Wie mit dem Neuköllner Modell der Berliner Jugendrichterin in Norderstedt die Jugendkriminalität bekämpft wird

Norderstedt. „Es kann nicht sein, dass ein 14-Jähriger vor mir steht, Käppi verkehrt rum auf’m Kopf, Hände in den Hosentaschen, 60 Straftaten begangen. Und Kaugummi kauend sagt: Mir kann eh keiner was.“ Zitate wie diese haben aus der Jugendrichterin Kirsten Heisig vom Amtsgericht Tiergarten im Bezirk Berlin-Neukölln für die breite deutsche Öffentlichkeit eine Heldin des Alltags gemacht, die Recht spricht mit gesundem Menschenverstand.

2010 nahm sich Kirsten Heisig das Leben. Doch ihre Idee lebt. Posthum erschien Heisigs Buch „Das Ende der Geduld – Konsequent gegen Jugendgewalt“. Es ist das Vermächtnis einer Juristin die davon überzeugt war, dass die Gesellschaft den Kampf gegen die Jugendkriminalität nur gewinnen kann, wenn sie rasch und konsequent handelt und die Rechts- und Werteordnung entschlossen durchsetzt. „Liegt uns an unserer Gesellschaft und deren Werten etwas, dann ist Gleichgültigkeit das Letzte, was wir uns erlauben können. Passivität tötet.“

Die juristische Entsprechung dieser These war Heisigs Neuköllner Modell, die beschleunigte Strafverfolgung von Jugendlichen. Wer Mist gebaut hat, soll möglichst schnell vor Gericht landen. Strafe folgt wieder auf dem Fuß. Höchstens drei bis fünf Wochen nach der Tat. Der frühe Schuss vor den Bug soll den jugendlichen Straftäter von der kriminellen Laufbahn werfen.

Vier Jahre nach Heisigs Tod ist das Modell in vielen deutschen Städten zum Regelfall geworden. Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgericht und kriminalpräventive Einrichtungen arbeiten Hand in Hand. In Norderstedt wurde das in Schleswig-Holstein vorbildlich umgesetzt. „Die Zusammenarbeit funktioniert in Norderstedt sehr gut“, sagt die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß. „Und das liegt auch den handelnden Personen.“

Wolfgang Banse vom kriminalpräventiven Rat ist einer davon. Mittlerweile Pensionär, war er über Jahre als Jugendbeauftragter der Norderstedter Polizei eine treibende Kraft der konzertierten Strafverfolgung von Jugendlichen. Heute engagiert er sich nach wie vor in der Präventionsarbeit. „Fünf Säulen hat das Modell in Norderstedt“, sagt Banse. Zunächst mit Claudia Neumann eine engagierte Jugendrichterin am Amtsgericht Norderstedt, die sich von jugendlichen Straftätern nicht veralbern lasse. Dazu eine Staatsanwaltschaft in Kiel, die auf Zuruf die Akte eines jugendlichen Delinquenten ganz oben auf den Stapel legt, damit ein Urteil schnell ergehen kann. Sowie eine Norderstedter Polizei, die schnell und effektiv arbeite. Die letzten beiden Säulen stehen weit vor und direkt hinter einem Urteil. Zum einen die Schulsozialarbeit, die in Norderstedt bereits an den Grundschulen Tendenzen bei auffälligen Jugendlichen entdeckt. Und zum anderen die Angebote des kriminalpräventiven Rates, die straffällig gewordenen Jugendlichen dabei helfen, aus ihrer Situation mit eigener Kraft heraus zu kommen.

Das System wirkt. Sandra Wulff, Leiterin der dreiköpfigen Ermittlungsgruppe Jugend bei der Norderstedter Polizei, kennt die Zahlen. „Zurzeit haben wir in Norderstedt 13 jugendliche Intensivtäter und zwei Schwellentäter, hiervon sind elf Jugendliche und vier Heranwachsende.“ In diesem Jahr sind diese und weitere jugendliche Täter für insgesamt 65 Straftaten in der Stadt verantwortlich. „Doch die Fallzahlen sind in den letzten Jahren rückläufig gewesen. Durch eine zeitnahe Verurteilung ist eine abschreckende Wirkung gegeben“, sagt Wulff.

Wolfgang Banse sagt, früher waren es in Norderstedt immer mehr als 30 Intensivtäter, die die Stadt unsicher machten. Aber mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass Norderstedter Behörden nicht lange zögern. „Die Intensivtäter sprechen ja auch untereinander. Und die Wiederholungstäter wissen, dass sie sich nichts mehr erlauben dürfen. Sie haben erkannt: Die Richterin in Norderstedt, die sperrt mich weg“, sagt Banse.

Auf der anderen Seite findet die Jugendrichterin Claudia Naumann im gut ausgebauten präventiven Hilfenetz in Norderstedt auch immer eine Möglichkeit, wenn jugendliche Verurteilte Hilfe suchen. Wer nach dem vierten oder fünften Mal vor Gericht zugibt, dass er alleine die Kurve nicht bekommt, dem kann in Projekten wie „Plan haben“ oder „Mach was“ ein ehrenamtlicher Pate an die Seite gestellt werden, der bei den ersten Schritten in ein geordnetes Leben hilft.