Das Freilichttheater am Kalkberg hat eine dunkle Vergangenheit erlebt. Heute vor 75 Jahren wurde es von Joseph Goebbels eingeweiht.

Bad Segeberg. Am 10. Oktober 1937 spricht Reichspropagandaminister Joseph Goebbels markige Worte in das Mikrofon: "Die Nordmark-Feierstätte soll eine politische Kirche des Nationalsozialismus sein!" Die Menschen jubeln. Eine örtliche Zeitung beschreibt das damalige Geschehen so: "Die 20.000 erheben sich wie ein Mann und grüßen Dr. Goebbels, den Schildträger der Kultur des neuen Deutschland mit einem Begeisterungssturm ohne gleichen." Ein schwarzer Tag, den viele aus der Geschichte Bad Segebergs lieber streichen würden.

Die einstige Feierstätte der Nazis ist bis heute ein Mittelpunkt der Kreisstadt: Das Freilichttheater am Kalkberg ist seit 60 Jahren Schauplatz der Karl-May-Spiele und seit über 30 Jahren Konzertarena - immer noch eine der schönsten Freilichtbühnen Europas. Heute wird die Bühne 75 Jahre alt.

Als sich im Jahr 1933 die Arbeiten im Gipsbruch durch das von der Regierung gelegte Schutzgebiet des Kalkberges ihrem Ende nähern, droht am Fuße des geschichtlichen Kalkbergs eine öde Stätte mit all den Unschönheiten zurückzubleiben, die eine solche Arbeit mit sich bringt. Durch Jahrhunderte war der Kalkstein aus dem Berg heraus gebrochen worden, um ihn entweder in der Kalkmühle zu Kalk zu brennen oder ihn als Baustein und Zuschlagstoff für die Zementfabrikation zu verwenden. In den langen Jahren ist an der Ostseite ein zufällig geformter Steinbruch mit allseitig steil abfallenden Wänden entstanden, die stellenweise 60 Meter Höhe erreichen. Nach Beendigung der Arbeiten bleiben auf dem Platz das alte Maschinenhaus mit Teilen einer Förderwand, das hölzerne Pumpenhaus für die Solepumpe und zwei tiefe Schächte, die von der preußischen Bergverwaltung zum Zwecke der Salzgewinnung angelegt waren, zurück.

Nach 1933 gibt es Bemühungen, den verlassenen Steinbruch als Freilichttheater auszubauen. Die Nationalsozialisten sehen die Chance, eine Feierstätte großen Stils zu errichten - eine von 400 Plätzen in Deutschland, die sich als "Thingplätze" eignen. 1934 wird das Segeberger Projekt aufgegriffen und nach den Plänen des Berliner Architekten und Regierungsbaumeisters Fritz Schaller verwirklicht. Zwischen 1934 und 1937 werden auf dem Gelände 15.000 Kubikmeter Boden bewegt und 3000 Kubikmeter Kalkstein weggesprengt. 1200 Tonnen Granit werden für den Bau der Treppenstufen aus Schlesien angefahren und verbaut. Finanzielle Fehlkalkulationen sind keine Erfindung der Neuzeit: Fritz Schaller hatte 20.000 Reichsmark für das Segeberger Projekt veranschlagt, rund 125.000 Reichsmark sind es geworden.

Segebergs Bürgermeister Hans Koch und der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Otto Gubitz, wollen die Nordmark-Feierstätte schon am 10. Juli 1937, zum 800. Stadtgeburtstag Segebergs, einweihen, aber daraus wird nichts, weil es im Freilichttheater zu einem Einsturz kommt: Steine und Geröll rutschen in die Kalkberghöhlen. Das Loch wird mühsam mit 1500 Kubikmetern Boden aufgefüllt.

Der Besuch des Reichspropagandaministers, der in Hamburg-Fuhlsbüttel mit dem Flugzeug landet und von dort per Mercedes in die Kreisstadt gebracht wird, war sorgfältig vorbereitet worden. 6000 Plakate kündigen den Auftritt des ranghohen Politikers am 10. Oktober um 10 Uhr an. In Bad Segeberg jubelt ihm die Masse zu, aber Joseph Goebbels selbst absolviert seinen Auftritt offenbar ohne große innere Begeisterung. In seinem Tagebuch schreibt er: "Die Feierstätte selbst ist ganz passabel. Kein Kunstwerk, aber immerhin erträglich." Von den einst geplanten 400 Thingstätten - ein Ausdruck aus der germanischen Mythologie - werden schließlich nur 40 verwirklicht. Zu den heute bekanntesten zählen neben der Segeberger Freilichtbühne auch die Berliner Waldbühne und das Freilichttheater an der Loreley bei St. Goarshausen in Rheinland-Pfalz. Alle drei Bühnen werden regelmäßig genutzt. Aber keine so regelmäßig wie das Segeberger Freilichttheater am Kalkberg.

Für die Stadt Bad Segeberg war und ist das Theater ein Glücksfall: Karl-May-Spiele, Pop- und Rockkonzerte, Schlagernächte - die Kreisstadt hat sich durch das Theater, das zu den wenigen zählt, die ohne staatliche Subventionen auskommt, einen bundesweiten Namen gemacht. Seit 35 Jahren treten internationale Größen aus dem Musikgeschäft auf. Zwar hat sich die Musikwelt mit Stadionkonzerten und Großveranstaltungshallen heftig weiter gedreht, aber immer noch finden sich genügend Stars, die hier gerne auftreten.

Seit 1987 ist die Zuschauerzahl reglementiert: 10 000 Besucher sind zugelassen. Das ist das Ergebnis eines Konzertereignisses, das am 22. Juli 1987 gut 15.000 Menschen anlockte: So viele Menschen kamen zum ersten Konzert der Beach Boys nach zehn Jahren auf deutschem Boden. Die Zuschauer blockierten die Aufgänge, sodass sich Rettungskräfte im Ernstfall keinen Weg hätten bahnen können. Danach wurden die behördlichen Auflagen strenger.

Konzerte finden heute nur noch vor Beginn der Karl-May-Saison statt. Den letzten Versuch, nach der Indianer-Saison, einen musikalischen Volltreffer zu landen, unternahm der Geschäftsführer der Kieler Ostseehalle, der 2001 Jennifer Lopez auftreten lassen wollte - abgelehnt: Die Segeberger Fledermäuse haben Vorrang.