In den 60er-Jahren raubten Gisela Werler und ihr Komplize 19 Banken aus. Nun wird die Geschichte mit Nadeshda Brennicke in der Titelrolle verfilmt.

Heute hat das Filmteam ein Stückchen Bad Segeberg in den tristen Hamburger Stadtteil Horn verlegt. Der alte Edeka-Laden, der seit Jahren leer steht, hat eine neue Reklame-Tafel bekommen. "Landesgirokasse" steht über dem Eingang. Im Schaufenster hängt ein Plakat: "Die Zukunft sichern - sparen. Weltspartag 1967". Die Damen auf dem Gehweg tragen Hut und Handtasche, über das Kopfsteinpflaster poltert ein VW Käfer.

So ungefähr muss es auf der Oldesloer Straße in Bad Segeberg ausgesehen haben, als die "Banklady" Gisela Werler mit ihrem Komplizen Hermann Wittorf am 15. Dezember 1967 die Sparkasse überfiel. Regisseur Christian Alvart pocht auf jedes historische Detail, ließ runde Mülltonnen beschaffen, moderne Baumbügel mit Ästen verstecken und reanimiert die 60er-Jahre. Nur die Schaulustigen mit den Badelatschen und Shorts sowie die allgegenwärtigen armdicken Kabel und Scheinwerfer stören das nostalgische Bild. Die Zeitreise funktioniert nur beim Blick durch die Kamera. Im kommden Jahr soll die "Banklady" ins Kino kommen.

An ihrer Seite spielt Charly Hübner den schmierigen Komplizen Wittorf

Und dann kommt sie mit Pumps, elegantem Kostüm und weißen Handschuhen: die Banklady. Schauspielerin Nadeshda Brennicke mimt die Hamburgerin Gisela Werler, die in einer beispiellosen Überfallserie 19 Banken ausraubte und dabei stets höflich blieb. An ihrer Seite spielt Charly Hübner den schmierigen Komplizen Wittorf - einen Schlosser und Taxifahrer, der sich selbst eine Maschinenpistole bastelte und Kalbsschnitzel liebte.

Die zarte Lady und der baumlange Hübner setzen sich in den schwarzen Volvo mit dem Taxi-Schild auf dem Dach. Kameramann Ngo The Chau und sein Team haben vor beiden Seitenfenstern Kameras installiert. Der Mann für den Ton muss unsichtbar bleiben, er hockt im Kofferraum. "Okay, wir drehen!" brüllt jemand über die Kreuzung. "Ton ab!" - "Ton läuft", ruft einer zurück. Dann gibt Regisseur Christian Alvart per Walkie-Talkie das Kommando: "Und bitte!"

Langsam rollt der Volvo über das Kopfsteinpflaster an der Landesgirokasse vorbei. Aufmerksam beobachtet das Paar die Wachmänner am Hintereingang, die Geldsäcke aus einem Transporter in die Bank tragen. Wieder knattert der Käfer vorbei. Die Damen mit den Hüten und Handtaschen gehen durchs Bild. "Danke!" ruft Alvart. Die Szene sitzt.

Rund 50 000 Euro plus Gagen kostet jeder Drehtag

Ein paar Sekunden hat die Filmsequenz gedauert. Zwei Minuten und 30 Sekunden werden es heute insgesamt sein. Dafür ist ein Team von 75 Männern und Frauen im Einsatz, hinzukommen 15 Komparsen und fünf Schauspieler. Rund 50 000 Euro plus Gagen kostet jeder Drehtag für die "Banklady", die damals von der Boulevard-Presse zur Sex-Bombe stilisiert wurde und im aktuellen Film als charismatische Frau erscheint, die den Luxus, schöne Kleider und ihren Hermann liebt. Eine Geschichte über eine Frau, die den Muff und der Tristesse entkommen will und mit ihren Raubzügen Bankangestellte in ganz Norddeutschland in Angst und Schrecken versetzt hat. Manche leiden noch heute, wenn sie sich an die Todesangst erinnern, die sie hatten, als die Täter mit der Waffe im Anschlag in die Bank kamen.

An der echten Banklady war jedoch allenfalls ihre elegante Garderobe glamourös. "Eine Lady? Sie war Packerin in einer Tapetenfabrik", berichtete 2007 im Abendblatt der Kriminalbeamte Hans Schliemann, der Gisela Werler nach dem letzten Coup in Bad Segeberg vernommen hatte. Auch die charismatische Aura von Nadeshda Brennicke stimmt so gar nicht mit der schlichten Kaltblütigkeit und den grob geschnittenen Gesichtszügen der Packerin Werler überein, die neuneinhalb Jahre Haft absaß.

Ein Feuerwehrauto pumpt den Regen in die Höhe

Schliemann glaubt, dass die Bankräuberin ihrem Komplizen Wittorf schlicht hörig war. Der Bankräuber saß 13 Jahre im Gefängnis ein, überfiel im Dezember 1985 in Elmshorn erneut eine Bank und schoss auf der Flucht auf einen Polizisten. Der Beamte konnte sich mit einem Sprung in Sicherheit bringen, Wittorf wurde erneut verhaftet und landete wieder im Gefängnis.

Zurück nach Horn: Die Vorbereitungen für den Showdown haben begonnen, jetzt soll es regnen. An einem Hubwagen hängen in Höhe des zweiten Stocks des Backsteinmietblocks die Düsen, aus denen das Wasser kommen soll. Ein Feuerwehrauto pumpt den Regen vor der "Landesgirokasse" in die Höhe.

Charly Hübner rätselt noch, wie er die Maschinenpistole schultern soll. Während die Maskenbildnerin ein wenig seine Augen zur Geltung bringt, spricht er immer wieder den Text der nächsten Szene vor sich hin. Hübner ist konzentriert, blickt nicht nach rechts oder links.

Hermann Wittorf bedrohte am 15. Dezember 1967 in der Segeberger Sparkasse 25 Menschen mit der Maschinenpistole. Gisela Werler blieb wie immer höflich und fragte Kassierer Lothar B.: "Würden Sie bitte alles Geld einpacken?" Doch Lothar B. legte nur zögerlich die Scheine auf den Tresen. Hermann W. verlor die Nerven und stieß ihm den Lauf der Waffe in den Bauch. Gisela Werler riss 100 000 Mark an sich, die Scheine flogen, dann rief jemand "Überfall! Überfall!" Auf der Flucht feuerte Wittorf auf vier junge Bankangestellte. Eine Frau brach schwerverletzt zusammen. Mit einem gestohlenen VW Käfer waren die Räuber wie bei den anderen Überfällen gekommen. Jetzt flüchteten sie in dem schwarzen Volvo mit dem Taxischild, doch der Polizei gelang es, das Fahrzeug mit Streifenwagen zu blockieren. Wittorf versuchte, erneut zu schießen, doch das Magazin fiel heraus. Die Beamten überwältigten Gisela Werler und ihren Komplizen. Schon vor dem Überfall hatte das Paar sich geeinigt, dass dieser Coup ihr letzter sein sollte. Mit einer Festnahme hatten sie jedoch nicht gerechnet.

Werler und Wittorf heirateten im Gefängnis und blieben bis zum Tod der Banklady im Jahr 2003 zusammen. "Als Nadeshda Brennicke mir Gisela Werlers Geschichte erzählte, konnte ich gar nicht glauben, dass das alles so passiert und noch nicht verfilmt ist", sagt Regisseur Christian Alvart.

Die Drehbuchautoren Christoph Silber ("Nordwand") und Kai Hafemeister ("Tatort") besuchten die Ausstellung über Gisela Werler im Volkskundemuseum in Schleswig, sichteten Zeitschriften- und Zeitungsartikel, Dokumentationen, Polizeiberichte und sprachen mit Zeitzeugen, bevor sie mit dem Schreiben begannen. "Alle Figuren sind realistisch erzählt und basieren im Kern auf tatsächlich Beteiligten und Tatsachen", sagt Kai Hafemeister.

Auch die realistische Kulisse in Hamburg-Horn überzeugt, wenn man sich die Shorts und Handy-Cams wegdenkt. Der "Regen" prasselt vor der Landesgirokasse auf das Kopfsteinpflaster. Die Damen mit Hut und Handtasche haben ihren Schirm aufgespannt. Gleich knattert der VW Käfer mit der Banklady um die Ecke. Der Showdown beginnt. "Und bitte!"