Norderstedt. Es sei ein großes Glück, sagt Signe Groß, dass sie einen Beruf habe, in dem sie überall auf der Erde arbeiten und dabei Menschen auch noch helfen könne. „Das ist mein tiefster Beweggrund“, sagt die 57 Jahre alte Zahnärztin.
Seit 1988 hatte sie auf dem Behandlungsstuhl in ihrer Praxis an der Ulzburger Straße unzählige Norderstedter unter dem Bohrer. Das sei ihr Routinealltag, wie Signe Groß ihn nennt. Aus dieser Routine hin und wieder auszubrechen, ist für sie aber ebenfalls zur Routine geworden.
Signe Groß packte in Norderstedt schon oft ihr Zahnarztbesteck zusammen und brach in die weite Welt auf. „Ich habe Bedürftige in den Favelas von Brasilien untersucht und behandelt“, sagt sie. Auch den bettelarmen Hochlandbauern in den Anden hat die Norderstedterin schon auf den Zahn gefühlt. Und in einem Nonnenwohnheim in Kenia kümmerte sie sich mit den Ordensschwestern um Frauen und Kinder, die HIV-positiv getestet waren.
Einmal im Monat geht sie auf Tour
Doch 2014 änderte Signe Groß ihren Fokus. Nicht mehr der Not in der weiten Welt, sondern jener direkt vor der Haustür galt fortan ihr Engagement. Über eine Freundin wird sie auf die rollende Zahnarztpraxis des Caritas-Verbandes in Hamburg aufmerksam. 27 ehrenamtliche Zahnärzte wechseln sich hier ab und behandeln an verschiedenen Standorten in der Hansestadt in einem Zahnmobil Obdachlose und Flüchtlinge. Signe Groß ist seit 2014 eine von ihnen. Einmal im Monat geht sie mit dem Mobil auf Tour und behandelt zwischen fünf und acht Bedürftige pro bono. Seit das Mobil im März 2008 startete, wurden in ihm bis heute 8034 Behandlungen gemacht.
„Das war besonders herausfordernd, als 2015 die Flüchtlinge kamen und die Organisation in den Unterkünften noch nicht ganz stand.“ Die Zahnärzte behandelten unzählige Kriegsflüchtlinge ohne Krankenversicherung unter erschwerten Bedingungen. „Wir haben in dem Wagen kein Röntgengerät oder andere technische Ausstattung. Und das macht es auch wieder spannend. Da kommt mir meine Erfahrungen im Ausland zugute.“ Der Kontrast der Arbeit im Zahnmobil zum Alltag sei extrem. „Da kommst du aus deiner gut behüteten, bürgerlichen Norderstedt-Welt in diese Milieu in St. Georg.“ Vor der Obdachlosen-Unterkunft Pik As steht Signe Groß in letzter Zeit häufig mit dem Zahnmobil. Sie schätzt die vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den Menschen von der Straße und den Ärzten. „Ich fühle mich geborgen in diesem Milieu. Die Menschen behalten ihre Würde trotz aller Widrigkeiten.“
Was sie in den Mündern der Obdachlosen vorfindet, ist selbst für eine erfahrene Zahnärztin eine große Herausforderung. „Man weiß nie, wer durch die Tür kommt und in welchem Gesamtzustand derjenige ist.“ Da viele Patienten an mehreren Krankheiten leiden, darunter TBC und Hepatitis, müssen sich die Mediziner bei ihrem Einsatz besser schützen als im Praxisalltag. Jeder Patient muss zum Beispiel vor der Behandlung im Zahnmobil eine Minute lang den Mund mit einer Viren abtötenden Flüssigkeit spülen.
Jetzt geht’s zu einer ganz besonderen Mission
Das Engagement vor der eigenen Haustür sorgt dafür, dass Signe Groß nun erneut ins Ausland aufbricht – zu einer ganz besonderen Mission. Groß wird eine von 30 Haupt- und Ehrenamtlichen sein, die zwischen dem 11. und 13. November zum Jubiläumsfest im Jahr der Barmherzigkeit (Fratello) zu Papst Franziskus nach Rom fahren werden – als Begleiter von 70 Obdachlosen aus Hamburg und Umgebung. Unter anderen wird Signe Groß dabei auch mit Tabea Müller von der Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose (TAS) unterwegs sein, die mit zwei Obdachlosen aus Norderstedt nach Rom reist.
Die Hamburger Delegation wird mit 6000 weiteren Obdachlosen aus ganz Europa und deren Begleitern vom Papst empfangen. Franziskus wird mit allen am 13. November auf dem Petersplatz in Rom einen Gottesdienst feiern. Signe Groß: „Ich glaube, dass dies ein ganz besonderes Erlebnis für alle Beteiligten sein wird.“
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