Immer mehr Pflegebedürftige - aber der Pflegenachwuchs fehlt. Ein bundesweites Pilotprojekt in Norderstedt soll den Ausbildungsstandard verbessern.

Norderstedt. Zu wenig praktische Anleitung, zu viele Überstunden und eine zu hohe Belastung - das sind die Ergebnisse des Ausbildungsreports Pflegeberufe 2012. Danach fühlt sich mehr als ein Viertel der Befragten (28,5 Prozent) durch die Ausbildungsbedingungen immer oder häufig belastet. Häufigster Grund ist das Arbeiten unter Zeitdruck (58,1 Prozent). Keine guten Aussichten für den Beruf des Altenpflegers, der in den kommenden Jahrzehnten immer wichtiger wird. Tatsächlich gibt es nicht viele junge Leute, die sich für diesen Beruf interessieren.

"Der Fachkräftemangel ist alarmierend", sagt Gunnar Löwe, Geschäftsführer des Altenpflegeheims Scheel in Norderstedt. Löwe ist Vorstandsmitglied des Unternehmensverbandes Unterelbe-Westküste, war zwei Jahre Landesvorsitzender des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste. Wegen gesundheitlicher Probleme ließ er das Amt ruhen, stellt sich aber noch in diesem Monat erneut zur Wahl.

Immer mehr Pflegebedürftige - aber der Pflegenachwuchs fehlt

Er nennt mehrere Gründe für den Mangel, am wichtigsten sei der demografische Faktor: Immer mehr alten Menschen stünden immer weniger junge Leute gegenüber, die eine Ausbildung machen. Die Bezahlung erscheint ihm als "nicht gerecht". "Wenn ein Altenpfleger einen Fehler macht, kann das unmittelbare Auswirkungen auf die Gesundheit eines Menschen haben, wenn ein Handwerker oder ein Bankangestellter einen Fehler macht, kann das allenfalls einen leichten finanziellen Schaden anrichten." Für ihn wird hier ein gesamtgesellschaftliches Problem sichtbar: "Was ist uns die Pflege der alten Menschen wert?" Ihm steige beim Gedanken an die Bezahlung die "Zornesröte" ins Gesicht.

Mit Informationsveranstaltungen in Schulen machen Gunnar Löwe und sein Verband auf den Altenpflegeberuf aufmerksam. Denn das Anbieten von Praktika und die Möglichkeit des Freiwilligen Sozialen Jahrs sieht er als Chance, junge Menschen zu interessieren. In seinem Altenpflegeheim Scheel hat Löwe Strukturen geschaffen, um den Mitarbeitern verlässliche Arbeitszeiten zu garantieren.

Einen besonderen Weg hat die Gruppe der Domicil Seniorenresidenzen eingeschlagen. Im Schulungszentrum Norderstedt der Schule für Altenpflege des Rendsburger Instituts für berufliche Aus- und Fortbildung im Sozial- und Gesundheitswesen (IBAF), wurde ein Projektkursus speziell für Domicil-Auszubildende eingerichtet. In Deutschland gibt es insgesamt 24 Domicil-Häuser, in der Klasse werden 20 junge Leute aus den zwei Einrichtungen in Ahrensburg und einer Einrichtung in Hamburg-Jenfeld unterrichtet. Domicil und IBAF sind damit eine in Deutschland bisher einmalige Kooperation eingegangen.

Domicil gibt viel Geld aus, um den Fachkräftemangel abzubauen

Drei Jahre sitzen die 15 bis 31 Jahre alten Auszubildenden hier auf der Schulbank, um das theoretische Wissen für ihren Beruf zu erwerben. Den praktischen Teil lernen sie in den drei Domicil-Häusern. Schulleiterin Gabriele Lengefeldt gibt Blockunterricht. "Es war eine unternehmerische Entscheidung, um qualifizierten Nachwuchs für die eigenen Häuser zu sichern", sagt Thomas Stajer, von der Geschäftsführung der Domicil Seniorenresidenzen. "Wir wenden damit viel Geld auf, um den Fachkräftemangel abzubauen." Stajer und IBAF-Geschäftsführer Andreas Hamann gehen davon aus, dass die Qualität der Ausbildung mit diesem Pilotprojekt angehoben wird. Das Domicil-Qualitätsmanagement und die IBAF arbeiteten eng zusammen.

Für Gunnar Löwe ist das IBAF/Domicil-Pilotprojekt eine interessante Möglichkeit, um einen Weg aus dem Fachkräftemangel zu finden. Er selbst ist froh, dass in Norderstedt eine Dependance des Instituts eingerichtet worden ist. "Die Stadt und der Seniorenbeirat hatten sich stark dafür eingesetzt", sagt der Pflegeheimleiter.