In unserer Serie “60 wilde Jahre“ stellen wir heute die Menschen vor, die hinter den Kulissen für den reibungslosen Ablauf der Vorführungen sorgen.

Das Problem zeichnet sich rechtzeitig ab. Alle drei Bandmitglieder sitzen im Zug - und der ist in Bad Oldesloe stecken geblieben. Keine große Sache, die ist zu lösen. Im ersten Teil von "Winnetou II" tritt die Jazzband in kleiner Formation auf: Zwei statt drei Musiker stehen jetzt auf der Bühne. Und sie sind weiß, obwohl eigentlich alle drei schwarz sein müssten. Das fällt wahrscheinlich keinem der Zuschauer im Segeberger Freilichttheater auf. Zwei Statisten sind kurzerhand in die Rollen der Musiker geschlüpft. Stefan Tietgen ist ein Mann, der es gewohnt ist, Probleme zu lösen. Er sitzt während jeder Aufführung oben im Regieturm und dirigiert die Aufführung hinter den Rücken der Zuschauer.

Der 42-jährige Produktionsleiter kennt jeden Stein im Freilichttheater. Vor allem aber kennt er jeden Darsteller ganz genau, und er weiß jederzeit, was zu tun ist. Das Mikrofon in der Hand, Tontechniker Thomas Fuß links und Tonassistentin Nadja Wetzel rechts neben sich, blickt er gespannt auf das Geschehen in der Arena. "Wir müssen jederzeit hoch konzentriert sein", sagt Stefan Tietgen. "Wenn ich mal ein paar Sekunden nicht aufpassen sollte, könnte die Aufführung schnell aus dem Ruder laufen." Das konnte er bisher stets verhindern. Auch wenn Regen, Sturm oder Gewitter gelegentlich mal für unangenehme Abwechslung sorgen, hat Tietgen stets einen Plan B in der Tasche, um die Aufführung einigermaßen glatt über die Bühne zu bringen.

Der Inspizient gibt die Kommandos an die Darsteller weiter

Aber auch eine völlig normale Vorstellung hat so ihre Tücken und muss genau dirigiert werden. "In 20 Sekunden fang ich an", sagt er ins Mikrofon. Assistentin Tanja an seiner Seite antwortet: "Wir sind dabei." Ihre Hand schwebt über diversen Knöpfen, auf die sie rechtzeitig drückt, um Musik einzuspielen. "Pyroknall ab", ruft Stefan Tietgen. "Ton neun, der Erzähler ab." Dieser Satz gilt der Assistentin, alle anderen empfängt Jan-Erik Stahl auf der Hinterbühne, der als Inspizient die Kommandos von Stefan Tietgen an die Darsteller weitergibt, sodass sie jederzeit an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit auf der Bühne erscheinen.

Tietgen und Stahl sind die Dirigenten der Aufführung. Stefan Tietgen muss die Geschwindigkeit der Pferde berechnen und genau wissen, wann losgeritten werden muss, um rechtzeitig auf der Bühne zu erscheinen. "Jan-Erik und ich müssen fließende Übergänge schaffen", sagt der Produktionsleiter.

Mit Texthängern müssen die Schauspieler selbst zurechtkommen

"Santer ab drei", sagt Stefan Tietgen ins Mikro. Weniger später erscheint Santer (Timothy Peach). Dunja Rajter ("Duni") bringt als Voodoo-Priesterin Marie Laveau den Text leicht durcheinander. Die drei im Regieturm lachen. "Oder so ähnlich", kommentiert Tietgen. Timothy Peach hält sich oft nur ungefähr an den Text, Erol Sander als Winnetou hingegen ganz genau. "Manche Schauspieler brauchen es für die Spannung, den Text leicht abzuwandeln", sagt der Produktionsleiter. "Wir müssen aber darauf achten, dass es nicht zu heftig wird. Außerdem muss das Stichwort natürlich kommen." Mit Texthängern müssen die Schauspieler selbst zurechtkommen, Hilfe vom Regieturm gibt es nicht. Wenn Old Shatterhand, Winnetou und Old Death gemeinsam einreiten sollen, heißt das Kommando: "Helden ab!" Wenn Statisten und Schauspieler aus den Häusern kommen sollen, gilt dieses Kommando: " Die Stadt baut sich auf".

Tontechniker Thomas Fuß hat seine 16 Regler am Mischpult für die Mikrofone im Griff: Er schaltet das jeweilige Mikro ein, wenn ein Darsteller seinen Auftritt hat. Und er schaltet es ab, wenn er in den Kulissen verschwindet. Meistens jedenfalls: Bei der Premiere hatte er vor der Pause vergessen, das Mikro von Doc Murksheimer (Frank Roder) abzuschalten, sodass die Privatgespräche von ihm noch einige Zeit aus den Lautsprechern zu hören waren. Künstlerpech, aber nicht weiter schlimm. Thomas Fuß ist ein alter Hase und kann mit diesen Problemen umgehen: "Wenn es gut läuft, merkt es keiner, wenn ein Fehler passiert, merkt es jeder." Damit muss er leben.

Stefan Tietgen verfolgt das Geschehen auf der Bühne genau, gelegentlich greift er auch zum Fernglas, um Einzelheiten erkennen zu können. So beobachtet er zum Beispiel, ob die Statisten auch wirklich bei der Sache sind, gut mitspielen, Spannung aufbauen und sich auf das Geschehen konzentrieren. Einen Fehler entdeckt er beim Abgang einiger Indianerstatisten: Sie laufen heraus, fangen aber an zu gehen, als sie noch von den Zuschauern zu sehen sind. Das geht nicht. Tietgen greift zum Mikrofon und alarmiert Jan-Erik Stahl, der sich hinter der Bühne die Statisten vorknöpft. Die Kleindarsteller wissen, dass sie beobachtet werden und fürchten die "Gardinenpredigten" des Inspizienten.

Stefan Tietgen ist bei "Winnetou II" schon zum 13. Mal Produktionsleiter und Ablaufregisseur. Er ist für das Casting zuständig, handelt in Abstimmung mit der Geschäftsführung die Gage der Schauspieler aus und muss während aller 72 Vorstellungen das Team zusammenhalten. Karl-May-Luft kennt er schon seit 1984. Damals war er als Komparse in der Produktion "Der Ölprinz" dabei.

Tietgen organisiert auch Talk- und Abendshows fürs Fernsehen

Mit 16 Jahren wurde er Reiterkomparse, später war er mal ein Jahr Tonassistent und ein Jahr Inspizient. Für den Segeberger gehören die Karl-May-Spiele zum Leben, aber sie sind natürlich nicht alles. Als Produktionsleiter organisiert er für das ZDF Talk- und Kochshows, für die ARD große Abendshows. Zusammen mit seinem Bruder Jörn, der bei den Karl-May-Spielen für die Produktions-Koordination zuständig ist, betreibt er in Hamburg die Firma tietgen&tietgen production, die sich neben den Karl-May-Spielen unter anderem mit TV-Produktionen für internationale Auftraggeber beschäftigt.

Auch nach so vielen Jahren macht ihm die Arbeit in Bad Segeberg immer noch Spaß. An ihm hängt die gesamte Aufführung und vieles Drumherum im Vorfeld der Inszenierungen. Er gehört zu den vielen wichtigen Personen hinter den Kulissen. Sie werden von den Zuschauern nicht wahrgenommen, aber ohne sie würden die Karl-May-Spiele nicht funktionieren.