Seit Ende März hält eine Tierrechtlerin aus Nützen regelmäßig Mahnwache vor dem Vion-Schlachthof in Bad Bramstedt

Bad Bramstedt. Bald werden es zwei Monate sein, seitdem Silvia das erste Mal an den Ort gefahren ist, der sie so entsetzt. Immer nachmittags, von Montag bis Freitag, hält sie Mahnwache vor dem Eingang zum Vion-Schlachtbetrieb in Bad Bramstedt, sie zündet Grabkerzen an, wartet, will den Mitarbeitern in die Gesichter blicken oder nur still an der Straße stehen. Es ist ein innerer Antrieb, nicht unbedingt missionarischer Eifer. „Ich brauchte ein Ventil für meinen Frust, ich habe mir ansonsten nichts davon versprochen.“

Frust verspürt die Nützenerin seit dem 31. März. An diesem Tag bekam Vion vom schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministerium die Mitteilung, dass die Stilllegung des Betriebes aufgehoben sei. Unter Auflagen, zudem dürfen nunmehr lediglich 45 Rinder pro Stunde geschlachtet werden. Hintergrund sind Ermittlungen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Tierschutz- und Lebensmittelgesetz im größten norddeutschen Schlachthof. „Als hier wieder eröffnet wurde, war das für mich ein Schlag in die Magengegend“, sagt Silvia. Die Mitarbeiter begegnen ihr mit einer Mischung aus Respekt und Verwirrung. „Sie fragen mich, wie lange ich hier noch stehen will.“

Für die 30 Jahre alte Steuerfachangestellte ist jede Schlachtung ein Mord. Sie lebt vegan, also unter Verzicht auf jegliche Tierprodukte. Und sie setzt sich aktiv für Tierrechte ein, möchte Menschen dazu animieren, den eigenen Konsum zu überdenken. Ob dieses Engagement tatsächlich einen positiven Effekt hat, kann Silvia nicht abschätzen. Unter Gleichgesinnten findet sie aber Anklang. Immerhin ein knappes Dutzend Aktivisten ist dabei, als sie zu einer Demonstration aufruft. So wie Till, 36, aus Hamburg, der berichtet: „Wir sind auch ins Gespräch gekommen mit Vion-Mitarbeitern. Einer erzählte uns, dass es in der Kantine sogar einen Veggie-Day gibt.“

Nicht nur das – zu den Produkten des niederländischen Konzerns zählen auch Schnitzel auf pflanzlicher Basis. Diese „Vegetaria“-Reihe macht Vion aus Sicht der Tierrechtler allerdings nicht weniger schuldig. „Hier fahren die Tiere lebendig rein und kommen tot wieder heraus. Auch Kühe erfahren Leid“, sagt Till, der seit elf Jahren Veganer ist. Fast schon desillusioniert fügt er hinzu: „Wir Menschen haben wenig Respekt vor jeglichem Leben.“

In der Bevölkerung vertritt er mit seinen Idealen eine Minderheit. Unlängst trug „Die Zeit“ für ein Titelthema Zahlen zusammen, die einen Überblick geben über die Fleischindustrie. Demnach wurden 2012 deutschlandweit 754 Millionen Nutztiere geschlachtet – darunter mehr als drei Millionen Rinder, über 58 Millionen Schweine und mehr als 627 Millionen Hühner. Durchschnittlich verzehrt jeder Bundesbürger rund 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Aber längst nicht jeder Konsument weiß beziehungsweise möchte erfahren, unter welchen Umständen das Fleisch auf den Teller gekommen ist.

Ablehnung und Ignoranz motivieren die Aktivisten aber umso mehr. „Da ist Schweineblut drin“, ruft Silvia, als wieder ein Lkw vom Firmengelände rollt. Sofort skandieren die Demonstranten „Mörder“, halten ihre Plakate dem Fahrer entgegen. Dieser antwortet mit einem gefährlichen Manöver, steuert sein tonnenschweres Gefährt bewusst sehr knapp an der Gruppe vorbei.

Wer Flagge zeigt, muss Nehmerqualitäten haben, das bestätigen die Demonstranten. Es gibt Beleidigungen, Bedrohungen, höhnisches Gelächter. „Das prallt alles ab“, sagt Silvia.

An diesem Freitag wird sie deswegen wieder bei Vion in Bad Bramstedt sein. Auch wenn es sie innerlich zerreißt. „Freitag ist immer am schlimmsten. Da liefern sie nachmittags die Tiere an. Man hört dann die Schreie langsam verstummen.“