In Henstedt-Ulzburg wurde ein vorbildliches Projekt aus der Taufe gehoben: Flüchtlinge können beim TC Alsterquelle kostenlos trainieren

Henstedt-Ulzburg. Auf den ersten Blick erscheint die Halle des Tennisclubs Alsterquelle verlassen. Von außen ist kaum Licht zu erkennen, was nicht verwunderlich ist. Um die Mittagszeit ist hier für gewöhnlich nicht allzu viel los, da viele Vereinsmitglieder zu dieser Zeit arbeiten müssen oder sich bereits in den Vormittagsstunden ihrem Lieblingssport gewidmet haben.

Beim Betreten der Vereinsräume an der Wilstedter Straße im Ulzburger Ortsteil Rhen wird klar, dass der Eindruck dieses Mal täuscht. Aus der Halle sind Geräusche zu hören, hier wird eindeutig Tennis gespielt. Trainer Olaf Storr gibt Anweisungen, seine Schüler versuchen zu folgen. Das ist nicht ganz einfach, denn die jungen Männer, die hier den kleinen Filzkugeln hinterherjagen, halten größtenteils zum ersten Mal in ihrem Leben einen Tennisschläger in der Hand. Sie alle stammen aus Syrien und mussten ihr Land verlassen, um Terror und Kriegstreiben zu entgehen. Wären sie dort geblieben, hätten sie als Soldat in den Krieg ziehen müssen. Bei einer Weigerung, wäre ihnen eine Gefängnisstrafe – oder Schlimmeres – sicher gewesen. Andere erlebten, wie ihr Haus oder ihre Arbeitsstätte zerbombt wurde. Beim Tennisclub Alsterquelle können sie regelmäßig zumindest für kurze Zeit vergessen, was sie durchgemacht haben. Denn in dem Tennisclub können sie unter fachlicher Anleitung Tennis spielen und sich für ein paar Stunden so richtig auspowern. Bezahlen müssen die Flüchtlinge dafür nichts.

Einer der jungen Männer ist Mohammad. Der 23-Jährige flüchtete im vergangenen Jahr über Algerien durch die Wüste an die Mittelmeerküste. Dort bestieg er wie Tausende andere Schicksalsgenossen ein Boot, das ihn nach Lampedusa brachte. Über Mailand gelangte er nach Frankreich und schließlich nach Deutschland. Im September kam Mohammad im zentralen Flüchtlingslager in Dortmund an und wurde weiter nach Neumünster vermittelt. Die Reise endete in Henstedt-Ulzburg, wo er mittlerweile eine kleine Wohnung bezogen hat und im Gegensatz zu vielen anderen Flüchtlingen auch alleine wohnen kann.

Die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat ist zwar vorhanden, momentan aber so gut wie ausgeschlossen. „Man muss sich ja nur die Berichte und Bilder im Fernsehen anschauen“, sagt er. Der Frust über das Erlebte ist groß. Hinzu kommt die Unsicherheit, ob der gestellte Asylantrag genehmigt wird oder nicht. Viele Formulare müssen innerhalb kürzester Zeit ausgefüllt und abgeschickt werden – ohne Hilfe sind die jungen Araber aufgeschmissen.

Unterstützung bekommen sie vom Willkommens-Team Henstedt-Ulzburg. Eine der dort ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen ist Marlies Hugger. Um die Zeit bis zum offiziellen Deutschkursus Staff (Starterpaket für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein) zu überbrücken, wird seit November unter ihrer Regie einmal pro Woche im Bürgerhaus fleißig Deutsch gebüffelt. Die 66-Jährige hatte auch die Idee, den teilweise traumatisierten Männern ein wenig Normalität in Form von sportlicher Betätigung zu bieten.

„Ich habe beim Vorstand des TC Alsterquelle eine Anfrage auf Hallennutzung gestellt und sofort eine positive Rückmeldung erhalten“, sagt Marlies Hugger, die zusammen mit Ehemann Ejnar in ihrer Freizeit beim TCA Tennis spielt. Als Vereinschef Christian Ladehoff von ihrem Anliegen erfuhr, war er sofort begeistert. „Wir freuen uns, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten den Flüchtlingen auf diese Art und Weise ein wenig helfen können. Die zur Verfügung gestellte Zeit wird nicht regelmäßig von Vereinsmitgliedern gebucht, darauf haben wir schon geachtet“, sagt Christian Ladehoff und fügt hinzu: „Diese Aktion geht zunächst bis zum Ende der Wintersaison.“

Für Olaf Storr, den Inhaber einer Tennis- und Golfschule, ist eine Mithilfe ebenfalls selbstverständlich. Der 47-Jährige engagiert sich schon länger in sozialen Projekten und gibt den Neu-Ulzburgern kostenlosen Unterricht. Und der ist auch dringend nötig, denn ganz so leicht, wie sich Mohammad und seine Mitstreiter den Umgang mit Schläger und Ball vorgestellt haben, ist dieser dann doch nicht. Die Grundlagen müssen mühsam erlernt werden. Mohammad sagt selbstkritisch:. „Am meisten Probleme habe ich beim Aufschlag über Kopf. Das klappt noch nicht. In Syrien habe ich andere Sportarten wie Fitness und Muskeltraining betrieben.“

Auch wenn die Bälle nicht immer dort landen, wo sie sollen, ist die Stimmung gut; Teilnehmer und Übungsleiter haben viel Spaß. Und das ist auch das Ziel: Die Freude an der Bewegung und das Miteinander stehen im Vordergrund. Alle sind froh, dass sie sich mal richtig „austoben“ können. Zerstreuung ist wichtig, denn zu tun haben die Geflohenen nicht viel. Arbeiten dürfen die meisten noch nicht. Viel Geld hat niemand zur Verfügung, die Freizeit darf möglichst nichts kosten. Umso dankbarer sind die Tennis-Neulinge für die Möglichkeit, ein paar Stunden kostenlos zu trainieren.

60 Minuten wird unter Anleitung geübt. Anschließend wird gespielt, meistens im Doppel. Nach zwei Stunden sind alle Beteiligten erschöpft, aber zufrieden. Mohammad hat die schweißtreibende Angelegenheit genossen. Ehrgeizig ist der junge Syrer aber nicht nur im Sport. „Ich will schnell die deutsche Sprache lernen, damit ich hier weiter studieren kann. Bis es soweit ist, sind Geduld und Ausdauer gefragt – wie im Tennis eben auch.“