Kaltenkirchen. Kaltenkirchener Stadtverwaltung stellt Urkunde und Medaille des Ehrentitels „Gerechter unter den Völkern“ aus.

Einer der größten Schätze der Stadt Kaltenkirchen lagert seit wenigen Wochen im zweiten Stock des Rathauses. Neben dem Büro von Bürgervorsteher Hans-Jürgen Scheiwe steht im Flur eine gläserne Vitrine mit einem Ausstellungsstück, das nur sehr wenige Städte in Deutschland ihr eigen nennen können.

Hier zeigt die Stadtverwaltung die Urkunde und Medaille mit der höchsten Auszeichnung, die der Staat Israel an Nichtjuden vergibt: Gerechter unter den Völkern. Der Kaltenkirchener Hans Stockmar erhielt posthum im Jahr 2001 den Ehrentitel von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, weil er während der Naziherrschaft einen Juden unterstützt und sich damit in höchste Lebensgefahr gebracht hat.

Kaltenkirchen: Auszeichnung für Hans Stockmar einmalig in Schleswig-Holstein

„Die Medaille ist ein Alleinstellungsmerkmal Kaltenkirchens in Schleswig-Holstein“, sagte der promovierte Historiker Gerhard Braas, der seit Jahren über die Stadtgeschichte forscht und Bücher dazu veröffentlicht hat.

Er war es, der die Urkunde vom Enkel Carolin Stockmar des 1961 verstorbenen Unternehmers entgegennahm und sie der Stadt feierlich übergab. Bürgermeister Hanno Krause bezeichnete das Wirken des Kaltenkircheners als beispielgebend für die Gesellschaft: „Stockmar war jemand, der sich als Mensch für einen anderen Menschen unter Gefahr für sein eigenes Leben eingesetzt hat.“

Unternehmer schickte Pakete und Briefe ins Warschauer Ghetto

Der Anthroposoph und Unternehmer führte im Zweiten Weltkrieg eine Fabrik zur Herstellung von Wachs und stellte Kerzen her, die als kriegswichtig eingestuft worden waren. In dieser Zeit pflegte Hans Stockmar intensiven Kontakt mit seinem ehemaligen jüdischen Mitarbeiter Joseph Gelbart, der ins Warschauer Ghetto deportiert worden war und 1942 starb. Beide Männer schrieben sich gegenseitig Briefe, von denen die erhalten sind, die Gelbart nach Kaltenkirchen schickte. Kurios: Braas’ Großvater war Postbote in Kaltenkirchen und hatte die Briefe ausgetragen.

Der Fabrikant Stockmar bewies Zivilcourage, machte aber selbst kein Aufhebens um seine Aktionen. Erst 35 Jahre nach dem Tod wurde sein Wirken bekannt. Mit Gelbart verband ihn eine tiefe Freundschaft. Stockmar schickte ins Ghetto Briefe und Päckchen mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen, die Josef Gelbart und seiner Mutter eine Zeit lang das Überleben sicherten. „Im Übrigen ist es gleichgültig, was sie schicken“, steht in einem der Briefe Gelbarts an Stockmar. „Nur ziehen Sie Ihre Hand in diesen dunklen Stunden nicht zurück und verzeihen Sie, dass ich Ihnen so viele Umstände bereite. Aber ohne Brot und Butter bringe ich meine Mutter nie durch.“ Stockmar, der väterliche Freund, schickte Jacke, Weste, Strümpfe, Batterie für das Hörgerät, Flocken, Honig, Pullover, Bohnen, Zahnpasta, Seife, Nivea, Gries, Spaghetti, Kekse, Kerzen.

Wie es Stockmar gelang, einen Juden im Getto zu unterstützen, ohne selbst ins Visier der Gestapo zu geraten, ist unklar. „Vielleicht hat ihm der Zufall das Leben gerettet“, sagte der Bürgermeister. Sein erster Vorgänger nach dem Zweiten Weltkrieg war kurz nach britischen Besatzung Kaltenkirchens durch eine Urwahl ins Amt gekommen, die Stockmar organisiert hatte. „Stockmar wollte hier die Demokratie aufbauen“, sagte Braas.

AfD wollte den Zusatz „Antifaschist“ streichen

Vor wenigen Tagen wurde Stockmar eine weitere Ehre zuteil. Die Hans-Stockmar-Straße im Gewerbegebiet im Süden der Stadt erhielt ein neues Zusatzschild. Auf dem alten, das demontiert wurde, stand: „Begründer der Wachsschmelze Kaltenkirchen 1922, *17. 03. 1890, + 16. 01. 1961“. Das neue Schild weist außerdem auf die Verdienste des Unternehmers als „Antifaschist und Gerechter unter den Völkern“ während der Nazi-Herrschaft hin. Die Stadtvertretung hatte die Ergänzung am 24. Mai beschlossen, die Braas vorgeschlagen hatte. Er gehört der SPD-Fraktion des Stadtparlaments an

Das Unternehmen Hans Stockmar mit Sitz an der Borsigstraße feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen und stellt heute eine anthroposophisch ausgerichtete Produktpalette mit Wachsmalfarben, Aquarellfarben und Kerzen aus Bienenwachs her.

Bürgermeister: Kaltenkirchen kann stolz auf Antifaschisten sein

Die Stadtverwaltung hatte ausdrücklich die Ergänzung befürwortet, die von einer großen Mehrheit mit 23 Ja-Stimmen beschlossen wurde. Die AfD-Fraktion stimmte dagegen, hinzu kamen sechs Enthaltungen, davon vier in der CDU-Fraktion. Streitpunkt war die Bezeichnung Antifaschist, die zutreffend ist, aber in den Ostblockstaaten und in der heutigen linksextremen Szene, Stichwort Antifa, anders definiert wird als der historische Begriff. Der Antrag der AfD, auf den Zusatz Antifaschist zu verzichten, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.

Das Zusatzschild am Straßenschild soll eine Geste der Anerkennung sein“, sagte Bürgermeister Hanno Krause. Braas meint: „Kaltenkirchen kann stolz auf diesen mutigen und tatkräftigen Antifaschisten sein.“