Eigentlich sollte ein freier Träger in Harksheide tätig werden. Doch das Ausschreibeverfahren ist zu aufwendig

Norderstedt. Drei dicke Wälzer machen der Stadt Norderstedt das Leben schwer und zwingen Kommunalpolitikern wie Verwaltung Entscheidungen auf, die sachlich nicht zu vertreten sind. VOB, VOL und VOF heißen die Verordnungen, die regeln, nach welchen Kriterien Bauprojekte und Dienstleistungen ausgeschrieben werden müssen. Jüngstes "Opfer" ist die Offene Jugendarbeit in Harksheide, die nun die Stadt übernehmen muss, obwohl sie das eigentlich nicht wollte.

Die Kirchengemeinde Harksheide zieht sich aus der Jugendarbeit im Norderstedter Stadtteil zurück. Sie befürchtet, dass durch die Nachmittagsangebote an den Ganztagsschulen die Jugendlichen wegbleiben und die Kirche auf den Kosten sitzen bleibt (wir berichteten). Nun wollte die Stadt einen neuen freien Träger für die Teestube, das Spielmobil Fidibus und den Bauspielplatz finden, möglichst einen aus der Stadt oder der Region, der anerkannt gute Arbeit leistet, Politikern wie Verwaltung als verlässlich bekannt ist und die Gegebenheiten kennt.

Die Jugendarbeit in Norderstedt muss bundesweit ausgeschrieben werden

Jugendhilfeausschuss und Verwaltung hatten ein sogenanntes Interessenbekundungsverfahren auf den Weg gebracht, vier Träger gaben ihre Angebote ab, zwei davon aus Norderstedt: das SOS-Kinderdorf und das Sozialwerk. Dazu die Iuvo gemeinnützige GmbH mit Sitz in Albersdorf und die Pestalozzi-Stiftung aus Hamburg.

Alle vier hatten sich intensiv mit den Wünschen und Vorgaben der Stadt beschäftigt, auf zwei Seiten Kosten für Personal, Sachaufwand und Instandhaltung kalkuliert, ein Konzept erarbeitet und Referenzen angefügt.

Doch mitten hinein in die Präsentation und Diskussion im Ausschuss platzte eine Hiobsbotschaft des städtischen Rechtsamtes: Die Jugendarbeit muss europaweit ausgeschrieben werden, hieß es erst, dann korrigierten die Juristen die Vorgabe auf eine deutschlandweite Ausschreibung.

"Aber auch das ist undenkbar", sagt die Ausschussvorsitzende Petra Müller-Schönemann (CDU). Zum einen dränge die Zeit, die Kirche gibt die Jugendarbeit in Harksheide zum 1. Juli auf. Und bis dahin lasse sich bei einer bundesweiten Ausschreibung kein Anbieter finden. "Noch viel schwerer wiegt aber, dass ein Träger aus Bayern oder Sachsen überhaupt keinen Bezug zu den Kindern und Jugendlichen, zum Personal und überhaupt zu unserer Stadt hätte", sagt Müller-Schönemann. Auch wenn man den neuen Anbieter überprüfe, sei nicht ausgeschlossen, dass dahinter beispielsweise die Sekte Scientology steckt.

Die Stadt wäre verpflichtet gewesen, den günstigsten Anbieter zu nehmen

Laut Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) muss die Stadt den günstigsten Bieter nehmen. "Es sei denn, es sprechen schwerwiegende Gründe dagegen. Doch das ist schwer nachzuweisen", sagt Hauke Borchardt, Sprecher der Norderstedter Stadtverwaltung. Entscheiden sich Politiker und Verwaltung für einen anderen Bieter, könne Schadenersatz verlangt werden. "Diese Vergaberichtlinien müssen dringend geändert werden. Da ist die Bundespolitik gefordert", sagt Dezernentin Anette Reinders.

"Wir müssen die Verträge alle fünf Jahre neu ausschreiben. Das bedeutet für die Mitarbeiter jedes Mal Angst um ihren Job oder weniger Gehalt", sagt die Dezernentin, die die aktuellen Vergaberichtlinien im Sozialbereich für unzumutbar hält. "Stellen sie sich mal vor, da gewinnt ein polnischer Anbieter die Ausschreibung für den Betrieb einer Kita und verfügt, das die Kinder Polnisch lernen müssen", sagt Petra Müller-Schönemann. Die Träger, die sich beim Interessenbekundungsverfahren vorgestellt haben, seien "prima" gewesen, die Qualität der Arbeit sei bekannt und nachgewiesen worden, sie seien gut vernetzt mit anderen Einrichtungen.

"Da widersprechen sich Sozialgesetzbuch und Vergaberichtlinien. Nach dem Sozialgesetzbuch sind die Kommunen gehalten, Aufgaben an freie Träger zu vergeben. Doch diese Praxis wird durch die Ausschreibungsvorgaben konterkariert", sagt die Ausschussvorsitzende.

Die Politiker haben nun einen Schlussstrich gezogen, indem die Stadt die Jugendarbeit übernimmt. Das hat allerdings auch einen inhaltlichen Vorteil: Damit gibt es nur noch einen Träger für die gesamte Jugendarbeit in Norderstedt. Denn die Stadt ist auch für die anderen Jugendhäuser in Glashütte, Garstedt, Norderstedt-Mitte und Friedrichsgabe zuständig.

Für das Lehrschwimmbecken soll ein privater Investor gesucht werden

"Das muss aber ein einmaliger Vorgang bleiben. Es kann und darf nicht sein, dass die Stadt alle Aufgaben übernimmt", sagt Petra Müller-Schönemann mit Blick auf das nächste Projekt, dass auf Wunsch von CDU und FDP privatisiert werden soll: Der Schulausschuss hat gegen die Stimmen von SPD, GALiN und Die Linke beschlossen, einen privaten Investor für das Lehrschwimmbecken in der Grundschule Friedrichsgabe zu suchen.

Ursprünglich sollte das Schulschwimmbad geschlossen werden. Die Sanierung sei zu teuer, hinzu kämen jährliche Betriebskosten von rund 100.000 Euro. Außerdem ergänzen die Stadtwerke das Arriba-Bad durch ein neues Becken für den Schul- und Vereinssport. SPD, GALiN und Die Linke, wollen das Lehrschwimmbecken in Friedrichsgabe erhalten und die Sanierungskosten strecken. "Da prüft die Verwaltung gerade, wie die Ausschreibung aussehen muss und ob wir auch bei diesem Projekt überregional Anbieter suchen müssen", sagt die Ausschussvorsitzende Ruth Weidler (CDU).