Das sagen Ying, Tao und Linqin. Sie kommen aus China und haben hier studiert. Ihnen gefällt das Leben, es ist entspannter als in der Heimat

Norderstedt. „Ich esse inzwischen lieber mit einer Gabel als mit Stäbchen“, sagt Ying. Besser könnte die 25 Jahre alte Chinesin nicht ausdrücken, wie stark sie inzwischen europäisiert ist. Gut drei Jahre lebt sie jetzt in Norderstedt, genau wie Lingqin, 23, und Tao, 24. Die drei haben an der Universität Kiel und in Norderstedter Unternehmen ein duales Studium absolviert und gerade mit guten Noten abgeschlossen. Für Betriebswirtschaft hatte sich das Trio entschieden, die Kombination aus Theorie und viel Praxis.

Und zumindest die beiden jungen Frauen wollen bleiben, so lange wie möglich, sagt Lingqin. Auch Tao will noch ein Jahr weitermachen, Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln und dann zurückfliegen in die Heimat. „Uns gefällt es hier“, sagen seine Kommilitoninnen. Das Leben sei nicht so hektisch wie in China, wo die Menschen aneinander vorbei hasteten. Konkurrenz und Erfolgsdruck in den großen Städten seien enorm. Sich etwas leisten, ein deutsches Auto, eine schöne Wohnung, essen in ausländischen Restaurants – im Riesenreich dominiert der Wille, persönlichen Wohlstand anzuhäufen, ein Lebensziel, das in Deutschland längst nicht mehr allgemein gültig ist.

„Auch am Wochenende wird gearbeitet, Urlaub gibt es kaum, und wenn, dann haben alle Chinesen wie zum Neujahrsfest im Januar gleichzeitig frei. Dann drängen sich Menschen auf den Festen“, sagt Ying. Und wenn nicht gerade Geld verdient wird, verlangten Familie und Freunde nach Präsenz.

Hier sei das Leben entspannter, die Arbeitszeit geregelt, die Freizeit nicht so voll gepackt mit Pflichtterminen. „Man kann sich mehr fallen lassen, auch mal zurückziehen“, sagt Linqin, die wie Ying und Tao aus Schleswig-Holsteins Partnerprovinz Zhejiang im Südosten Chinas stammt und über ein spezielles Studienprogramm in den Norden Deutschlands gekommen ist (s. Info-Kasten).

Das war vor gut drei Jahren. Die jungen Chinesen hatten bruchstückhaft Deutsch gelernt, in der Heimat und an der Norderstedter VHS. Nun sollte das Studium folgen. Was fehlte, waren Ausbildungsbetriebe. Wir berichteten am 17. August 2010 über die Suche, und schon am nächsten Tag konnten sich die Drei in Norderstedter Unternehmen vorstellen. „Bei mir war das gar kein klassisches Vorstellungsgespräch, der Chef wollte mich gern haben, und schon war die Kooperation perfekt“, sagt Ying, die bei Evers & Co Standard Aggregate Bau an der Oststraße in die deutsche Arbeitswelt eintauchte und schon am ersten Tag zu spüren bekam, was deutsche Tugenden sind. Sie sollte um 9 Uhr mit einer deutschen Auszubildenden die Post holen. Als sie um 9.02 Uhr zum Treffpunkt kam, war die Kollegin schon weg. Der Chef erklärte, wie wichtig Pünktlichkeit sei, schließlich könne auch ein Flugzeug nicht einfach so erst eine Viertelstunde nach dem offiziellen Starttermin abheben – ein Vergleich, der der jungen Chinesin eingeleuchtet hat.

„In China nimmt man es damit nicht ganz so genau“, sagt Werner Hutterer. Der frühere Leiter der VHS Norderstedt leitet das Deutschzentrum in Zheijang und hat die studentische Kooperation mit der Wirtschaftsakademie in Kiel eingefädelt. Er reist regelmäßig nach China, weiß, wie die Chinesen leben, und hat sich ein Stück Fernost ins Haus geholt. Schon die umfangreiche Stäbchen-Sammlung beweist: Hier hat China eine Filiale. „Wenn sich die Familien dort zum Essen treffen, geht es meist laut und fröhlich zu, ganz anders als bei uns“, sagt der Chinakenner, der inzwischen fast 72 und immer noch fit ist.

Auch eine andere kulturelle Eigenheit hat den jungen Gästen zu schaffen gemacht: In China ist es verpönt, direkt zu fragen. „Während Neugier bei uns positiv belegt ist, zeigt jemand, der dort nachfragt, dass er etwas nicht weiß“, sagt Hutterer. Doch die drei Studenten haben diese Hemmungen schnell abgelegt. Tao hat sein duales Studium bei Waldemar Link absolviert, das Unternehmen mit Standorten in Hamburg und Norderstedt produziert Gelenkprothesen und chirurgische Instrumente. Linqin hat sich beim Logistikunternehmen Expeditors International in wirtschaftliche und betriebliche Abläufe eingearbeitet.

Die drei haben vom Controlling über Buchhaltung bis zum Einkauf alle Abteilungen durchlaufen, die Seminare in Kiel waren auf die Arbeit in der jeweiligen Station abgestimmt. Lingqin saß auf einem Gabelstapler, die zierliche Ying hat Öl gewechselt, Schaltschränke gebaut und riesige Schrauben gedreht, immer unter Anleitung und mit vollem Körpereinsatz: „Da musste ich mich mit meinem ganzen Gewicht drauflegen“, sagt sie. Ihr Einsatz hat den Arbeitgebern gefallen, alle haben Anschlussverträge bekommen.

Schwimmen haben die beiden Frauen gelernt, sie mögen Wasser und Strand. Freunde haben alle gefunden, die Gastfamilien, in denen sie wohnen, haben den Start ins gesellschaftliche Leben erleichtert. Freunde haben sie gefunden, Kollegen sind darunter und andere, mit denen sie die Freizeit verbringen. Tao joggt regelmäßig, Ying geht zwei- bis dreimal in der Woche zum Fitness-Training. Die Frauen wollen den Führerschein machen, unabhängig sein. Tao hat das schon geschafft. Das Heimweh hält sich in Grenzen, regelmäßig nehmen die drei übers Internet Kontakt zu ihren Familien und Freunden in China auf.

„Wir möchten allen danken, die uns hier so offen aufgenommen und unterstützt haben“, sagt Tao. Wie Ying und Lingqin fühlt er sich integriert. Ying geht noch weiter: „Ich bin glücklich.“