Im Winter 2012/2013 wurden erstmals die Norderstedter Radwege mit Salz eisfrei gehalten. Das war für die Radler gut – für die Straßenbäume aber verheerend

Norderstedt. Ist denn schon Herbst? Auf der Heidbergstraße liegt das Laub der kleinen Ahorn-Straßenbäume auf dem Gehweg, braun, verdorrt, abgestorben. Die Kronen der Bäume sehen erbärmlich aus. Die Blätter kräuseln sich braun an den Spitzen, manche Äste sind kahl. „Mit Herbst hat das nichts zu tun. Das kommt von dieser hemmungslosen Pökelei“, sagt Bernhard Kerlin. Er meint das Streusalz, das in Norderstedt im vergangenen Winter erstmals auch großflächig auf Radwegen eingesetzt wurde. Eine von Radfahrern hoch gelobte Aktion, unter der nun die Natur zu leiden hat.

Kerlin, lange Jahrzehnte der „Baumvater“ der Stadt und Leiter des Teams Natur und Landschaft im Rathaus und jetzt im Ruhestand, ist in Sorge um die 30.000 Straßenbäume in der Stadt. Das aggressive Salz, das die Bäume über ihre Wurzeln aufnehmen, sorgt für das Absterben von Zellen, der Nährstofftransport wird beeinträchtigt und es bilden sich Nekrosen in den Blättern. Die sichtbaren Zeichen: braune, abgestorbene Blattränder. Kerlin hat sich an etlichen Straßen in der Stadt erkannt. An der Oadby-and-Wigston-Straße, der Rathausallee, der Heidberstraße oder am Friedrichsgaber Weg. „Es sind nicht nur die jungen Ahorn-Bäume betroffen, sondern auch alter Baumbestand, etwa die Linden“, sagt Kerlin. Die Bäume, sagt Kerlin, saugen das Salz auf, bekommen im heißen Sommer zu wenig Wasser und werden das Salz nicht mehr los. Zusammen mit anderen negativen Umwelteinflüssen wird das irgendwann zu viel für die Bäume. Deswegen rechnet Kerlin damit, dass die Stadt viele Bäume wird fällen müssen. „Nicht unproblematisch ist der Salzeintrag in das Grundwasser und in die Vorfluter, also die Regenrückhaltebecken, die Moorbek und Tarpenbek“, sagt Kerlin. Was die Situation zusätzlich verschärfe: Viele Straßen in Norderstedt-Mitte und in den Neubaugebieten hätten keine Sielentwässerung. „Da versickert die Salzbrühe in seitlichen Gräben an der Straße.“ Das spare Kapazitäten in den Rückhaltebecken, sei für Grundwasser und Pflanzen aber schädlich.

Salzkristalle blühen auf Gehwegen und Hecken könnten plötzlich braun werden

Grundstücksbesitzern erlaubt die Norderstedter Satzung über die Streupflicht im Winter den Einsatz von Salz nur auf besonders gefährlichen Stellen auf Geh- und Radwegen. Und sie verbietet das Bestreuen von Baumscheiben und das Ablagern von salzhaltigem Schnee auf Grünflächen. Doch genau dazu sei es im vergangenen Winter flächendeckend in Norderstedt gekommen, so Kerlin. „Wenn den Anwohnern jetzt irgendwann die Hecken braun werden, dann ist die Stadt vermutlich regresspflichtig“, sagt Kerlin.

Im Rathaus sind die Schäden an der städtischen Fauna Thema. Im Umweltausschuss wurde jetzt eine Anfrage der GALiN aus dem Mai beantwortet. Die ehemalige Stadtvertreterin Ariane Last wollte wissen, warum plötzlich Salzkristalle auf den Gehsteigen in Norderstedt aufblühen. Das Betriebsamt verwies auf den Beschluss der Kommunalpolitik für den flächendeckenden Winterdienst auf Radwegen. Und weil scharfkantige Granulate zwar abstumpfende Wirkung auf Eis erzeugen, aber auch die empfindlichen Reifen von Fahrrädern zerstören und für Rutschgefahr sorgen, sei für den Winterdienst nur das abtauende Salz infrage gekommen, so die Antwort des Betriebsamtes. Im Übrigen: Umweltverträglicher als das Salz seien Granulate auch nicht. Denn sie müssten personalintensiv und unter Einsatz von Geräten (Kraftstoffverbrauch, Lärm) wieder eingesammelt, gereinigt und gegebenenfalls entsorgt werden

Aufgrund des großen Erfolgs des Pilotversuchs empfiehlt das Betriebsamt, dass auch in künftigen Wintern die Stadt und nicht die Grundeigentümer das Räumen der Radwege übernehmen soll. Pro Streu-Einsatz im 71,5 Kilometer langen Radwegenetz würden dafür Kosten von 2976,55 Euro anfallen.

Bäume als Kollateralschäden der eisfreien Radwege

Stadtsprecher Hauke Borchardt spricht von einem Abwägungsprozess: Wer im Winter geräumte und einwandfrei befahrbare Radwege wünscht, der müsse sich mit dem Umstand abfinden, dass durch den dafür alternativlosen Einsatz von Streusalz Bäume geschädigt werden. Die Schädigung der Straßenbäume in Norderstedt durch Streusalz habe die Stadt im Blick. Auf der Oadby-and-Wigston-Straße habe ein Gutachter gerade nach Lösungen gesucht, wie das dort ungünstig auf die Baumscheiben ablaufende Oberflächenwasser der Straße umgeleitet werden kann. „Auf Radwegen bleibt einem außer dem Einsatz von Streusalz nur noch die Eisfräse“, sagt Borchardt.

Für die vollständige Umweltbilanz der gesalzenen Radwege darf für das Betriebsamt ein weiterer Aspekt nicht ungenannt bleiben: „Bei entsprechend nutzbarer Infrastruktur ist das Radfahren auch im Winter eine verlässliche und zügige Verkehrsform, die zum Umweltschutz und zur Verkehrsentlastung in Norderstedt beiträgt“, heißt es in der Bilanz für den Streueinsatz.