Der Alvesloher Lokalhistoriker Gerhard Hoch wird am heutigen Donnerstag 90 Jahre alt

Alveslohe. Seine eigene Vergangenheit hat er nie verleugnet. Gerhard Hoch war in den 1930er-Jahren glühender Nationalsozialist, einer der Hitlerjugendführer in Alveslohe und auch als Soldat im Zweiten Weltkrieg noch von der Überlegenheit der Herrenmenschen überzeugt. Das änderte sich in britischer Kriegsgefangenschaft. Obwohl London, Birmingham und weitere Städte noch in Schutt und Asche lagen, öffneten sich die Türen der Kirchen für die deutschen Gefangenen.

Hoch fand zum Glauben, zunächst zum evangelisch-lutherischen, dann konvertierte er zum Katholizismus. In Süddeutschland ging er ins Kloster, wurde Priester - merkte aber bald, dass dies ein Fehler war.

Bis heute arbeitet er jedoch aus tief empfundenem christlichen Bewusstsein, wie er im Gespräch mit dem Abendblatt sagte. Aus Anlass seines 90. Geburtstags blickt er im Interview zurück auf die Anfänge und die Ergebnisse seiner lokalhistorischen Arbeit, die in der Region oft unter Beschuss standen.

Abendblatt:

Herr Hoch, was sagen Sie als Zeitzeuge zum Film "Unsere Mütter, unsere Väter"?

Hoch:

Leider habe ich nur den zweiten Teil des Filmes gesehen. Ich selber habe etwa drei Jahre lang als Infanterist an der Ostfront am Krieg teilgenommen, als damaliger Hitlerjugendführer in voller innerer Überzeugung - fast bis zum Ende. Weithin ist der Film leider der Versuchung erlegen, "realistisch" zu verwechseln mit "spektakulär", z. B. im Herumballern mit Infanteriewaffen oder dem silvesterhaften Feuerzauber der Artilleriegeschosse. Im Ganzen hätten dem Film etwas mehr ruhige, zum Nachdenken Zeit gebende Szenen gut getan. Trotz aller Kritik: Der Film dürfte jedem Zuschauer unter die Haut gegangen sein.

Sie sind nach wie vor ein gefragter Gesprächspartner an Schulen, wenn es darum geht, über die Zeit des Dritten Reiches zu berichten. Würden Sie in der Rückschau sagen, dass Ihre lange mühselige Arbeit letztlich erfolgreich war, auch wenn Sie im Kreis zuletzt als "Hobby-Historiker" bezeichnet wurden?

Gerhard Hoch:

Das Ende ist beglückend erfolgreich gewesen, das muss ich sagen. Es war ein langer, langer Prozess, und die verschiedenen Reaktionen auf das, was ich zutage gefördert habe, waren sehr unterschiedlich bis gegensätzlich, und sie verliefen genau entlang der Grenze der politischen Parteien. Das ist auffallend. Und die Sache mit dem Hobby-Historiker: Das hat mich nicht verletzt. Meine Replik wäre gewesen: Warum haben Sie selber nicht viel früher damit begonnen und es einem Hobby-Historiker überlassen, das zu tun?

Es mussten offenbar Menschen kommen, die aus Interesse und eigener Betroffenheit heraus sich der Geschichte genähert haben. Haben Sie immer auch einen Teil der eigenen Geschichte aufgearbeitet?

Hoch:

Bei allem war es immer auch meine eigene Geschichte, der ich neu begegnet bin. Sie ist immer mit eingeflossen. Derzeit bereite ich meine Lebensgeschichte biografisch auf. Das ist allerdings nicht zur Veröffentlichung, sondern für die Familie und Freunde gedacht.

Sie haben von dem langen Prozess in der Region gesprochen und den verschiedenen Reaktionen. Wie sah das aus?

Hoch:

Besonders signifikant ist der Schwenk, den die offizielle Vertretung der Stadt Kaltenkirchen gemacht hat, die sich angeboten hat, uns bei der Gestaltung eines Vereins für die KZ-Gedenkstätte Springhirsch behilflich zu sein. Noch deutlicher war das bei der evangelischen Kirchengemeinde. Sie hatte auch gemauert - und das war für mich eigentlich das Schmerzhafteste, weil ich immer der Meinung war und bin, dass die Kirchen die ersten sein müssten, die ihre eigene Verstricktheit anerkennen und heute ihre Konsequenzen ziehen müssten.

War das in Kaltenkirchen nicht der Fall?

Hoch:

Das ist in Kaltenkirchen erst spät aufgebrochen im Zusammenhang mit meiner Veröffentlichung über den Pastor Ernst Szymanowski, der in Kaltenkirchen predigte und bereits weit vor 1933 Nationalsozialist war. Später verließ er die Kirche und war als Führer eines SS-Einsatzkommandos in der Sowjetunion für die Ermordung von 2000 bis 3000 Menschen, überwiegend Juden, verantwortlich. In Nürnberg wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt und erst durch Fürsprache der Landeskirche wieder freigelassen.

Und die Kirchengemeinde Kaltenkirchen stellte sich lange gegen Ihre Arbeit?

Hoch:

Ja, aber als sie dann vor einigen Jahren erfuhren, dass ich für meine Arbeit über den Pastor nach einem Verlag suchte, haben sie gesagt: "Wir kümmern uns darum." Das hat 2009 zur öffentlichen Präsentation in der vollen Kirche geführt, und das ist für mich das schönste Erlebnis gewesen, wenn ich das so sagen darf. Die Saat ist aufgegangen.

Ich möchte ein wenig die Zeit zurückdrehen zu dem Moment, an dem Sie begonnen haben, sich mit der Geschichte unserer Region und insbesondere der Stadt Kaltenkirchen zu beschäftigen. Wie kam es dazu?

Hoch:

Ich war Mitte der 1970er-Jahre Schriftführer in der SPD in Kaltenkirchen. Wir brachten ein Informationsblatt heraus, das in jeden Haushalt getragen wurde. 1975 wollten wir an das Kriegsende erinnern und davon berichten, wie es 1945 gewesen war. Ich habe dann nach Ur-Sozialdemokraten gesucht, von denen nahm ich an, dass sie reden wollten.

Und wollten die Sozialdemokaten wirklich reden?

Hoch:

Und ob! Alles das, was sie mir dann mitteilten, hatten sie ja unterdrücken müssen. Und dann erzählten sie mir, was ihnen einfiel. Unter anderem von der Existenz des Konzentrationslagers in Kaltenkirchen. Das war für mich wie eine Offenbarung. Ich hatte keine Ahnung davon. Dies und einiges andere aus der Zeit veröffentlichten wir unter dem Titel "Kaltenkirchens blutige Erde". Das hat einen ziemlichen Schock ausgelöst, und sehr bald waren die Fronten geklärt. Die Akzeptanz bei den Schulen und Lehrern war erfreulich groß; und die Presse hat durch ihre sachlichen und objektiven Berichte auch einen ganz großen Anteil.

Es entstanden die Bücher, zuerst die "Zwölf wiedergefundenen Jahre". Das war das erste große Werk nach dem Bändchen über das KZ-Außenkommando. Das schlug dann so richtig ein in Kaltenkirchen. Es gab entweder die, die die Arbeit befürworteten, oder diejenigen, die sie abgelehnt haben - und diese saßen an den entscheidenden Stellen in der Stadt.

Hoch:

Das waren diejenigen, auf die man hörte. Das war nicht der Bürgermeister, sondern die CDU-Stadtvertreter. Allein die Druckgeschichte des Buches im Jahr 1980 war ein solches Drama. Die Stadt Kaltenkirchen hat das nicht unterstützt, was nach dem Beschluss der Stadtvertretung ein bundesweites Presseecho ausgelöst hat. Am selben Tag, an dem die Entscheidung fiel, gründete sich eine Bürgerinitiative unter dem Titel "Das Hoch-Buch muss erscheinen". Nach 14 Tagen waren 20.000 Mark zusammen - und dann ging es los.

Wie ging es weiter?

Hoch:

Ich habe mich in den ganzen folgenden Jahren nur immer der Forschung hingegeben und kleine Arbeiten publiziert und dabei das Konzentrationslager aus dem Auge verloren. Es war immer da, aber das naheliegende wäre gewesen, dort hinzugehen, was erst 1995, angeregt durch zwei Hamburger Studenten, passierte. Sie haben eines Tages mit Spaten und Schaufel angefangen und haben gebuddelt. Dann kam ich dazu. Die hatten überhaupt keine Erlaubnis, das war fremder Grund und Boden. Daraus hat sich die ganze Sache entwickelt. Ich habe fortan unheimlich viel Zeit darauf verwendet und war oft ganz alleine aktiv. Bis dann einige dazu kamen, für die die Arbeit attraktiv war. Ich habe dann um Patenschaften von Schulen geworben und schließlich auch 20 Patenschulen gewonnen, die dann, wenn sie motiviert waren und die Schüler Lust hatten, dahin kamen. Und dann haben sie ordentlich mitgewühlt, und ich habe erzählt.

Nun sind Sie noch als Zeitzeuge aktiv und berichten. Was aber sollte mit der Erinnerung passieren, wenn die Zeitzeugen nicht mehr erzählen können?

Hoch:

Die Aufgabe entsteht aus dem Sachverhalt. Wir müssen uns vielleicht damit abfinden, dass die Gedenkstätten musealeren Charakter bekommen. Ein Freund hat mir vor Kurzem gesagt, ich würde dann nicht mehr von Gedenkstätten sprechen, sondern von Denkstätten. Das schließt Gedenkstätten mit ein, aber die Priorität ist eine andere. Ich will keinen Bruch, aber wir müssen uns ganz allmählich auf den Generationenwechsel einstellen. Ich denke, dass die Frage besonders wichtig ist, welche Konsequenzen aus der Geschichte gezogen werden können und was die Zukunft von uns fordert.