Mediziner arbeiten im Kreis Segeberg an einer Masse, mit der sich Tuberkulose-Erreger leichter nachweisen lassen.

Kreis Segeberg. Kaugummi soll die Reisekrankheit lindern, Mundgeruch verhindern, die Konzentration steigern oder Rauchern helfen, von den Zigaretten loszukommen (s. Kindernachricht). Nun hat es die dehnbare Masse in die medizinische Forschung geschafft. Mitarbeiter des Forschungszentrums Borstel, Leibniz-Zentrum für Medizin- und Biowissenschaften, entwickeln ein Kaugummi, mit dem Tuberkulose (TB) leichter diagnostiziert werden kann.

Auslöser des Forschungsprojektes im Kreis Segeberg ist, dass die Krankheit in den letzten Jahrzehnten erneut zu einer weltweiten Gefahr für die Gesundheit der Menschen erwachsen ist. Die Zahl der Betroffenen, unter ihnen auch viele Kinder, steigt an. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkrankten im Jahr 2011 weltweit 8,7 Millionen Menschen an TB, 1,4 Millionen starben an der Infektionskrankheit. Jährlich erkranken mindestens 500.000 Kinder an TB, bis zu 70.000 sterben daran. In Entwicklungsländern ist die Erkrankung nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen, und auch in einigen europäischen Ländern steigt die Zahl der TB-Erkrankten wieder an.

Projektleiter Dr. Christian Herzmann hat für sein Vorhaben die Volkswagen Stiftung gewonnen, die mit ihrer "Förderinitiative Experiment!" gewagte Forschungsvorhaben unterstützt. "Gewagt ist dieses Projekt, gerade deshalb begeistern und engagieren sich Mediziner und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete gemeinsam, was die Herstellung eines solchen Kaugummis zu einem Vorzeigeprojekt interdisziplinärer Forschung mit direkter Anwendung macht", sagt Christine Steinhäuser vom Forschungszentrum Borstel.

Tuberkulose ist eine bakterielle Erkrankung. Patienten, die an einer aktiven Tuberkulose leiden, können andere Menschen leicht anstecken und müssen behandelt werden. TB kann ohne geeignete Behandlung tödlich verlaufen. Eine schnelle und eindeutige Diagnose ist deshalb wichtig. Dazu wird unter anderem das sogenannte Sputum der Patienten untersucht, die ausgehustete Absonderung der Atemwegsschleimhaut, in der die Bakterien zu finden sind.

Gerade bei Kindern ist eine exakte Diagnose schwer, da sie nicht in der Lage sind, Sputum zu produzieren. "Die Erreger müssen entweder durch eine Magensaftaspiration oder durch eine Bronchoskopie nachgewiesen werden. "Beide Untersuchungsmethoden sind für die Kinder unangenehm und außerdem aufwendig und teuer", sagt Herzmann. Bei einer Magensaftaspiration wird ein Teil des Magensaftes entnommen, bei der Bronchoskopie ein Teil der Bronchien mit einer bestimmten Flüssigkeit durchgespült, sodass Zellen aufgefangen werden können. Kindheits-Tuberkulose wird oft nicht diagnostiziert und deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung ebenso wie bei den Geldgebern für Forschung und Entwicklung vernachlässigt.

Eine günstige und schnelle Diagnosetechnik, die in jeder klinischen Einrichtung auf der Welt eingesetzt werden kann, würde besonders Kindern zugute kommen. Gerade bei Heranwachsenden ist eine frühe Diagnose zwingend erforderlich, um das Voranschreiten der Erkrankung zu verhindern.

Besonders in Ländern, in denen die Tuberkulose weit verbreitet ist und keine flächendeckende medizinische Infrastruktur besteht, wären die Kaugummis ohne medizinische Überwachung anwendbar. Die Bakterien wären in der Gummimatrix gebunden, sodass keine unmittelbare Ansteckungsgefahr von ihnen ausginge. In einem Analyselabor kann die Kaugummimatrix chemisch so behandelt werden, dass die sich darin befindenden Mykobakterien freigesetzt werden und genau charakterisiert werden können. "Als ich von einem Kollegen aus Belgien erfuhr, dass es möglich ist, Ratten so trainieren, dass sie Tuberkulose im Auswurf bei erkrankten Menschen riechen können, habe ich mich gefragt, ob ein Kaugummi eines Tuberkulosepatienten anders riecht als ein Kaugummi eines gesunden Menschen", sagt Herzmann: "Daraus entwickelte sich die Frage, ob es gelingen kann Tuberkuloseerreger an ein Kaugummi zu binden. Und dieser Frage gehen wir jetzt intensiv nach."