Noch gibt es viele freie Ausbildungsplätze. Aber: Zahl der Ausbildungsverträge sinkt. IHK warnt vor Fachkräftemangel

Norderstedt. Die Chancen für Jugendliche auf Ausbildungsplätze stehen nach wie vor gut. Der Rückgang der Schülerzahlen und der Trend zu Abitur und Studium auf der einen und der Mangel an Fachkräften auf der anderen Seite machen den Ausbildungsmarkt zu einem Bewerbermarkt. Die Norderstedter Betriebe haben der Arbeitsagentur seit vorigem Oktober 550 unbesetzte Stellen gemeldet – deutlich mehr, als es Bewerber gibt (307). „Die Personalchefs streiten sich regelrecht um die guten Jugendlichen, aber auch Schulabgänger mit durchschnittlichen Zeugnissen bekommen jetzt leichter einen Ausbildungsplatz und müssen längst nicht mehr so viele Bewerbungen schreiben wie in den Vorjahren“, sagt Gerold Melson, Sprecher der Arbeitsagentur Elmshorn.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) spricht sogar von besten Chancen für Ausbildungsbewerber. „Die Situation ist so günstig wie seit Jahren nicht mehr“, sagt Friederike C. Kühn, Präsidentin der IHK Schleswig-Holstein. Die Zahl der Ausbildungsverträge sei rückläufig, landesweit habe die Kammer 6288 Verträge eingetragen, vor einem Jahr seien es noch 343 mehr gewesen. Im Kreis Segeberg wurden laut IHK 762 Ausbildungsverträge geschlossen, das entspreche im Vergleich zu den 808 Verträgen am 31. Juli 2013 einem Rückgang von 5,7 Prozent.

IHK-Präsidentin Kühn konstatiert eine hohe Ausbildungsbereitschaft der Betriebe bei sinkenden Bewerberzahlen. „Wenn immer weniger Ausbildungsverträge geschlossen werden, erleben wir eine Fehlsteuerung im Bildungswesen mit zunehmendem Mangel an Fachkräften. Daher müssen wir bei den Jugendlichen das Bewusstsein schärfen, dass eine betriebliche Ausbildung am besten auf das Berufsleben vorbereitet und ausgezeichnete Karrierechancen bietet“, sagt sie.

Im Kreis Segeberg legte die Zahl der Lehrstellen (1332) im Vergleich zum Vorjahr um neun zu – und es gab 1529 Bewerber, 25 mehr als 2013. Zum Ausbildungsbeginn sind in Norderstedt noch 123 Stellen unbesetzt, die Arbeitsagentur hat noch 76 Jugendliche in der Statistik, die noch keine Lehrstelle gefunden haben. „Häufig decken sich die Erwartungen der Ausbildungsbetriebe nicht mit den Berufswünschen und regionalen Vorstellungen der Schulabgänger“, sagt Melson.

Doch während Norderstedt seit Jahren eine Hochburg für Bewerber ist, schlägt weiter nördlich das Pendel um. Im Raum Kaltenkirchen und in Bad Segeberg und Umgebung gab und gibt es mehr Berufsanfänger als freie Ausbildungsplätze. Im Bereich der Geschäftsstelle Kaltenkirchen suchen 190 Jugendliche eine Lehrstelle. Im Angebot sind aber nur 138 freie Plätze. Die Geschäftsstelle der Arbeitsagentur in der Kreisstadt meldet aktuell 132 unversorgte Schulabgänger, für die es rein rechnerisch noch 90 Stellen gibt.

Um die Diskrepanz zu verringern, raten Berufsberater Jugendlichen schon seit Jahren dazu, sich nicht auf einen Traumberuf oder einen Ausbildungsort festzulegen. Dadurch beraubten sie sich beruflicher Alternativen und setzten sich unnötigem Konkurrenzdruck aus. Nach wie vor wollen die meisten Jugendliche in kaufmännische oder Büroberufe.

Bei den jungen Männern rangiert der Kaufmann im Einzelhandel an der Spitze der Top-Ten-Berufe. Es folgen Kfz-Mechatroniker, Fachlagerist, Industriemechaniker, Verkäufer, Tischler, Fachkraft für Lagerlogistik, Bürokaufmann, Industriekaufmann und IT-Systemelektroniker. Bei den jungen Frauen stellt sich die Tabelle so dar: Verkäuferin, Medizinische Fachangestellte, Kauffrau im Einzelhandel, Bürokauffrau, Kauffrau im Büromanagement, Zahnmedizinische Fachangestellte, Tiermedizinische Fachangestellte, Friseurin, Immobilienkauffrau, Gestalterin für visuelles Marketing.

Gesucht werden Bäcker und Fleischer, Hotelfachkräfte, Installateure, Gärtner und Köche – da kann, so Melson, selbst die Flut an TV-Sendungen mit Promi-Köchen nicht gegensteuern. In der Gastronomie muss gearbeitet werden, wenn die Freunde feiern. „Die Firmen sollten auch Bewerbern mit nicht so guten Schulnoten und älteren eine Chance geben“, sagt Melson. Die Arbeitsagentur fördere diese Gruppen durch ausbildungsbegleitende Hilfen.

Dazu zählten Stützunterricht und eine sozialpädagogische Begleitung. Melson verweist auch auf die Initiative für Spätstarter, die junge Erwachsene zwischen 25 und 30 Jahren in den Arbeitsmarkt bringen will. Sie hätten als Jugendliche nicht „die Kurve gekriegt“, Motivation und Disziplin hätten gefehlt. Jetzt aber seien sie nicht nur bereit, die Anforderungen der Betriebe zu erfüllen, sondern wollten das auch unbedingt.