Bramstedter Schlachthof-Beschäftigte demonstrieren in Kiel. Neue Vorwürfe: Wurden Rinder ohne Betäubung getötet?

Bad Bramstedt. Die Zustände im Bramstedter Schlachthof waren möglicherweise noch dramatischer als zunächst bekannt. Nach Informationen des Abendblatts wurden Rinder ohne Betäubung mit einem Schnitt am Hals ausgeblutet. Außerdem sollen ihnen bei lebendigem Leib Gliedmaßen abgetrennt worden sein. „Es ist alles noch viel schlimmer, als wir gedacht haben“, heißt es aus Ermittlerkreisen. Staatsanwaltschaft und Polizei sind weiter mit der Auswertung der Unterlagen beschäftigt, die in dem Schlachthof des niederländischen Fleischkonzerns Vion und bei Mitarbeitern des Kreises Segeberg sichergestellt worden waren.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) von gravierenden Hygienemängeln berichtet und erklärt, in dem Betrieb seien tote Tiere ohne Einschusslöcher am Kopf entdeckt worden. Bei anderen Rindern hätten die Ermittlungsbehörden mehrere Löcher aus Bolzenschussgeräten entdeckt. In der Regel soll ein Schuss ausreichen, um das Tier vor dem Schlachten zu betäuben.

Die Auswertung der Akten hat in den Behörden offenbar zu neuen Erkenntnissen geführt. „Jetzt wissen wir, dass die Missstände viel schlimmer waren“, hieß es. „Das ging über Jahre so.“ Staatsanwaltschaft und Polizei verfügen seit Ende vergangener Woche nicht nur über die Dokumente, die sie bei der Razzia beschlagnahmt haben. Ihnen liegen jetzt auch Unterlagen vor, die sich die Ermittler mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss bei der Kreisverwaltung geholt haben. Beamte hatten Dokumente bei den Veterinären der Kreisverwaltung in Bad Segeberg sowie im Fleischhygieneamt auf dem Vion-Gelände sichergestellt.

Die Kreisveterinäre wurden von der Razzia am 25. Februar völlig überrascht

Das Hygieneamt ist eine Filiale der Kreisverwaltung und mit Tiermedizinern des Kreises besetzt, die den Betrieb überwacht haben. Dort hatte ein Veterinär im vergangenen Jahr sechs Monate Buch über Missstände geführt. Diesen Bericht wollte er Anfang 2014 dem Chefveterinär des Kreises, Kurt Warlies, übergeben. Dazu kam es jedoch nicht. Daraufhin wandte sich der Tierarzt an das Ministerium, das die Staatsanwaltschaft einschaltete. Kurz darauf entschlossen sich die Ermittler zu der Großrazzia.

Der Kreis Segeberg hat stets betont, dass seinen Prüfern keine Mängel aufgefallen seien. Die Kreisveterinäre wurden von der Razzia am 25. Februar völlig überrascht. Am Donnerstag hatte Warlies erklärt: „Ich weigere mich zu sagen, dass etwas schiefgelaufen ist.“ Am Montag sagte er: „Ich habe Vertrauen zu meinen Mitarbeitern.“ Der Kreis beschäftigte in Bad Bramstedt auf Stundenbasis oder als Vollzeitkräfte 30 Veterinäre. Viele bangen um ihren Job. Warlies: „Es ist keine Arbeit mehr da.“.

„Wir betrachten die letzten fünf Jahre“, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Birgit Heß. Sollte es davor zu Straftaten gekommen sein, wären diese verjährt. Einzelheiten zum Stand des Verfahrens wollte Heß am Montag nicht nennen.

Die Zukunft des Betriebs mit seinen 350 Mitarbeitern ist weiter offen. Wie berichtet, hat das Landwirtschaftsministerium als Fachaufsicht den Kreis Segeberg angewiesen, Vion die Zulassung für den Schlachthof zu entziehen. Der Konzern hat angekündigt, sich dagegen mit allen juristischen Mitteln zu wehren. Für die 140 Stammbeschäftigten haben Betriebsrat und Geschäftsführung Kurzarbeit angemeldet. Die Gewerkschaft Nahrung–Genuss–Gaststätten bezeichneten die Entscheidung des Ministeriums, den Schlachthof weiter zu sperren, als „unverhältnismäßig“.

„Wir sind keine Tierquäler“ skandierten die Schlachthof-Mitarbeiter

Rund 150 Mitarbeiter des gesperrten Schlachthofes und Beschäftigte von Speditionen haben am Montag in Kiel gegen die geplante Entziehung der Betriebszulassung für den Schlachthof demonstriert. „Wir sind keine Tierquäler“ und „Wir wollen Arbeit“ skandierten sie vor dem Agrarministerium.

Auch der Bauernverband meldet Bedenken an. Eine dauerhafte Schließung des Schlachthofes bedeute nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in der Region, sondern auch den Wegfall einer wesentlichen Vermarktungsmöglichkeit für die schleswig-holsteinischen Rinderhalter. Außerdem nehme der Minister in diesem Fall weite Transportwege für die Tiere in Kauf, sagte Bauernverbandspräsident Werner Schwarz. Er geht davon aus, dass sich alle bislang bekannten Mängel abstellen lassen.

Schwarz: „Wenn Minister Habeck über Tatsachen verfügt, die diese schwerwiegende Anweisung rechtfertigen, dann müssen diese jetzt auf den Tisch.“ Er wies darauf hin, dass die Kreisveterinäre und Gutachter, die der Kreis beauftragt hat, zu anderen Ergebnissen als das Ministerium gekommen sind.

Die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat am Montag beantragt, die Vorgänge im Schlachthof Bad Bramstedt auf die Tagesordnung des kommenden Innen- und Rechtsausschusses zu setzen. Dazu sagte der innen- und rechtspolitische Sprecher Burkhard Peters: „Soweit dies möglich ist, bitten wir das Justizministerium im Innenausschuss um Informationen, auch vor dem Hintergrund, dass unterschiedliche Informationen auf Kreis- und Landesebene zu verschiedenen Einschätzungen geführt haben.“

Ministeriumssprecherin Nicola Kabel sagte, auch Minister Habeck lege Wert auf Schlachtkapazitäten in Schleswig-Holstein, um den Rindern Transportwege zu ersparen. Im Fall des Bramstedter Schlachthofs habe das Ministerium jedoch nicht anders entscheiden können. „Das ist keine politische Frage“, sagte Kabel. „Hier geht es um Recht und Gesetz.“