Hans Falladas Sohn Achim Ditzen las im Plenarsaal des Norderstedter Rathauses aus dem Roman „Jeder stirbt für sich allein“ seines Vaters

Norderstedt. Achim Ditzen ist versöhnlich geworden. Der Sohn von Hans Fallada geht heute auf Lesereise durch Deutschland, um das Werk seines Vaters wieder bekannt zu machen. Das war nicht immer so. „Meine Mutter hat unter der Scheidung sehr gelitten. Sie hat zwar nicht darüber gesprochen, dafür ihn aber als Maßstab für uns Kinder gesetzt, das war natürlich nicht zu erfüllen“, sagt Achim Ditzen. Jetzt las der 73-Jährige im Plenarsaal des Norderstedter Rathauses vor 160Zuhörerinnen und Zuhörern.

„So viel Publikum hatte ich wohl noch nie“, sagte Ditzen. „Ich bin ganz überwältigt“, sagte auch Wolfgang Dellke von der Buchhandlung am Rathaus, die die Lesung mit dem Verein Chaverim – Freundschaft mit Israel veranstaltete. Ditzens Schwiegersohn ist der israelische Pantomimenkünstler Eli Levy, der seit Jahrzehnten in Hamburg lebt und in Norderstedt schon für den Verein Chaverim aufgetreten ist. Schwer indes wiegt das Thema des Fallada-Romans, aus dem Ditzen las.

In „Jeder stirbt für sich allein“ verarbeitete Hans Fallada das Schicksal des Ehepaares Elise und Otto Hampel, die während der NS-Diktatur nach dem „Helden“-Tod ihres Sohnes an der Front Postkarten verbreiten, um zum Kampf gegen Hitler und seine Schergen aufzurufen. 1942 werden sie verhaftet. Der berüchtigte Volksgerichtshof verurteilt sie zum Tod durch das Fallbeil.

Hans Fallada las 1947 von dem Schicksal des Ehepaares und verarbeitete es in nur 24 Tagen zum Roman, in dem sie Quangel heißen. So atemlos, wie der Schriftsteller den Stoff aufschrieb, so atemlos liest sich der Roman, und so hat auch Achim Ditzen einige Schlüssel-Passagen gelesen. Der Schriftsteller erlebte seinen Erfolgsroman nicht mehr. Achim Ditzens Vater starb am 5. Februar 1947 in Berlin an den Folgen seiner Alkoholkrankheit und Morphiumsucht. In der sowjetisch besetzten Zone wurde das Werk zensiert. Die Zwischentöne wurden gestrichen. „Doch mein Vater schrieb vor allem in Grautönen und malte die Welt nicht Schwarzweiß“, sagt Ditzen.

2002 erlebte „Jeder stirbt für sich allein“ eine Renaissance erst in den USA, dann in England, und auf Hebräisch wurden auch in Israel mehr als 100.000 Exemplare verkauft. 2011 legte der Berliner Aufbau-Verlag nach der Entdeckung eines vollständigen, unzensierten Manuskripts das Buch in der jetzt vollständigen Fassung neu auf und landete einen Erfolg.

„Es ist genug Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust vergangen, die Menschen wollen sich intensiv über das informieren, was geschehen ist“, sagt Ditzen zum Hamburger Abendblatt. Sein Vater hat auch die Verfolgung der Juden in dem Roman verarbeitet. Im Haus der Quangels lebt die Jüdin Rosenthal. Ihr Ehemann wurde von der Gestapo verhaftet, sie muss den gelben Stern tragen und traut sich nur noch in der Dunkelheit aus dem Haus.

Ditzens Elternhaus in Carwitz in Mecklenburg-Vorpommern ist heute ein Fallada-Museum. „Ich würde natürlich gern in dem Haus meiner Kindheit und Jugend leben, doch ich kann das Anwesen nicht erhalten und lebe zudem seit mehr als 50 Jahren in Dresden“, sagt der gelernte Schriftsetzer. In der DDR wurde er Computer-Spezialist im Druckerwesen, war Mitglied der SED und Parteisekretär einer Abteilung für Drucktechnik.

Hat er den von seinem Vater in der NS-Diktatur beschriebenen Lebenszustand, ein wahres Leben im falschen Leben zu führen, auch in der DDR erlebt? „Natürlich, man führte ein privates Leben und ein öffentliches. Trotzdem hatten wir ein erfülltes Leben.“ Allerdings sah seine Lebensplanung vor, nach der Ausbildung nach West-Berlin zu ziehen. „Aber dann kam der August 1961, die Mauer, und es war zu spät“, sagt Ditzen.

Sein Vater indes verließ nach glücklichen Jahren das Familienhaus, als Achim Ditzen drei Jahre alt war. Drei Jahre später starb er. Hinter ihm lag eine Odyssee durch die Tiefen des Lebens, die er in seinen Romanen verarbeitete. In „Der Trinker“ beispielsweise. „Er hat sich seinen ganzen Hass auf die Zeit von der Seele geschrieben, deshalb stempelten ihn die Nazis auch als unerwünschten Autor ab“, sagt der Sohn. Verbrannt wurden seine Bücher nicht. „Dann hätte er fliehen müssen, hatte auch schon Ausreisepläne, sagte aber zu meiner Mutter, er könne nirgendwo anders als in Deutschland arbeiten“, erinnert sich Ditzen.

Die Lebens-Odyssee führte Hans Fallada von 1926 bis 1928 ins Gefängnis von Neumünster. „Er unterschlug 10.000 Reichsmark für Morphium“, weiß Ditzen. Nach der Haft erhielt er einen Arbeitsplatz bei einer Zeitung. Fallada blieb und erlebte den Boykott der Landvolkbewegung gegen die Stadt Neumünster. Wieder Stoff für einen Roman. 1931 kam „Bauern, Bonzen und Bomben“ im Rowohlt-Verlag heraus. In „Kleiner Mann, was nun“ gab er einer der Figuren den Namen Pinneberg. Auch „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, basiert auf die Gefängniszeit in Neumünster.

Hans Fallada führte eine regen Briefwechsel mit dem jüdischen Wiener Carl Ehrenstein, der Ende der 20er-Jahre nach London zog und dort Hans Falladas Werke ins Englische übersetzte. Der Briefwechsel von 1934 bis 1938 liegt im Archiv der israelischen Nationalbibliothek. Viele von Ditzens Zuhörer im Plenarsaal erinnerten sich besonders an die Kinderbücher Hans Falladas. „Er hat uns immer Geschichten erzählt – und daraus sind die Kinderbücher entstanden“, erinnert sich Achim Ditzen, der jüngste der Kinder von Anna und Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen alias Hans Fallada.