Immer mehr Menschen wollen nicht mehr alleine leben und starten nachbarschaftliche Wohnprojekte in der Region

Norderstedt. Gemeinsam und bezahlbar wohnen, vor allem im Alter – dieser Wunsch wird zum Trend. Immer mehr Menschen starten Wohnprojekte. Profis organisieren das genossenschaftliche Wohnen in Friedrichsgabe, den Frederik’s Hof (wir berichteten), nun suchen zwei Frauen Mitstreiter, um ihre Ideen vom Leben abseits von Isolation und Anonymität zu verwirklichen. Dorothy Schwager möchte Wohnraum für alleinstehende Menschen schaffen, für Jung und Alt, am liebsten in Norderstedt. Susanne Rosenzweig hat schon erste Partner gefunden, die gemeinsam ein genossenschaftliches Wohnprojekt in Bad Bramstedt realisieren wollen.

Niemand hatte die tote Frau vermisst – ein Schlüsselerlebnis

Dorothy Schwager hatte vor 14 Jahren ein Schlüsselerlebnis. Die direkte Nachbarin war verstorben, aber niemand in dem Mietshaus hatte es mitbekommen. Erst nach Wochen wurde die verweste Leiche gefunden. Niemand hatte die Frau vermisst. Dieses Ereignis verfolgt sie bis heute und hat bei ihr einen Gedanken reifen lassen: Alleinstehende Menschen dürfen von ihrer Umwelt nicht isoliert werden. Auch wenn sie älter werden, müssen sie jederzeit Gelegenheit haben, sich mit ihren Problemen und Bedürfnissen an andere Menschen wenden zu können.

Die 64 Jahre alte Norderstedterin, die selbst ein „rollendes Kaufhaus“ mit Textilien und Schuhen für Senioren betreibt, hat deshalb eine Idee, die sie schon seit längerer Zeit verfolgt: Sie möchte Wohnraum für alleinstehende Menschen schaffen – und zwar für Jung und Alt. „Sehr oft konnte ich durch meinen Beruf erleben, wie Senioren, die in der Regel alleine leben, sich mehr und mehr von ihrer Umwelt isolieren und letztlich nicht nur vereinsamen, sondern eigentlich auf weitere Hilfe angewiesen sind, sich aber nicht mehr trauen, diese – von wem auch immer – einzufordern“, sagt Dorothy Schwager. Sie selbst hatte das Glück, 20 Jahre ihres Lebens in einer Wochenend-Gemeinschaft zu leben, deren harter Kern aus einigen Familienmitgliedern und etwa zehn Freunden bestand. „Wir habe diese Zeit sehr genossen.“

So etwas möchte sie in Norderstedt, im Norden Hamburgs oder in der näheren Umgebung initiieren. Und das in möglichst großem Stil: Ein Wohnkomplex, bestehend aus acht eckig aneinander gebauten Häusern mit jeweils 15 Bewohnern. 120 Bewohner sollten es sein, damit eine „geballte Ladung Energie“ entstehen kann, die sich aus einem großen Pool an Wissen und Fähigkeiten speist. Jeder für jeden, einer für alle – gemeinsam, niemals einsam.

Ein Millionenprojekt ohne Startkapital. Aber Dorothy Schwager hat eine Idee, wie es realisiert werden könnte: Sie kann sich die Gründung einer Stiftung vorstellen. „Es gibt sicher viele Kleinanleger, die in solch ein Bauprojekt investieren würden“, sagt die Geschäftsfrau. „Über die dann wieder hereinkommenden Mieten wäre eine Refinanzierung sicher möglich.“ Interessierte Bewohner könnten ein Café betreiben, ein seniorengerechtes Sportstudio, ein Geschäft für Seniorenmode oder ähnliches. Ein gemeinnütziger Förderverein soll zum Zwecke des Spendeneinsammelns gegründet werden. Auch dafür sucht sie Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. „Das Stiftungskapital ist natürlich ein wichtiger Punkt bei diesem Projekt.“

Wer sich für Dorothy Schwagers Projekt, das sie selbst „Posiwo“ (PositivesSingleWohnen) nennt, interessiert, kann ab sofort mit ihr unter den Telefonnummern 040/52878282 und 0172/9062518 in Kontakt treten. Das Projektkürzel hat sie auch schon für eine E-Mail-Adresse genutzt: Unter posiwo@mac.com möchte sie Ideen, Ratschläge oder Finanzierungsvorschläge sammeln.

Susanne Rosenzweig, ebenfalls aus Norderstedt, hat die ersten Hürden schon genommen. Die 53-Jährige, die selbst schwer behindert ist, hat schon 20 Partner für ihr nachbarschaftliches Wohnprojekt in Bad Bramstedt gefunden, eine bunte Gemeinschaft, Alleinstehende, Paare, Familien, Alte, Junge, Nachbarn mit ausreichend Einkommen und solche mit wenig Geld, Menschen mit und ohne Handicaps. „Wichtig ist uns, dass niemand ausgegrenzt wird“, sagt die Initiatorin. Die Kinder seien aus dem Haus, sie lebt allein mit viel zu viel Platz und möchte diesen Zustand möglichst bald beenden. „Vielleicht brauche ich mal Hilfe. Auf jeden Fall möchte ich nicht so garstig und zynisch enden, wie ich das bei anderen erlebe, die im Alter allein leben“, sagt Susanne Rosenzweig.

Ein parkähnliches Grundstück mit viel Platz und guter Verkehrsanbindung

20 Wohnungen sollen auf 2000 Quadratmetern an der Oskar-Alexander-Straße entstehen, geplant ist eine genossenschaftliche Rechtsform. Das Grundstück, das insgesamt 7000 Quadratmeter umfasst und vom Klinikum Bad Bramstedt nicht mehr genutzt wird, ist umgeben von Grün und dennoch verkehrsgünstig gelegen. Die künftigen Nachbarn planen und bauen das „Haus an den Auen“ in Eigenregie. Sie haben Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit Planung, Bau und Finanzierung beschäftigen. Wer mitmachen will, muss einen Genossenschaftsanteil von mindestens 15.000 Euro für eine 50 Quadratmeter große Wohnung einbringen. „Wer mehr Geld einzahlen kann und will, reduziert die Miete und verhilft uns zu einer günstigeren Finanzierung“, sagt die Norderstedterin, für die das Miteinander im Vordergrund steht.

Im Frühjahr 2015 soll Baubeginn sein, Anfang 2016 wollen die neuen Nachbarn einziehen. Wer noch mitmachen will, wendet sich an Susanne Rosenzweig, Telefon 040/52980345 oder 0175/4104753, auch um sich für das nächste Treffen am Montag, 11. August, anzumelden. Für den 24. August ist ein Sommerfest auf dem Baugrundstück geplant. Weitere Infos unter www.WohnprojektBadBramstedt.de.