Günter Eisele ist einer von 4000 altersverwirrten Menschen im Kreis Segeberg. Immer montags treffen sich Erkrankte und Ehrenamtliche im Gemeindehaus der Paul-Gerhardt-Kirche in Norderstedt

Herr Eisele ist ein rundherum witziger Mensch. Einen Witz aber hat er gerade nicht parat: „Ich bin leider nicht vorbereitet“, sagt er, „sonst hätte ich einen erzählt.“ Das glaubt man gerne. Günter Eisele ist an diesem Nachmittag im Gemeindehaus der Norderstedter Paul-Gerhardt-Kirche zweifellos der munterste Besucher. Wer ihn sieht, käme kaum auf die Idee, dass hier ein Mann sitzt, Kaffee trinkt, Kuchen isst und munter plaudert, der an einer Demenz erkrankt ist. Einer von etwa 4000 altersverwirrten Menschen im Kreis Segeberg. Die häufigste Ursache ist die Alzheimer-Krankheit.

An diesem Montag treffen sich kranke Menschen und Ehrenamtliche, um in entspannter Atmosphäre gemeinsam einige Stunden zu verbringen. Drei Stunden, von 14.30 bis 17.30 Uhr, in der die Angehörigen entlastet sind, die betroffenen Menschen gefordert und gefördert werden. An diesem Nachmittag ist die Zahl der Betreuerinnen und Betreuer – zum Team gehört ein Mann – ebenso groß wie die Zahl der Erkrankten. Das ist gewollt: Eine Betreuungsperson für jeden Erkrankten, im Höchstfalle eine Betreuungsperson für zwei Erkrankte. Die Alzheimer Gesellschaft Norderstedt-Segeberg sorgt in Kooperation mit dem Pflegestützpunkt im Kreis Segeberg für die Schulung der ehrenamtlich Tätigen, die mit zehn Euro Aufwandsentschädigung pro Einsatz belohnt werden. Meistens melden sich, das hat die Praxis gezeigt, Frauen, die gerne helfen möchten. Dabei sind Männer natürlich genauso willkommen.

Alle etwa 80 ehrenamtlichen Helfer haben eine Schulung absolviert

Aber das Geld ist den Frauen und dem Mann, die diese Arbeit leisten, nicht wichtig. Es ist eine politisch gewollte Entschädigung, um zu zeigen, wie wichtig dem Staat diese ehrenamtliche Tätigkeit ist. Patricia Taggart, 60, ist seit zweieinhalb Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin, die einmal in der Woche in die Gemeinderäume der Paul-Gerhardt-Kirche kommt, um mit den Erkrankten ein paar Stunden zu verbringen. Sie weiß, was es bedeutet, einen Menschen mit dementieller Erkrankung zu betreuen: Die Schwiegermutter ist an Alzheimer erkrankt. Sie hat gemerkt, was die Krankheit mit einem Menschen macht: „In den zweieinhalb Jahren habe ich erlebt, wie viele unserer Besucher nicht mehr kommen, weil die Krankheit zu weit fortgeschritten ist.“

Patricia Taggart war früher Vorstandsassistentin in der freien Wirtschaft, nach ihrem Eintritt in den Ruhestand wollte sie etwas tun, womit sie anderen helfen kann. Wie alle anderen etwa 80 ehrenamtlichen Helfer im Kreis Segeberg hat sie eine Schulung mitgemacht, um sich auf diese Aufgabe in der Betreuungsgruppe für Menschen mit Demenz vorzubereiten.

Die Atmosphäre in dieser Gruppe ist entspannt. Wer hier krank ist, wer gesund, ist für den Laien auf den ersten Blick überhaupt nicht zu bemerken. Einige Erkrankte unterhalten sich mit den Tischnachbarn, andere sind eher still. Dazu gehört Günter Eisele nicht. Er ist munter und beantwortet jede Frage. Bei seinem Alter ist er jedoch etwas ungenau: 81 oder 82, irgendwie so.“ Tatsächlich ist er 1929 geboren, also 85 Jahre alt. Er kontert: „Na ja, so hoch wollte ich nicht gehen, um noch ein paar Jahre in Reserve zu behalten.“ Eine Dame am anderen Ende des Tisches ist sehr ruhig. Bei ihr sei die Krankheit schon weiter fortgeschritten, sagt Dr. Dagmar Boxhammer vom Pflegestützpunkt im Kreis Segeberg. Auch das ist nicht ohne Weiteres zu erkennen.

Nach dem Kaffeetrinken bilden alle gemeinsam einen Stuhlkreis. Die hauptamtliche Gruppenleiterin Ulrike Fust liest zunächst einige Witze vor, die für fröhliches Gelächter sorgen. Dann wird gesungen: „Lustig ist es im grünen Wald“. Dazu schunkeln alle. Anschließend kommt der Stoffball ins Spiel: Wer ihn auffängt, muss einen Städtenamen nennen. Das gelingt fast allen sehr schnell. Bei den Flüssen geht es schon etwas langsamer, aber alle bewältigen diese Aufgabe mit mehr oder weniger langer Denkpause. Die Dame mit der am weitesten fortgeschrittenen Demenz hat die größten Schwierigkeiten, aber auch sie kann sich aktiv an dem Spiel beteiligen. Sichtlich Freude macht den meisten das Namensspiel: Ulrike Fust ruft bekannte Namen – meistens von älteren oder verstorbenen Persönlichkeiten – in die Runde, die dann um die richtigen Vornamen ergänzt werden sollen. „Dietrich“, ruft sie. „Marlene“, kommt prompt die Antwort. Kästner, Rühmann, Schmidt... Selbst die Vornamen von Churchill und de Gaulle fallen einigen ein. Bundeskanzlerin Merkel wird der Vorname „Angy“ zugestanden.

Die Angehörigen von Demenzkranken müssen oft ihr ganzes Leben umstellen

Ulrike Fust liest eine Geschichte für alle, „die vor 1939 geboren sind“. Und tatsächlich löst sie Erinnerungen aus: Plötzlich wird vom Holzhacken, vom Kühemelken und von der einklassigen Dorfschule berichtet. Heidrun Reinke, ebenfalls eine ehrenamtliche Helferin, macht anschließend allerlei Sitzübungen zum Mitmachen vor. Daran haben alle genauso viel Freude, wie beim anschließenden Kegeln. Für die Teilnehmer und für die ehrenamtlichen Helfer scheint es ein entspannter Nachmittag zu sein. Alles, was leicht, locker und zufällig aussieht, ist vom Team jedoch geplant, für jede unvorhergesehene Situation gibt es erlernte Maßnahmen, die bei der Bewältigung helfen. Am Ende eines jeden Gruppennachmittags gibt es eine Teambesprechung. Für alle ehrenamtlich Tätigen wird einmal im Jahr, praktisch als „Belohnung“ für den unermüdlichen und selbstlosen Einsatz, eine gemeinsame Ausfahrt angeboten.

Zu Hause allerdings sind die Angehörigen gefordert. „Die Pflege und Betreuung eines demenzkranken Menschen stellt die Angehörigen vor täglich neue Aufgaben und Herausforderungen“, sagt Ulrich Mildenberger vom Pflegestützpunkt und der Alzheimer Gesellschaft. „Oft ist eine vollkommene Umstellung der bisherige Lebensplanungen notwendig, die innerfamiliäre Aufgaben- und Rollenverteilung muss oft überdacht werden.“ Er und seine Kollegin Dagmar Boxhammer weisen darauf hin, dass zwei Dinge wesentlich zum Gelingen der schweren Aufgabe beitragen können: „Wichtig ist der Austausch mit ebenfalls Betroffenen und die Vermittlung von Informationen zum Krankheitsbild, zu Möglichkeiten des Umgangs, zu Entlastungsangeboten und Vorsorgemaßnahmen.“