. „Unsere Impfstellen sind derzeit wenig bis mäßig besucht“, sagte KVSH-Sprecher Nikolaus Schmidt.

Hausarzt Jochen Gerlach kritisiert den Bundesgesundheitsminister.
Hausarzt Jochen Gerlach kritisiert den Bundesgesundheitsminister. © Wolfgang Klietz

Als „unklar und irritierend“ bezeichnete Gerlach die Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) übers Impfen. Die Aussagen seien nicht eindeutig, zum Teil auch widersprüchlich. „Dieses Zickzack ist eines Gesundheitsministers extrem unwürdig“, sagte Gerlach. Ähnlich bewerten der Hausarzt und viele seiner Kollegen das Hin und Her bei der Frage, ob Krankschreibungen wieder telefonisch erfolgen können.

Barmer Ersatzkasse stellt Anstieg um 175 Prozent fest

Auch die Krankenversicherungen melden eine sehr hohe Zahl von Krankschreibungen wegen Corona-Infektionen. Nach Angaben der Barmer Ersatzkasse vom Montag waren in der Woche vom 17. bis 23. Juli rund 67.800 der dort versicherten Beschäftigten mit einer Covid-Infektion arbeitsunfähig. Das entspreche einem Anstieg um rund 175 Prozent im Vergleich zur Woche vom 29. Mai bis 4. Juni mit 24.600 Krankgeschriebenen.

Damit nähern sich die Krankschreibungen immer mehr dem Höhepunkt während der fünften Corona-Welle im Frühjahr dieses Jahres, wie die Barmer weiter mitteilte. In der Spitze waren demnach bis zu 88.600 Krankengeldanspruchsberechtigte arbeitsunfähig und zwar in der Woche vom 27. März bis zum 2. April.

Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß niemand. Grund hierfür könne sein, dass immer mehr Menschen darauf verzichteten, einen positiven Corona-Schnelltest mittels PCR-Test zu überprüfen. Doch nur mit PCR-Test bestätigte Infektionen fließen in die offiziellen Corona-Statistiken des Robert-Koch-Instituts (RKI) ein.

DAK: Corona führt zu 52 Fehltagen pro 100 Versicherten

Ähnliche Zahlen meldet die DAK für Schleswig-Holstein. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hätten sich Beschäftigte in Schleswig-Holstein deutlich häufiger krankgemeldet als im ersten Halbjahr 2021. Der Krankenstand sei bei ihren Versicherten um 0,7 Punkte auf 4,5 Prozent gestiegen, teilte die Krankasse DAK mit. Nach deren Angaben hatten Arbeitnehmer wieder so viele Fehlzeiten wie zuletzt vor der Corona-Pandemie. Jeder siebte Fehltag im Job sei auf eine Atemwegserkrankung zurückgegangen.

Corona verursachte 52 Fehltage pro 100 Versicherten, also fast neunmal so viele wie im Vorjahr. An jedem Tag des Halbjahres waren von 1000 Beschäftigten 45 krankgeschrieben – nach 38 im ersten Halbjahr 2021. Die Krankenkasse hatte alle Krankschreibungen von mehr als 117.000 Versicherten ausgewertet.

Corona: In anderen Bundesländern noch mehr Krankschreibungen

Auf 100 Beschäftigte kamen den Angaben zufolge im ersten Halbjahr insgesamt 807 Fehltage, 120 Tage mehr als in den ersten sechs Monaten des Vorjahres. Grund für den Anstieg seien vor allem die vielen Atemwegserkrankungen gewesen, hieß es. Diese seien hinter Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychischen Erkrankungen die dritthäufigste Ursache für ein Fehlen wegen Arbeitsunfähigkeit.

„Die Firmen in Schleswig-Holstein sind im Grunde noch glimpflich davongekommen“, analysierte der Leiter der DAK-Landesvertretung, Cord-Eric Lubinski. „Viele Bundesländer hatten von Januar bis Juni wesentlich mehr Corona-Fehltage als wir, Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel fast doppelt so viele.“

Beschäftigte in der Altenpflege fehlten in Schleswig-Holstein besonders häufig mit einer Krankschreibung bei der Arbeit. Sie hatten im ersten Halbjahr 2022 im Durchschnitt 1121 Fehltage je 100 Versicherten. In Kitas stieg die Zahl der Fehltage im Vorjahresvergleich von 751 Tagen auf 947.