Den Politikern fehlen Visionen, den Parteien das Profil. Pragmatismus ist das Motto der Norderstedter Kommunalpolitik. Gerungen wird nur im Detail.

Die Politik wird von der Verwaltung gemacht - das ist der Eindruck, den alle haben, die sich mit der Kommunalpolitik in Norderstedt beschäftigen. Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote macht sich für den Radverkehr und ein nachhaltiges Norderstedt stark, Sozialdezernentin Anette Reinders schafft Kita-Plätze, und Baudezernent Thomas Bosse baut Straßen. Wo aber bleiben die Visionen der Parteien? Was setzen sie dem Verwaltungshandeln entgegen? Wann und wo treten die Kommunalpolitiker an die Öffentlichkeit, indem sie die Verwaltung kontrollieren, fragen, was der Ausbau des Knotens Ochsenzoll oder das Kulturwerk nun wirklich gekostet haben? Fehlanzeige, heißt die Antwort auf alle drei Fragen.

Zugegeben, es ist in Norderstedt nicht ganz leicht, politisches Profil zu zeigen. Gerade Oberbürgermeister Grote verkauft sich und das Verwaltungshandeln geschickt, hat ein Gespür dafür, wann Themen und Projekte in die Zeit passen. Beispiel Radverkehr: Schon seit Jahrzehnten fordern der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club in Norderstedt, die GALiN und die SPD mehr städtisches Engagement für die Radler. Jetzt ist die Zeit reif für die große Rad-Offensive, hat der Verwaltungschef vor einigen Monaten propagiert und handelt entsprechend. Und der Verwaltungschef versteht es, nicht nur seine Partei, die CDU, einzubinden, sondern auch so weit wie möglich die anderen Parteien.

Weiter zugestanden sei den Politikern, dass viele große Projekte und Probleme abgearbeitet sind. Beispiel Verkehr: Der Knoten Ochsenzoll ist so gut wie ausgebaut, die Oadby-and-Wigston-Straße wird verlängert, der Verkehrsring um Norderstedt geschlossen - gerade die Frage, welche Straßen gebaut werden müssen, um die Staus auf den Norderstedter Straßen abzubauen, hatte jahrelang für politischen Streit gesorgt und die öffentliche Diskussion dominiert. Der Bau von Kitas und der Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen sind Pflichtaufgaben. Trotz hoher Schulden geht es Norderstedt finanziell gut.

Da wäre doch gerade jetzt Luft zum Durchatmen, Zeit, um Visionen für die Stadt zu entwickeln, den Bürgern zu sagen, wie es in Norderstedt in zehn oder 20 Jahren aussehen soll. Neue Ideen bieten den Parteien die Chance, Profil zu zeigen, Bürger zu begeistern und mitzunehmen auf dem Weg in die Zukunft.

Viele Entscheidungen sind durch die Verwaltung vorgegeben

Doch davon ist nicht zu merken, die Politiker sind, und in diesem Fall sind sie sich parteiübergreifend einig, förmlich abgetaucht. Pragmatismus scheint die Leitlinie politischen Handelns zu sein. Der Großteil der Entscheidungen ist sowieso von der Verwaltung vorbestimmt, wir müssen nur noch abnicken, hatte Ex-CDU-Fraktionschef Günther Nicolai erst vor Kurzem lakonisch festgestellt. In den Fachausschüssen arbeiten die Freizeitpolitiker ab, was die Verwaltung vorlegt. Natürlich fragen die Ausschussmitglieder nach, kritisieren, schlagen Änderungen vor. Insgesamt geht es aber harmonisch zu. Menschen wie Positionen nähern sich an.

Wer die beiden Elefantenrunden der Kirchengemeinde Harksheide und des Seniorenbeirats miterlebt hat, kann nur feststellen: Es wird gekuschelt, die Einigkeit ist fast schon erschreckend. CDU und FDP demonstrieren soziales Engagement, SPD und Die Linke weisen auf Kosten hin, die die Wünsche der Bürger beispielsweise nach einem personell verstärkten städtischen Ordnungsdienst verursachen würden. Aber auch zwischen Politikern und Verwaltung klappt die Kooperation. Hinzu kommt, dass selbst die Politik auf Ortsebene den ehrenamtlichen Politikern immer mehr Zeit und Durchblick abverlangt. Komplizierte gesetzliche Regelungen und Paragrafen, die der Laie kaum versteht, und seitenlange Stellungnahmen der Verwaltung müssen bewältigt werden.

Zusätzlich erschweren es die zerbrechlichen Mehrheitsverhältnisse in der Stadtvertretung, eigene Ideen durchzusetzen. Die aktuelle Wahlzeit war geprägt durch eine Ein-Stimmen-Mehrheit, die zudem auch noch zweimal gewechselt hat. Erst wechselte Naime Basarici im Mai 2009 von der SPD zur CDU und verhalf damit CDU und FDP zur hauchdünnen Mehrheit. Im August stellte Hans-Joachim Zibell die alten Verhältnisse wieder her, in dem er die FDP-Fraktion verließ, um nun bei den Sozialdemokraten Politik zu machen. Beide Stadtvertreter nahmen ihre Mandate mit, was ihnen Kritik einbrachte. Sie begründeten ihr Verhalten damit, dass sie mit dem Mandat auch künftig für ihre Überzeugungen eintreten würden. Was dabei herauskommen kann, zeigt der Umbau der Einmündung Stettiner Straße/Friedrichsgaber Weg - ein Projekt, mit dem es Norderstedt nicht nur ins ZDF, sondern auch ins Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes geschafft hat.

Parteiwechsel kosteten knapp 900.000 Euro an Steuergeld

Ein Schildbürgerstreich, knapp 900.000 Euro Steuergeld der Bürger wurde hier verschwendet, das ZDF sprach in seinem Beitrag von "einer der teuersten Wiesen der Republik". Die Stadt hatte die Häuser am Friedrichsgaber Weg für 850.000 Euro gekauft. Einen Teil der Fläche wollten die Planer für den Ausbau der Kreuzung nutzen, die Häuser, um ein soziales Projekt unterzubringen. Mitten im Streit um die Frage Kreisel oder Ampel kam es zum Doppelwechsel in der Stadtvertretung. Es blieb zwar beim von SPD, GALiN und Die Linke durchgesetzten Beschluss, die Einmündung durch eine Ampel zu entschärfen. Als dann CDU und FDP am Ruder waren, blieb ihnen nur noch, für den Abriss der Häuser zu stimmen, die Folgekosten seien zu hoch. Der Abriss kostete nochmals 32.000 Euro.

Da bleibt die spannende Frage, wie es nach der Wahl weitergeht.

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