Generation Kukident trifft auf Generation Facebook: Wie Uwe Enge, 74, mit seinen Geschichten zum Star der Hamburger Sub-Kultur wurde.

Ellerau. Ein schmuckes Einfamilienhaus in Ellerau, penibel gepflegter Garten, die Blumen stehen in Reih und Glied. Hier wohnt Uwe Enge. Er ist 74 Jahre alt, ein Handwerker aus altem Schrot und Korn. Sein Haus hat er vor 40 Jahren selbst gebaut.

Tagsüber führt er mit seiner Frau ein gemütliches, bürgerliches Leben. Doch zwei- bis dreimal im Monat verwandelt sich der Ellerauer Senior in den Slam-Opa von Hamburg. Bei Einbruch der Dämmerung greift er sich seine schwarze Mappe und taucht damit in die Underground-Szene der nahen Metropole ab.

Im Grünen Jäger auf St. Pauli wird Uwe von jungen Männern mit tiefhängenden Mützen freundlich frotzelnd begrüßt: "Da ist ja der alte Mann." Hier, wo Schmuddeligkeit die Wahrhaftigkeit der Sub-Kultur unterstreicht, ist Uwe aus dem sauberen Ellerau eine Institution, ein Urgestein des Poetry Slam. Schon seit 14 Jahren gehört er der Dichter-Szene an.

Im Grünen Jäger wird die Urform des Dichterwettstreits Poetry Slam zelebriert. Jeder darf eigene Texte vortragen, hat fünf Minuten Zeit, das Publikum in den Bann zu ziehen. Die Zuhörer stimmen anschließend per Applaus darüber ab, wer einen zweiten Text vortragen darf.

Uwe erzählt vom Plumpsklo seiner Kindheit, das "Tante Meier" hieß

Bei fast jeder dieser "Jägerschlachten" steht Uwe auf der kleinen, improvisierten Bühne. Er erzählt dem jugendlichen Publikum aus seiner Vergangenheit - einer Zeit, als seine Zuhörer noch "als Nichts im großen Teich schwammen", wie es der Slam-Opa ausdrückt. Er erzählt vom Plumpsklo seiner Kindheit, das "Tante Meier" genannt wurde, oder trägt schlüpfrige Erlebnisse aus seiner Zeit als Klempner vor, schildert beispielsweise, wie eine junge Frau ohne Schlüpfer sich die Hände an einem Waschbecken wusch, unter dem er kniete, um den Abfluss zu reparieren.

Der Applaus seines jungen Publikums ist ihm gewiss, wenn er auch nicht jede Schlacht für sich entscheiden kann. "Mir geht es nicht ums Gewinnen", sagte er, "es ist einfach ein irres Feeling. Einmal rief eine Frau aus dem Publikum: ,Uwe, ich liebe dich wie meinen eigenen Opa!'"

Als Senior-Slammer genießt er seine Außenseiter-Stellung in der jungen Dichter-Szene: "Generation Kukident trifft auf Generation Facebook", sagt er. In der zunehmenden Anonymität der elektronischen Medien sei der Poetry Slam ein Gegenentwurf. Uwe: "Es ist nichts Virtuelles, sondern etwas Physisches. Die Autoren haben direkten Kontakt zum Publikum und umgekehrt. Die Zuhörer können dem Autoren direkt die Meinung sagen. Dieser Beifall, der ist ehrlich - er ist gnadenlos ehrlich."

Aber, wie ist der gelernte Klempner und Installateur in die Untergrund-Szene Hamburgs geraten? Alles begann vor 15 Jahren in Ellerau. Er hatte schon einige seiner lustigen Erlebnisse zu Papier gebracht, als er mit Gerd Stein ins Gespräch kam. Stein führte damals das Café am Ellerauer Bürgerpark und ließ Uwe auftreten. Der erste anhaltende Applaus infizierte den schon damals nicht mehr ganz jungen Dichter.

Der Ellerauer hat bereits mehr als 300 Kurzgeschichten geschrieben

"Dann las ich von einer neuen Form des Literaturvortrags, dem Poetry Slam. Das war vor 14 Jahren." Er nahm Kontakt zu Tina Uebel und Hartmut Pospiech, den Begründern der Hamburger Poetry-Szene, die das "foolsgarden" betrieben, auf. "Ich trat dort dann erstmals mit einer autobiografischen Geschichte vor fünf Juroren auf und erhielt fast die Bestnote." Dieser Erfolg befeuerte seine Kreativität.

Inzwischen umfasst sein Fundus 288 Kurzgeschichten auf Hochdeutsch und 20 plattdeutsche Döntjes. Er hortet sie fein säuberlich in nummerierten Ordnern in seiner Dichterstube, einem Kellerraum seines Einfamilienhauses. Zirka 30 davon kann er auswendig vortragen.

Auf allen Poetry-Bühnen Hamburgs ist der coole Senior-Slammer inzwischen ein Institution, ob im Uebel und Gefährlich, dem Molotow oder eben im Grünen Jäger.

Dort sitzt er nach seinem Auftritt noch mit den jungen Slammern und Moderator Moritz auf den spakigen Ledersofas zusammen, quatscht ein wenig, geht auf eine Pizza rüber ins Feuerstein und macht sich dann auf den Weg zurück nach Ellerau in sein schmuckes Heim. Bis zum nächsten Mal.