Der Routinier setzt komplett auf Eigenbau, Bausätze lehnt er ab ++ Die Vorlagen stammen von Werften, Reedereien und aus dem Internet

Ellerau. „Schleifen ist das A und O“, sagt Harald Sies, Vorsitzender des Schiffsmodellbauclubs Albatros in Ellerau. Und Charlotte schleift, mit dem Schleifbrett glättet die Zehnjährige eine nicht mal einen Zentimeter dünne Holzleiste für das Schiff, das am Werktisch vor ihr steht. Sie baut ein Springer-Tug, ein typisches Anfängerschiff, Kompakt und leicht zu konstruieren. Das Original fährt auf amerikanischen Flüssen als Bugsierschiff. Ein Vierteljahr sägt, leimt und schleift Charlotte nun schon, immer dienstags am späten Nachmittag kommt sie in die Werkstatt am Bürgerhaus. „Ein Freund hat mir davon erzählt, und da habe ich mal reingeschnuppert und fand das toll“, sagt die Schülerin. Ihr gefällt, dass sie am Ende sehen und in die Hand nehmen kann, wofür sie ihre Freizeit eingesetzt hat.

Das begeistert auch Lennart und Kjell, beide 11, die gegenüber von Charlotte werkeln. Lennart hat schon immer gern mit Fernsteuerungen hantiert, und „ist eigentlich immer am Basteln“. Auch er baut ein Springer-Tug, die Elektronik, die das Boot später übers Wasser steuert, liegt schon vor ihm. Knapp 90 Euro kostet so eine Fernsteuerung.

„Das ist zwar nicht ganz billig, die Steuerung kann aber für mehrere Schiffe verwendet werden und ist eine Investition für mindestens zwei Jahre“, sagt Marco Bellasio, einer von einem Dutzend Fachgruppenleitern, allesamt versierte Modellbauer, die die Kinder und Jugendlichen vier Mal pro Woche betreuen. Das Angebot kommt an und kann es locker mit Spielekonsolen, PCs, Fußball und Wakeboards aufnehmen. „Im Moment ist die Nachfrage so groß, dass wir fast schon ein bisschen den Deckel draufhalten müssen“, sagt Sies, der sich gerade jetzt über das große Interesse freut, schließlich feiern die Albatrosse ihren 30. Vereinsgeburtstag. Oft sind es Kinder von Hand- oder Heimwerkern oder die jungen Schiffsbauer erzählen den Freunden so euphorisch von ihrem Hobby, dass die auch mitmachen wollen.

Der Routinier setzt komplett auf Eigenbau, Bausätze lehnt er ab

Neben den Kindern sitzt ein Routinier und tüftelt an einem Detail. Friedrich Günther, auch von den Kindern nur Fritz genannt, weiße Haare, weißer Bart und 66, baut sei mehr als einem halben Jahrhundert Schiffsmodelle. Immer nur Eigenbauten, vornehmlich Vertreter der amerikanischen Marine wie den Minensucher neben ihm, auf dessen grauem Deck Fäden liegen, die da nicht hingehören, und der „natürlich noch immer nicht fertig ist“. Bausätze kommen ihm nicht in die Finger, er macht alles selbst, sogar die Antriebsschrauben sind Eigenproduktionen. Sein Prachtstück steht über ihm im Trockendock. Die „USS Indianapolis“ ist, so der Konstrukteur, das größte schwimmende Papierschiff, das je zu Wasser gelassen wurde. 3,72 Meter lang, 110 Kilo Wasserverdrängung – vier Jahre hat der gelernte Metallbauer an dem Schweren Kreuzer gebaut, der „letzten schwimmenden Einheit der amerikanischen Kriegsmarine“, der am 30. Juli 1945 von einem japanischen U-Boot versenkt wurde.

Am 8. Juni 2008 verfolgten 350 Zuschauer den Stapellauf des Prachtbaus, dessen Kartonwände Günther mit Epoxydharz versiegelt und so vor dem Feuchtwerden geschützt hatte. Das Lampenfieber erwies sich als unbegründet, sanft rauschte der Riese vom Helgen in den Teich am Bürgerhaus, das Testgewässer für die Albatrosse. Hier wird angefahren, müssen die originalgetreuen Nachbauten ihre Fahrtauglichkeit beweisen. So wie die Schwimmer anbaden, die Griller angrillen, heißt es bei den Ellerauer Modellbauern „anfahren“, in diesem Jahr am 12. April. Bis Mitte Oktober treffen sich die Vereinsmitglieder einmal im Monat, um ihre Boote über den See zu steuern.

Gebaut wird fast alles, was so auf den Weltmeeren, Flüssen und in Häfen fährt: Frachter, Tanker, Fähren, Fisch- und Krabbenkutter, Marine-, Forschungs- und Sportschiffe, Motor-, Rettungs-, Lotsen und Polizeiboote, Schlepper und Barkassen. Zwei Stars und den Hunderten von Schiffen, die Mitglieder in den 30 Jahren Vereinsleben gebaut haben, liegen unfertig im Regal.

Riva Aquarama heißen die Edelvorbilder. „Das sind echte Snobboote aus Teak, die eine Werft am Iseosee gebaut hat. Rund 500.000 Mark kosteten die Luxusyachten für die Reichen und Schönen, von denen Gunter Sachs und Brigitte Bardot gleich mehrere besaßen“, sagt der Albatros-Vorsitzende. Um dem Anspruch zu genügen, fertigten die Modellbauer den Rumpf aus Mahagoni, Leiste für Leiste legten sie erst in Wasser, um sie biegsam zu machen, und dann auf das Bootsgerippe. Noch mehr Fummelarbeit war für das Armaturenbrett nötig. „Eine ruhige Hand ist Voraussetzung, und ohne Lupe geht es auch nicht, wenn man Glühlämpchen von 0,3 Millimeter Stärke einsetzen will“, sagt Sies.

Die Vorlagen stammen von Werften, Reedereien und aus dem Internet

„Die meisten bauen im Maßstab 1:50 oder 1:100“, sagt Sies. Die Vorlagen besorgen sich die Schiffsbauer von Reedereien und Werften, wobei nicht alle ihre Pläne problemlos offenbaren, oder aus dem Internet. Und dann muss umgerechnet und gezeichnet werden, ehe der handwerkliche Teil beginnt. Und da sind die Ellerauer gut ausgestattet: Drehbank, Fräs- und Miniaturfräsbank, eine Kreis- und zwei Miniaturkreissägen, Dekupiersägen, Ständerbohrmaschine und mehrere kleine Bohrmaschinen gehören zum Inventar. Doch die gefährlichen Sägen, die Drehbank und die Fräse bleiben den Erwachsenen vorbehalten. Der Nachwuchs darf erst mit 16 ran, und dann auch erst nach einer Einweisung.

Das Bauen ist das eine, das Klönen und Fachsimpeln das andere. „Manchmal geht man wieder nach Hause, ohne einen Handschlag getan zu haben und hatte trotzdem Spaß“, beschreibt Frank Westphal die Werkstattgespräche, der eingeschworenen Gemeinschaft. Man hilft sich untereinander, wenn der eine nicht weiter weiß, hat ein anderer den richtigen Tipp. Also ein entspannendes Hobby? „Es kann einen auch zur Verzweiflung bringen“, sagt Westphal und Günther ergänzt: „Man muss schon ein bisschen verrückt sein.“