Der Kinderschutzbund wird immer mehr in Anspruch genommen, aber der Kreis Segeberg will die Zuschüsse trotzdem nicht erhöhen.

Kreis Segeberg . Vergewaltigung, Nötigung, sexueller Missbrauch - die Zahl der Taten sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche steigt beständig. Der Deutsche Kinderschutzbund spürt die Auswirkungen deutlich: Die Fachberatungsstellen gegen sexuelle Gewalt im Kreis Segeberg werden immer mehr in Anspruch genommen. So stark, dass die Mitarbeiter überfordert sind. Der Kreis Segeberg ist aber nicht bereit, auf die Sorgen und Nöte des Kinderschutzbundes einzugehen: Ein Antrag auf Erhöhung der finanziellen Förderungspauschale wurde gar nicht erst behandelt.

Die Zahl der Beratungen ist eklatant gestiegen, aber Experten gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen höher liegt. Bundesweit, so hat eine aktuelle Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen im Auftrag der Bundesregierung ergeben, werden nur zwischen zwölf und 18 Prozent der sexuellen Übergriffe zur Anzeige gebracht. Die Fachberatungsstellen des Kinderschutzbundes haben einen Vertrag mit dem Kreis Segeberg, der sie zur Leistung von insgesamt 828 Beratungskontakten in einem Jahr verpflichtet. Davon entfallen auf das Familienbüro Bad Bramstedt 130 Beratungen, auf das Familienbüro Bornhöved 100 Beratungen. Der größte Teil entfällt also auf die Fachberatungsstelle am Kirchplatz in Bad Seeberg, die von Betroffenen aus dem ganzen Kreis Segeberg in Anspruch genommen wird.

Tatsächlich aber wird von den Fachberatern weit mehr Arbeit geleistet: Im vergangenen Jahr wurde die Zahl der Beratungen um rund 50 Prozent überschritten. "Wir fühlen uns der grundsätzlichen Leistung für Hilfen verpflichtet und wollen uns auch nicht ausschließlich auf die von uns zu erbringenden Beratungskontakte beziehen", schreibt Kinderschutzbund-Geschäftsführer Bernd Heinemann an den Kreis Segeberg. "Dennoch können wir die Leistungen nur dann erbringen, wenn wir entsprechend Mehrstunden leisten und die Erstattung der Vergütung für die Mitarbeiterinnen nicht vornehmen." Was im Klartext bedeutet: Die Mitarbeiterinnen arbeiten mehr als geplant, bekommen aber nicht mehr Geld dafür. Bernd Heinemann, der auch stellvertretender Landesvorsitzender des Kinderschutzbundes ist, drückt es drastisch aus: "Wir gehen auf dem Zahnfleisch." Zweieinhalb Stellen seien nicht ausreichend, der Kinderschutzbund müsse für diese Tätigkeit personell und finanziell besser ausgestattet werden.

Warum wird die Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen so oft aufgesucht? Bernd Heinemann weiß, dass sich immer mehr Menschen trauen, dieses bisherige Tabu-Thema anzusprechen. Noch vor Jahren sei die Bereitschaft, sexuelle Gewalt anzuzeigen, deutlich geringer gewesen. Aktuelle Ereignisse, über die Medien berichten, hätten zu einem Umdenken geführt.

Andererseits kommt es nach den Erkenntnissen von Bernd Heinemann tatsächlich zu mehr sexuellen Übergriffen, weil Hemmschwellen herabgesetzt werden. Als Beispiel nennt er den neuen Teenie-Trend zum "Sexting": Jugendliche fotografieren sich nackt und versenden die Fotos per Smartphone. Die Welle ist aus den USA nach Deutschland geschwappt und alarmiert die Jugendschützer. "Die Tabugrenzen werden immer weiter herabgesetzt", sagt Bernd Heinemann. "Das hat natürlich etwas mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun." Das aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum stammende Kofferwort setzt sich aus Sex und texting (englisch etwa: "Kurzmitteilungen verschicken") zusammen. Während die Betreiber von Sexting dieses als "High-Tech-Flirt" ansehen, weisen Kritiker auf die Gefahren der missbräuchlichen Verbreitung dieser Fotos, zum Beispiel über soziale Netzwerke im Internet, hin.

Die Politiker im Kreis Segeberg wissen sehr wohl, dass in den Fachberatungsstellen des Kinderschutzbundes wichtige Arbeit geleistet wird. "Wir haben Verständnis für die Forderung des Kinderschutzbundes", sagt der SPD-Kreispolitiker Gerd-Rainer Busch, Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses.

Dennoch: Der Antrag auf Erhöhung der finanziellen Förderpauschale wurde in diesem Ausschuss und im Sozialausschuss nicht behandelt. Und zwar aus Prinzip nicht: Die Verträge mit dem Kinderschutzbund und einigen anderen Beratungsträgern laufen erst am 31. Dezember 2014 aus. "Vorher können wir niemanden aus der Vertragsbindung entlassen", sagt Gerd-Rainer Busch.

Froh ist der Kinderschutzbund über diese "Nichtentscheidung" der Kreispolitiker keineswegs. "Immerhin erkennt der Kreis Segeberg den Bedarf'", sagt Bernd Heinemann. "Im Laufe des Jahres wird weiter verhandelt."