Yoga und HIIT sind zwei Möglichkeiten, sich im Stadtpark fit zu halten. Steffen Lüdke hat sie für das Abendblatt getestet

Die Uhr des Trainers zeigt Punkt 10 Uhr, auf den Norderstedter Stadtpark brennt die Sonne herab, Ausreden zählen nicht mehr. „Bis ans Limit“ schreien die Menschen um mich herum. Sie tragen Shorts, seltsame Neon-Shirts und reißen ihre Hände in die Höhe. Wenige Sekunden später rennen wir die Treppen des Aussichtspunkts neben der Waldbühne herab – Aufwärmen nennt sich das beim HIIT.

HIIT, das ist „Hoch-Intensitäts-Intervall-Training“. Oder auch: Training bis fast zum Erbrechen. Nach wenigen Minuten ist es soweit. Der erste Teilnehmer hängt über den Büschen, wir haben soeben den dritten von acht 50-Meter-Sprints absolviert. Dazwischen liegen rund 20 Sekunden Pause – falls man nicht langsamer wird. Wer fünf Sekunden länger braucht, hat fünf Sekunden weniger Pause.

Was sich anhört wie eine perfide Foltermethode, ist in Wahrheit das erste Intervall einer Trainingsstunde mit Markus Tröger. Hauptberuflich arbeitet er als Projektleiter bei Lufthansa-Technik. Nebenbei ist Tröger Coach im Hamburger Fitnessstudio Elixia und drillt immer sonnabend seine Schützlinge im Norderstedter Stadtpark. Motto: „Schön wird’s erst hinterher.“

Der sich über die Büsche bückende Mann ist muskelbepackt. Seine Freizeit, so scheint es, verbringt er im Fitnessstudio. Das kommt bei mir eher selten vor. Das rettende Tor aus Eisenstangen scheint ziemlich weit weg. Ich bin mitten im vierten Lauf und zermartere mir das Hirn – wie soll ich die Tortur bloß durchstehen? Mein Tempo wird langsamer, die Beine sind plötzlich schwer. „Genau“, ruft Tröger. „Jetzt merkt ihr, wie der Körper runterfährt.“ Während mein Körper also runterfährt, kriecht ein flaues Gefühl langsam meinen Magen hinauf.

Auf dem Weg zum Kundalini-Yoga geht es vorbei am Bustan, dem biblischen Garten des Stadtparks. Auf einer Lichtung sitzt Yogalehrerin Evelyn Rancka mittig auf ihrer weißen Felldecke, als ob es ein fliegender Teppich wäre, und begrüßt lächelnd ihre Schüler. Rancka ist 63 Jahre alt und hat die Ausstrahlung einer Dreißigjährigen – kann also nicht schaden, dieses Kundalini-Yoga. Den Altersschnitt der Gruppe ziehe ich deutlich nach unten. Ein älterer Herr macht sich gerade auf den Nachhauseweg. Als er mich dabei erspäht, wie ich mit allen Gliedmaßen einigermaßen verzweifelt versuche, meine Isomatte am Einrollen zu hindern, dreht er lächelnd wieder um. „Als einziger Mann wollte ich das hier nicht machen“ sagt er. So aber setzt er sich artig neben seine Frau.

Ein paar vereinzelte Bäume spenden Schatten auf der Lichtung. Nebenan im Bustan wird meditiert, die Luft ist so rein, wie sie nur sein kann. Kundalini-Yoga soll Körper, Geist und Seele harmonisieren. „Jede Übung hängt mit der Atmung zusammen“, erklärt Evelyn Rancka. „Sie hilft euch, die schweren Übungen durchzustehen.“ Im Stehen lassen wir die Arme kreisen. Die ersten Dehnübungen sind noch angenehm, selbst für ehemalige Fußballerbeine, dann fängt es langsam an zu ziehen. Früher konnten noch verkürzte Muskeln als Ausrede für mangelhafte Beweglichkeit herhalten. Heute muss man es wohl ungelenk nennen, wie ich mit meinen Fingerkuppen verzweifelt nach den Zehenspitzen schnappe. „Wer es nicht bis ganz nach unten schafft, greift die Knöchel“, dringen Ranckas melodisch klingende Worte an mein Ohr – ein fairer Kompromiss.

„Come on“, schreit mich Markus Tröger an. Kompromisse gibt es bei ihm nicht. Das flaue Gefühl bahnt sich seinen Weg vom Magen in Richtung Brust und Kehle. Mechanisch laufen die Beine weiter. Die Pausen werden immer kürzer. Ich bereue die sechs kleinen Aufback-Brötchen mit Nutella, die es zum Frühstück gab, verfluche den großen Cappuccino, den ich oben drauf geschüttet habe.

Noch zweimal 50 Meter sprinten. Aufgeben ist jetzt keine Option mehr, wie aber behalte ich die Nutella-Brötchen bei mir? „Jetzt haut ihr alles raus“, ruft der Coach. „Das ist der letzte Weg.“ Dieser Weg wird kein leichter sein, denke ich bei mir und wundere mich im nächsten Moment, wie ich auf die Idee komme, zynisch Xavier-Naidoo-Texte zu rezitieren, während ich keuchend am eisernen Torpfosten hänge.

Drei. Zwei. Eins – los! Die viel zu kurze Pause ist vorbei. Ich habe schon drei Meter Rückstand, bevor ich überhaupt losgelaufen bin. Dämlicher Naidoo-Ohrwurm. Schritt für Schritt kommt die Intervallpause näher. Auf den letzten Metern gerät der Sprint zum Trab. „Super“, lobt Markus Tröger und erzählt irgendetwas von aeroben und anaeroben Schwellen.

Die Botschaft geht allerdings unter im Gluckern des Wassers, das meine Kehle herunterrinnt. „Auf geht’s zu den Klimmzugstangen“, höre ich gerade noch. Klimmzüge, klar – genau darauf hätte ich jetzt Lust, geht es mir durch den Kopf.

„Ein-atmen. Aus-atmen.“ Evelyn gibt den Rhythmus vor. Den Kampf mit der Isomatte habe ich noch nicht gewonnen. Erfolglos versuche ich, meine Beine in einen angedeuteten Schneidersitz zu knoten. Wie soll das auch gehen? Unter mir drücken faustgroße Steine durch die Matte. Überhaupt sitze ich abschüssig. Dann machen wir die Waschmaschine. Die Hände liegen auf unseren Schultern. Im Takt des Atems drehen wir die Wirbelsäule, links, rechts, einatmen, ausatmen. Langsam werde ich schneller, Atmung und Bewegung sind jetzt eins, die technischen Probleme mit der Isomatte vergessen, es ist wie ein Rausch.

Kundalini-Yoga ist aber nicht nur Entspannung. Auf dem Rücken liegend strecken wir Arme und Beine im 90-Grad-Winkel gen Himmel. Das Panorama könnte schöner nicht sein. Das Bild der beruhigend langsam vorbeiziehenden Wolken wird schnell von einem Zucken im Bauch gestört. Nach einer Weile schmerzen die Muskeln und betteln um Erlösung. „Und noch ein bisschen halten“ sagt Evelyn in ihrem melodischen Singsang. Die Sanftheit der Stimme hat etwas sadistisches. Gut, dass die nächste Übung etwas für Faulpelze zu sein scheint: Die Arme seitlich gestreckt, sitzen wir auf unseren Matten. Mit den Handflächen nach oben ballen wir die Finger blitzschnell zu Fäusten. Immer wieder, bis die Unterarme erlahmen – und noch ein bisschen länger. Zu früh gefreut.

Die Klimmzugstangen sind nicht mein einziges Problem, das realisiere ich schnell. Markus Tröger packt die Medizinbälle aus. Die aufzuheben, dynamisch über den Kopf zu wuchten und dabei aus der tiefen Hocke in die Luft zu springen, das ist die erste von vier Übungen. Klimmzüge, Liegestütze und Trizeps-Dips vervollständigen das Intervall. Die Vorgabe: Drei Durchläufe. Zwischen jedem Zyklus wartet ein Sprint zum Sportplatz auf uns. Die Pausen bestimmen wir selbst. „Jeder geht hier an sein Limit“, sagt Markus Tröger. „Egal wie gut ihr trainiert seid.“ Anfangs wuchte ich den Medizinball noch mit einem Sprung aus der Hocke nach oben. Der erste Sprint zum Sportplatz gibt mir den Rest. Das Medizinballwuchten wird lethargisch, bei den Klimmzügen brennen die Arme. Die dämliche Eisenstange hängt direkt vor meinen Augen und will einfach nicht näherkommen. Mit aller Macht strecke ich Hals und Kinn nach oben, das bringt locker zwei Zentimeter. Gerade eben so kann ich die Stange unters Kinn klemmen, dann ertönt das rettende Tröten von Trögers Zeitschaltuhr.

Auf der Lichtung neben dem Bustan bittet Evelyn zur Körperreise. Platt liege ich rücklings auf der mittlerweile von Steinen befreiten Isomatte. Das Blut rauscht noch in den Adern, der Körper fühlt sich seltsam leicht an. „Jetzt schließt du die Augen, machst dich auf die Reise zu deinem eigenen inneren Entspannungsort; du nimmst ihn mit allen Sinnen wahr. Vielleicht scheint dort die Sonne, vielleicht spürst du den warmen Sand.“ Nein, nicht ganz, denke ich. Ich liege nämlich eingepackt in eine warme Daunenjacke auf einem alten Sprungbrett, knapp einen Meter über einem Bergsee im kalten Norwegen. Die schneebedeckten Berge spiegeln sich im klaren Wasser, berühren den See und wachsen dann in ihn hinein. „Du spürst die warmen Sonnenstrahlen.“ Na gut, die kann ich ja einbauen in meinen Entspannungsort, denke ich noch; dann werde ich immer schläfriger.

Langsam erweckt mich Evelyn aus meinem Wintertraum. „Sat Nam“ singen wir alle im Chor. „Wahrheit ist dein Name“ bedeutet das und dient als Abschiedsformel. Mein Gesicht kribbelt leicht. Haut und Muskeln hängen schlaff herunter. Alle Sorgen des Alltags liegen weit hinter mir, als ich am Bustan vorbei in die Realität zurückkehre.

Anstatt in den längst verdienten Mittagsschlaf treibt Tröger uns zurück zum Sportplatz des Grauens. Liniensprints sind das letzte Hindernis des Tages. Nach jeder Bahn: „Squat Jumps“ (Hocke, Liegestütz, Sprung) und „Burpees“ (Kniebeuge, Sprung). Nach vier Bahnen spüre ich die Beine nicht mehr. Tröger springt mit, schreit, treibt an. Mein Oberkörper kippt immer mehr nach vorne. „Weiter!“ Es wird langsam dunkel an den Rändern meines Blickfelds. Ich sehe plötzlich lachende Kinder. Sie laufen um mich herum. Überholen mich. Ihre „Burpees“ sehen viel tiefer aus als meine. Eine Illusion? Nein – es sind Trögers kleine Kinder, die plötzlich und voller Freude mitmachen. Ich kann nicht mehr. „Weiter!“, schreit der Coach noch einmal. Diesmal muss ich an Oliver Kahn denken. Das hilft bestimmt. Aber nein, plötzlich sehe ich ihn vor mir: An der Copacabana, mit Wohlstandsbäuchchen und süffisantem Lächeln. So wird das nichts. „Weiter!“ „Weiter“! Noch einmal stolpere ich aus meinem verkorksten „Burpee“ nach vorne; setze Fuß vor Fuß. Schritt. Schritt. Vorbei, da ist die Tröte, es ist vorbei. Zur Belohnung: High-Five mit dem Coach – und der Stolz, das Frühstück bei mir behalten zu haben.