Umweltminister Robert Habeck fordert die Kommunen auf, Lärmaktionspläne zu erstellen. Norderstedt hat eine Vorbildfunktion.

Kreis Segeberg. Hans-Werner Sell hat ein schönes Haus direkt am Knick. Vor dem Haus ist es beschaulich und ruhig - Idylle in der Ostpreußenstraße in Kisdorf. Aber hinter dem Haus tobt das Leben ohne Pause. Direkt hinter dem malerischen Knick nämlich befindet sich die Ulzburger Straße (Landesstraße 233), auf der die Autofahrer Vollgas geben können. Und zwar völlig legal: Die Ostpreußenstraße liegt nach Norden hin mitten in einem Wohngebiet, südlich der Straße aber gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr, weil die Autofahrer das Kisdorfer Ortsschild in Richtung Henstedt-Ulzburg bereits hinter sich gelassen haben, in Richtung Kisdorf noch vor sich haben. Die Anwohner der Ostpreußenstraße haben bei der Verkehrsaufsicht Beschwerde eingereicht.

Regierung hat sich Verminderung des Verkehrslärms als Ziel gesetzt

Aussicht auf Erfolg hat diese Beschwerde mit Antrag auf Versetzung der Ortstafel und eine Geschwindigkeitsbegrenzung offenbar nicht. "Die Voraussetzungen für die beantragte Änderung liegt nicht vor, teilte Lars Hansen von der Verkehrsaufsicht des Kreises den Anliegern mit. Die sind verblüfft, weil am anderen Ende der Straße, vor der Kreuzung Gutenbergstraße am Rande des Gewerbeparks Ulzburg, die Geschwindigkeit weit vorher auf 70 und 50 Stundenkilometer begrenzt wird.

Tatsächlich hat sich die neue schleswig-holsteinische Landesregierung eine Verminderung des Verkehrslärms als Ziel gesetzt. "Tausende von Autos, regelmäßiger Zugverkehr oder anderer Lärm raubt vielen Menschen den Schlaf, zehrt an ihren Nerven oder macht sie sogar krank. Ohrstöpsel reichen da nicht, die Politik muss handeln", heißt es in einer Pressemitteilung des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume.

Projektgruppe informiert ab September über Möglichkeiten des Lärmschutzes

Umweltminister Robert Habeck, Grüne, fordert 460 Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein auf, Lärmaktionspläne zu erstellen. Das sind lokale Konzepte, deren Maßnahmen helfen sollen, die Lärmbelastung zu verringern. Eine Projektgruppe des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) wird von September an bei regionalen und thematischen Veranstaltungen über formelle Anforderungen und Chancen des Lärmaktionsplanes sowie über die Möglichkeiten eines effektiven Lärmschutzes informieren.

Auch die Gemeinde Kisdorf hat vor etwa vier Wochen Unterlagen vom Umweltministerium erhalten und muss einen Lärmaktionsplan erarbeiten. Bis zum 17. Juli 2013, so sieht es die Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union vor, muss der vorliegen.

Nach einer Erhebung des Landes Schleswig-Holstein liegt die Lärmsituation entlang der etwa 1700 Hauptverkehrsstraßen im Lande bei über 55 Dezibel. An der Ulzburger Straße, zwischen Wessel-Kreuzung und Strietkamp, dürften in Verkehrsspitzenzeiten nach Schätzungen von Werner Kallinich, der für die Bewohner der Ostpreußenstraße den Schriftverkehr mit den Behörden führt, 75 Dezibel erreicht werden. Wenn Lkw oder Motorräder vorbeidonnern sogar 90 Dezibel.

Die Lärmschutz-Projektgruppe befasst sich unter anderem auch mit verstärktem Lärmschutz an der Autobahn 7, die in den kommenden Jahren, wie berichtet, auf sechs Spuren erweitert werden soll. Das Land geht davon aus, dass der Lärmschutz im Zuge des Ausbaues verstärkt wird. Im Kreis Segeberg wird auch der Lärmschutz entlang der Bundesstraße 432 zwischen Norderstedt und Bad Segeberg unter die Lupe genommen.

Die Stadt Norderstedt hat landesweit Vorbildfunktion

Die Erstellung eines Lärmaktionsplanes gilt als eine Selbstverpflichtung der Gemeinden, ein individuelles Recht von Bürgern auf Lärmschutz kann nach Ansicht der Lärmschutz-Projektgruppe nicht abgeleitet werden.

Vorbildfunktion in ganz Deutschland hat übrigens die Stadt Norderstedt, die bereits vor zehn Jahren einen Lärmminderungsplan entworfen hat, der aussagt, dass Bürger tagsüber nicht mehr als 65 Dezibel, nachts nicht mehr als 45 Dezibel ertragen müssen.

Was das Land Schleswig-Holstein von den Protesten der Kisdorfer Bürger hält, wurde am vergangenen Freitag deutlich: Die entlang der Ulzburger Straße im Bereich der Ostpreußenstraße aufgestellten Schilder mit der Aufschrift "Lärm macht krank", wurden von der Autobahnmeisterei Quickborn ohne Vorwarnung einkassiert.