Zum 25. Geburtstag der Gleichstellungsstelle hat Claudia Meyer mehr und brisantere Aufgaben als je zuvor. Meyer im Abendblatt-Interview.

Norderstedt. Die Gleichstellungsstelle Norderstedt feiert ihren 25. Geburtstag. Drei Frauen arbeiten in dem Amt, das die Gleichstellung für Frauen und Männer sowohl in der Norderstedter Verwaltung als auch in Norderstedt regeln soll. Gleichstellungsbeauftragte Claudia Meyer arbeitet 39 Stunden in der Woche, ihre Kolleginnen Christine Eckert 30,4 Wochenstunden und Christine Schmidt 19,5 Wochenstunden. Claudia Meyer lernte nach ihrem Abitur Verwaltungsfachangestellte. Das reichte der engagierten Frau aber nicht. Sie wurde Diplom-Biologin, arbeitete im Norderstedter Umweltamt, setzte sich für Norderstedts Städtepartnerschaften ein und wurde schließlich Nachfolgerin der verstorbenen Ursela Peters als Gleichstellungsbeauftragte.

Doch brauchen wir eine Gleichstellungsbeauftragte? Ist das Amt nicht lange überholt? Wie wichtig ist noch der Internationale Frauentag am 8. März? Wir stellten Claudia Meyer diese und andere Fragen.

Hamburger Abendblatt: Brauchen wir noch eine Gleichstellungsbeauftragte, und ist der Internationale Frauentag am 8. März immer noch notwendig?

Claudia Meyer: Für beides gilt ein vielfaches Ja. Ja, weil immer noch Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig sind, durch wenig Anerkennung, schlechte Arbeitsbedingungen und geringen Verdienst geprägt sind. Ich kann nicht verstehen, warum uns eine gute Kindererziehung und eine verlässliche Pflege von Menschen, die darauf angewiesen sind, so wenig wert sind. Ja, weil viele Frauen, egal welchen Alters, immer noch glauben, dass der Mann sie versorgt und sie ihre Existenz nicht selbst sichern müssen. Nicht weil sie dumm sind, sondern weil sie es so vermittelt bekommen und darauf vertrauen. Manche auch, weil es einfacher ist. Ja, weil Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch eines unserer größten gesellschaftlichen Probleme ist. Ja, weil 97 Prozent der bekannten Fälle von häuslicher Gewalt sich gegen Frauen richten. Ja, weil es für Frauen immer noch die Gläserne Decke gibt, das heißt, sie bleiben in der mittleren Führungsebene stecken, und weil immer noch bestritten wird, dass es sie gibt. Ja, weil es immer noch einen großen Unterschied zwischen Vatertag und Muttertag gibt, Väter feiern unter sich, Mütter kümmern sich um die Familie.

Für Sie als Beraterin gilt genauso wie für den Arzt oder den Pastor die Schweigepflicht, beispielsweise in Fällen sexuellen Missbrauchs. Welches Konflikt-Potenzial birgt das für Sie?

Meyer: Die Schweigepflicht ist oberstes Gebot, ohne sie würden sich viele Ratsuchende gar nicht an mich wenden.

Sie sind auch für die Verwaltung als Gleichstellungsbeauftragte zuständig und erfüllen dort eine Vielzahl von Aufgaben. Wie viel Zeit bleibt Ihnen für die Bürgerinnen und Bürger?

Meyer: Die Bürgerinnen und Bürger und die Norderstedter Stadtverwaltung werden natürlich gleichberechtigt behandelt. Informationsangebote wie Vorträge über Mini-Jobs oder Fachveranstaltungen, beispielsweise zur Traumatisierung nach Gewalterfahrung, werden langfristig geplant. Darüber hinaus machen wir kurzfristige Aktionen, beispielsweise einen Infostand in der Rathaus-Passage zum Equal Pay Day, um über die Notwendigkeit gleichen Lohns für gleiche Arbeit von Frauen und Männern hinzuweisen. Außerdem kann jeder einen Termin mit uns vereinbaren. Bei Notfällen handeln wir aber sofort.

Mit nur zwölf Prozent in den Aufsichtsräten und nur fünf Prozent in den Vorständen sind Frauen in deutschen Führungsetagen deutlich unterbesetzt. Sollen Unternehmen per Gesetz verpflichtet werden, Frauen in Führungspositionen aufzunehmen? Oder befürworten sie die Flexi-Quote der Familienministerin Kristina Schröder?

Meyer: Ich halte es mit Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, die sagte: "Ich mag keine Quoten. Aber ich mag ihre Ergebnisse." Die freiwillige Quote gibt es seit Anfang 2000. Bewirkt hat sie so gut wie nichts. Eine Quote halte ich für dringend geboten, nicht als dauerhafte Lösung, sondern als erste Maßnahme. Sie verändert die Strukturen und macht die Arbeitswelt frauen- und familienfreundlicher.

Sie müssen auch in die Bauleitplanungen der Stadt einbezogen werden. Was fordern Sie in dem Bereich für die Frauen? Frauenparkplätze? Kinderwagenfreundliche Gestaltung? Sicherheit, beispielsweise Beleuchtung, im öffentlichen Bereich?

Meyer: Es geht vor allem um Sicherheit, bezogen auf Beleuchtung und Mobilität. Menschen mit Rollator und mit Kinderwagen brauchen mehr Platz. Wichtig ist auch eine wohnungsnahe Versorgung. Das Konzept der kurzen Wege, das die Stadt verfolgt, kommt den Interessen von Frauen sehr entgegen.

Werden Sie auch von Frauen mit Migrationshintergrund um Rat gefragt, beispielsweise bei frauenfeindlichen Übergriffen, Unterdrückung in der Ehe, Generationskonflikten zwischen Vätern und Töchtern, Brüdern und Schwestern, und wie ist Ihnen Hilfe möglich?

Meyer: In den letzten drei Jahren hatte zirka ein Viertel der zu beratenden Frauen einen Migrationshintergrund, wobei die Themen der Beratung sich nicht besonders von den Themen aller ratsuchenden Frauen abheben. Es gab Probleme bei der Wohnungssuche, mit Behörden, zum Beispiel dem Leistungszentrum, Vermieter, Existenzsicherung bei Alleinerziehenden, Probleme in der Ehe mit Trennungsabsicht, Fragen zu Trennung und Scheidung, Sorgerecht und Unterhalt. Das Thema häusliche Gewalt in der ehelichen Gemeinschaft findet sich bei allen Frauen wieder. Bei Gesprächen mit Migrationsvereinen werden Beratungsmöglichkeiten für betroffene Frauen erörtert.

Inwieweit kann die Gleichstellungsstelle den Frauen im Frauenhaus bei den brisanten Wohnungsproblemen helfen, sozusagen amtlich?

Meyer: Wir sind immer wieder in Kontakt mit der zuständigen Stelle für Wohnraumsicherung oder Vermeidung von Obdachlosigkeit. Ich kann leider nicht amtlich anordnen, dass diese oder jene Frau eine Wohnung zu bekommen hat.

Was bietet die Gleichstellungsstelle außerhalb der individuellen Beratungen für die Öffentlichkeit an?

Meyer: Es kommt darauf an, welche Themen aktuell wichtig sind. Wir bieten Lesungen, Konzerte, Kabarett und Info-Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag, Ausstellungen, Vorträge zum Mini-Job, zur Elternzeit, zur privaten Altersvorsorge für Frauen. Wir machen öffentliche Aktionen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen oder auch eine Postkarten-Aktion zur Bundestagswahl im September. Das können wir aber nur zusammen mit den anderen Einrichtungen der Stadt, mit den Buchhandlungen und den Kulturträgern leisten.

Wie verweist die Gleichstellungsbeauftragte auf die hohe Dunkelziffer häuslicher Gewalt und sexuellen Missbrauch in den Familien? Gibt es Aufklärung in den Schulen?

Meyer: Immer wieder mit der Ausstellung HerzSchlag, die mindestens alle zwei Jahre im Rathaus gezeigt wird, beispielsweise wieder im Februar 2014. In Schulen sind wir nicht vertreten.

Welche Resonanz hat die jährlich wiederkehrende Aktion "Gewalt kommt nicht in die Tüte", die die Gleichstellungsstelle mit dem Bäckerhandwerk veranstaltet?

Meyer: Die Aktion "Gewalt kommt nicht in die Tüte" ist aus meiner Sicht die beste Aktion der Gleichstellungsarbeit. In Norderstedt gibt es zwei Innungsbäckereien, in denen die Gleichstellungsstelle, Frauenhaus, Frauenberatungsstelle und Notruf am Sonnabend von 7.30 Uhr bis mittags in den Bäckereien Infomaterial verteilen und die Kundinnen und Kunden über häusliche Gewalt informieren. Die Bäckereien geben ihre Backwaren in einer Papiertüte aus, auf der die Adressen, Telefonnummern der kreisweiten Beratungsstellen und die landesweite Frauen-Helpline gedruckt sind. Die Aktion ist eine einmalige Gelegenheit, mit diesem Thema an Menschen heranzutreten, die sonst weder für Frauenberatungsstellen und Frauenhaus noch für die Gleichstellungsstelle erreichbar wären. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich und reichen von "Mich interessiert das nicht" bis zu "Ihre Aktion finde ich toll". Auch eine Spende für das Frauenhaus hat es bereits gegeben. Da die Aktion 2012 wieder sehr erfolgreich war, soll sie auf zwei Tage pro Woche ausgeweitet werden und 2013 sowohl am Sonnabend als auch an einem anderen Wochentag stattfinden.

Arbeitet die Gleichstellungsbeauftragte auch für und mit Frauen, die in Alten- und Pflegeheimen leben? Wenn ja, mit welchem Ziel?

Meyer: Vor einigen Jahren gaben Gleichstellungsstelle, der Pflegestützpunkt und die Awo eine Veranstaltung zur Demenz. Auch mit dem Seniorenbeirat gab es eine Kooperation, hier zum Thema Pflege von älteren und kranken Menschen. Das sollten wir reaktivieren.

Das Frauennetz Norderstedt, das von der Gleichstellungsstelle koordiniert wird, ist kaum im Fokus. Wird damit nicht eine Chance verpasst, die Belange von Frauen zu forcieren? Das gilt auch für das Netzwerk Unternehmerinnen Norderstedt.

Meyer: Das Frauennetz dient in erster Linie dem Austausch unterschiedlicher Institutionen. Ich halte den Austausch für sehr wichtig. Er ist die Basis, auf der alles aufbaut. Es gab vor einigen Jahren einen Flyer, in dem das Frauennetz sich vorstellt. Wir sind gerade dabei, ihn zu aktualisieren. Das Netzwerk Unternehmerinnen Norderstedt, kurz NUN, etabliert sich gerade. NUN leistet im Moment das, was für die einzelnen Beteiligten wichtig ist: Vorträge zu unterschiedlichen Fachthemen und Austausch untereinander und wird von der Gleichstellungsstelle unterstützt, aber nicht koordiniert. Beide Netzwerke sind jederzeit für neue Teilnehmerinnen offen.

Für Ende 2013 ist eine kreisweite Fachtagung zur häuslichen Gewalt geplant. Bleibt die Ansprache intern oder wird die Tagung öffentlich veranstaltet, beispielsweise mit Fach-Beratung für Betroffene?

Meyer: Das ist noch offen und hängt auch ein wenig vom Schwerpunkt-Thema ab. Eine Option wäre, die Veranstaltung parallel zur Ausstellung HerzSchlag in der Rathaus-Galerie stattfinden zu lassen und so den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Besuch in der Ausstellung zu ermöglichen.