Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen kam zur Eröffnung einer Ausstellung nach Bad Segeberg. Er sprach mit Schülern über die DDR

Bad Segeberg. Wenn Roland Jahn einen Vortrag hält, spricht er über ein Land, das es nicht mehr gibt. Keiner der vielen Schüler, die im Kreistagssaal in Bad Segeberg saßen, haben die DDR jemals gesehen. Als der ostdeutsche Staat zerfiel, waren die Jungen und Mädchen der Segeberger Gymnasien noch nicht geboren. Sie kennen Diktatur, Staatssicherheit und Unfreiheit nur aus Büchern. Warum das Wissen über die Staatssicherheit auch heute noch für junge Menschen bedeutsam ist, hat Jahn seinen Zuhörern eindrucksvoll erklärt. „Es geht darum, mit der Unfreiheit vor Augen die Freiheit zu schützen.“

Im voll besetzten Saal erlebten die Schüler einen Experten mit dreifacher Kompetenz: Jahn war politischer Häftling in der DDR, arbeitete nach seiner Ausweisung als Journalist in West-Berlin und leitet seit März 2011 die Stasi-Unterlagenbehörde. „Feind ist, wer anders denkt“ heißt die Ausstellung seiner Behörde, die Jahn im Gebäude des Kreistagssaals eröffnete. Er wolle mit jungen Leuten ins Gespräch kommen, hatte er bei den Vorbereitungen für die Veranstaltung der Kreisverwaltung mitgeteilt. Als er ankam, war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Bei der Beschäftigung mit der Stasi gehe es nicht um Akten, sagte Jahn zu Beginn. „Es geht um Menschen und ihre Biografien.“

Warum er selbst als junger Mann eines Tages als Staatsfeind galt, konnte Jahn seinen jungen Besuchern ebenso schlicht wie nachvollziehbar erklären. „Wir wollten Party machen“, erzählt Jahn. „Und man hat uns nicht gelassen.“ Mit der Vorliebe für lange Haare und Jeans geriet der junge Jahn mit seiner Clique ins Visier der Staatssicherheit, Schikanen folgten. Opposition im politischen Sinn stand nicht am Anfang. „Ist das noch mein Staat?“, fragte Jahn sich erst, als die ersten Freunde und er selbst im Gefängnis landeten. Einer aus der Clique Jahns erhängte sich nach den Verhören in der Zelle. Jahn: „Sie hatte ihn in die Mangel genommen.“

So fern das Leben in der DDR und die Willkür des Staates den Schülern zu Beginn des Vortrages erschien, so nah kam ihnen im Lauf des Abends die Frustration und das aussichtslose Aufbegehren des jungen Roland Jahn in seiner Heimatstadt Jena.

Er und seine Gäste kamen ins Gespräch. Das Abendblatt dokumentiert die Fragen und Antworten der Veranstaltung.

Eine Schülerin fragt: „Wie gehen Sie mit den Belastungen von damals heute um?“ „Es ist vorbei, das ist das Tolle“, sagt Jahn, der nach der Wende in seinen Akten einen gegen ihn gerichteten „Maßnahmenplan“ fand, den Stasi-Minister Erich Mielke persönlich abgezeichnet hatte. Kurz nach dem Studium der Akten konnte Jahn durch Mielkes Büro gehen, das jetzt zu einem Museum gehört. Genugtuung habe er dabei empfunden, sagt Jahn.

„Ich wollte nicht weg und bin in ein tiefes Loch gefallen“

„Warum sind Sie ins Gefängnis gekommen?“, will eine Schülerin wissen. „Die Diktatur hatte entschieden“, antwortet Jahn. Anlass war eine schlichte Protestaktion des jungen Mannes, der 1981 eine polnische Papierflagge für sein Fahrrad kaufte und den Schriftzug der Protestbewegung Solidarnocz darauf pinselte. Für den Staat war die Aktion Anlass genug, Roland Jahn zu inhaftieren. Im Visier der Staatssicherheit stand er schon länger.

Ein Schüler fragt: „Welche Perspektiven blieben Ihnen nach der Ausweisung aus der DDR?“ „Ich wollte nicht weg und bin in ein tiefes Loch gefallen“, sagt Jahn. Doch langsam habe er damals begriffen, dass er mit seiner Arbeit als Journalist im Westen dazu beitragen könne, gleichsam Löcher in die Mauer zu bohren.

„Mussten sich Stasi-Mitarbeiter vor Gericht verantworten?“, lautet eine weitere Frage. Jahn spricht von einer rechtlich komplizierten Materie. Bei der Arbeit für die Stasi in der DDR habe es sich nicht um eine Straftat gehandelt. Bis auf Mord sei ohnehin jedes infrage kommende Delikt inzwischen verjährt. „Für das, was sie getan haben, wurden sie nie zur Verantwortung gezogen“, sagt der Bundesbeauftragte. „Sie haben alle ihren Weg in der Gesellschaft gemacht.“

„Wie einfach ist es für Schüler, Akten von Großeltern anzufordern?“, fragt ein Schüler. Früher sei für solche Anfragen ein konkreter juristischer Grund notwendig gewesen, sagt Jahn. Im Jahr 2012 wurde das Verfahren vereinfacht, seitdem ist die Angabe von Gründen nicht mehr erforderlich.