Juden und Muslime begrüßen das geplante Beschneidungsgesetz. Landesrabbiner Rothschild: “Übergangsreglung ist sehr vernünftig“.

Kreis Segeberg. Die jüdischen und muslimischen Gemeinden im Kreis Segeberg sehen jetzt der endgültigen Klärung, ob die religiöse Beschneidung von Jungen Körperverletzung und damit strafbar ist oder nicht, gelassen entgegen. Denn jetzt hat die Bundesregierung beschlossen, bis Jahresende ein Gesetz zur Beschneidung aus religiösen Gründen zu schaffen. Bis dahin wird die Beschneidung von Jungen als Körperverletzung eingestuft, bleibt aber straffrei, wenn die Eltern zustimmen und die Beschneidung schonend, fachgerecht und mit Schmerzbehandlung durchgeführt wird. Nach dem Anlass der Beschneidung solle der Staat nicht fragen.

Angestoßen wurde die Diskussion durch das sogenannte Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts, das Beschneidungen aus nicht medizinischen Gründen als Körperverletzung und damit als Straftat ansieht. Das Urteil löste eine heftige Debatte in Deutschland aus, und viele Juden sahen in Deutschland wieder ein Land, in dem sie nicht mehr leben könnten. Besonders empört hat Juden und Muslime, dass das Urteil das Recht der Eltern, ihre Kinder in ihrem Glauben zu erziehen, nachrangig zu dem in Deutschland gesetzlich verankerten Recht des Kindes auf Unversehrtheit stellt.

"Ich denke, die jetzt geschaffene Übergangsregelung ist sehr vernünftig", sagt Walter Rothschild, Landesrabbiner von Schleswig-Holstein. Er ist seit zehn Jahren zuständig für die liberalen Gemeinden in den Kreisen Segeberg und Pinneberg, in Elmshorn, Kiel und Ahrensburg. "Im liberalen Judentum erwarten wir ohnehin, dass der Mohel, der religiöse Beschneider, auch medizinisch ausgebildet ist, und die Beschneidung unter höchsten, hygienischen Bedingungen vorgenommen wird", sagt Rothschild.

Schleswig-Holsteins Landesrabbiner fragt sich allerdings, was mit "Schmerzbehandlung" gemeint sei, die das Baby erhalten solle. "Eine Spritze kann mehr Schmerzen bereiten, als ein rascher runder Schnitt um die Vorhaut", sagt Rothschild. Zudem erhalte der Junge vor der Beschneidung einen Schluck süßen Wein. Jüdische Jungen werden genau an ihrem achten Lebenstag beschnitten.

"Die Beschneidung von acht Tage alten Jungen als Körperverletzung einzustufen, ist einfach lächerlich", sagt Walter Blender. Der Vorsitzende des Jüdischen Landesverbandes und der Jüdischen Gemeinde Segeberg verweist auf die Ge- und Verbote der Thora, der fünf Bücher Moses, nach der die Brit Mila, die Beschneidung, seit Jahrtausenden ein Gebot ist, damit Jungen den Bund mit Gott schließen könnten. Außerdem habe die Beschneidung eindeutig hygienische Vorteile. Sollte die Beschneidung doch strafbar werden, würden Eltern ihre Jungen in Holland, Dänemark oder Israel beschneiden lassen. Zudem würde die Gefahr einer gesetzlichen Grauzone entstehen.

"In religiöse Entscheidungen sollte sich niemand einmischen", sagt Belma Yesilkaya, Ehrenvorsitzende des Türkisch-Deutschen Freundschafts- und Kulturvereins Norderstedt. "Wenn der Junge klein ist, sollte er beschnitten werden, dann merkt er nicht so viel und hat weniger Schmerzen", sagt Yesilkaya. Würde die Beschneidung erst dann stattfinden, wenn die Jungen selbst entscheiden dürften, würde der muslimischen Tradition nicht Genüge getan. Zudem könnte der Junge, wird er nicht beschnitten, von anderen Jungen nicht akzeptiert werden. In muslimischen Gemeinden werden die Jungen im Alter von sieben bis 13 Jahren beschnitten. Sie werden ganz in Weiß eingekleidet und mit einem großen Fest geehrt. Die Beschneidung bedeute für muslimische Jungen den Eintritt in die Welt der Erwachsenen und sorge dafür, dass sich die Jungen zur Gemeinde zugehörig fühlen würden.

Eine ganz klare Grenze zieht indes der Norderstedter Kinderarzt Dr. Moritz von Bredow. "Die Beschneidung ist Körperverletzung, und Körperverletzung ist strafbar", sagt von Bredow. Der Kinderarzt ist aufgrund seiner jüdischen Mutter mit der jüdischen Kultur aufgewachsen. Er verweist darauf, dass der Ursprung der Beschneidung heute nicht mehr gegeben ist, denn vor 4000 Jahren habe es noch nicht die heutigen hygienischen Möglichkeiten gegeben, sodass durchaus Krankheiten bei unbeschnittenen Jungen und Männern entstanden seien.

Für den Norderstedter Kinderarzt geht die Diskussion um die körperliche Unversehrtheit von Kindern aber noch weiter: "Auch Ohrlochstechen und Piercing ist Körperverletzung und sollte erst dann vorgenommen werden, wenn die Menschen darüber selbst entscheiden können."