Bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität setzt der Chef der Polizeidirektion Segeberg, Heinz Parchmann, auf eine schnelle Bestrafung.

Kreis Segeberg. Er ist der oberste Dienstherr von 850 Polizisten. Heinz Parchmann, 58, ist eine erfahrene Führungskraft. Im Jahr 2006 übernahm er als Chef der Polizeidirektion die Verantwortung für die Kreise Segeberg und Pinneberg. Im Interview mit der Abendblatt-Regionalausgabe Norderstedt spricht der Leitende Polizeidirektor auch über die personelle Ausstattung der Polizei, die zunehmende Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten und die neuen Herausforderungen der Internet-Kriminalität.

Hamburger Abendblatt: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Straftaten im Kreis Segeberg um satte 16,2 Prozent auf 16 916 gesunken. Hält dieser positive Trend 2011 an?

Heinz Parchmann:

Die Zahlen variieren. In einem Bereich steigen sie an, in einem anderen gehen sie etwas runter. Großartige Veränderungen gegenüber dem Vorjahr gibt es zu diesem Zeitpunkt des Jahres nicht. Allerdings ist das Jahr noch nicht zu Ende; jetzt beginnt erfahrungsgemäß die Hauptsaison mit Dämmerungseinbrüchen. In den letzten drei Monaten des Vorjahres fanden mit 399 Taten etwa 50 Prozent aller Wohnungseinbrüche statt.

Wo sind die größten Veränderungen?

Parchmann:

Bei den Einbrüchen verzeichnen wir bisher einen leichten Rückgang. Stark angestiegen sind dagegen Ladendiebstahl, Kraftfahrzeugaufbrüche und der Diebstahl von Fahrzeugteilen. Fast jeder Wagen hat inzwischen ein Navigationsgerät. Wer das nicht an der Windschutzscheibe hängen lässt und abnimmt, legt das Gerät ins Handschuhfach. Das haben die Ganoven inzwischen erfasst, Gelegenheit macht Diebe.

Bei Diebstählen und Einbrüchen ist die Aufklärungsquote am niedrigsten. Woran liegt das, und wie kann die Polizei gegensteuern?

Parchmann:

In Abhängigkeit von Spurenlage und Hinweisaufkommen kann man fast jede Straftat aufklären, wenn man genügend Personal und Intensität reinsteckt. Da sind uns natürlich Grenzen gesetzt. An einem Mordfall arbeiten mindestens vier bis fünf Beamtem, meistens deutlich mehr. Bei einem Einbruch ergibt sich im Vergleich natürlich eine ganz andere Zahl.

Was können die Bürger und Bürgerinnen zu ihrem Schutz tun?

Parchmann:

Das fängt bei der Wohnungstür an. Alte Wohnungs- oder Haustüren, die nur einen Sicherungsbolzen haben, sind nicht mehr zeitgemäß. Die Schwachstellen sind aber aktuell andere, nämlich Fenster und Terrassentüren. Terrassentüren sind der beliebteste Einbruchspunkt bei Einbrüchen, daran muss gearbeitet werden. Dann empfehle ich Außenjalousien. Außerdem gilt: Wenn ein Haus im Hellen steht, traut sich kaum ein Einbrecher heran. Natürlich können wir als Polizei die Mehrzahl der Einbrüche nicht verhindern. Eine funktionierende Nachbarschaft ist das A und O. Und wenn tatsächlich etwas passiert ist, sollten uns unbedingt die Seriennummern von entwendeten technischen Geräten übermittelt werden. Wenn wir Fernsehgeräte, Handys oder Laptops bei Tätern sicherstellen, müssen wir die Geräte auch einer konkreten Einbruchstat zuordnen können. Nur so können wir die Täter überführen. Und die Erfahrung zeigt: Wenn wir ein paar von denen in Haft kriegen, dann ist auch mal drei bis vier Wochen Ruhe, was diese Delikte betrifft.

Hat es dieses Jahr bereits Einbruchsserien gegeben?

Parchmann:

Zum Glück noch nicht. In der Regel fangen die Dämmerungseinbrüche erst mit der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit an. Im vorigen Jahr hat sich fast die Hälfte der Einbruchstaten zwischen Oktober und Dezember ereignet. Es handelt sich vielfach um Einzeltäter, aber auch um organisierte Banden, die häufig von Hamburg aus operieren. Wenn wir herausfinden, dass solche Gruppen hier unterwegs sind, dann bemühen wir uns, alle Wege aus und nach Hamburg abzudecken - sei es mit uniformiertem Personal, aber auch mit Zivilbeamten.

Hat die Polizei überhaupt genügend Beamte?

Parchmann:

Wir müssen die Sicherheit von rund 560 000 Menschen im Direktionsbereich sicherstellen. Der Soforteinsatz hat Vorrang, das garantiere ich auch. Dann kommt der zweite Bereich, die Ermittlungen. Es gab Zeiten, wo wir mehr Spielräume beim Personal hatten. Aber ich sage noch einmal: Wir können unsere Aufgaben erfüllen. Die Kunst ist, mit dem vorhandenen Personal zur richtigen Zeit die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Da müssen wir teilweise die eine oder andere Aufgabe etwas zurückstellen. Ich würde mir natürlich auch mehr Personal wünschen. Fakt ist aber auch, dass wir mit dem vorhandenen Personal für unsere Kernaufgaben auskommen.

Wie sieht es mit Überstunden und ihrem Abbau aus?

Parchmann:

Es fallen in Spitzenzeiten bei Großlagen wie Brokdorf viele Überstunden an. Es fällt schwer, diese abzubauen. Es gibt in Ausnahmefällen einen finanziellen Ausgleich. Ansonsten bemühen sich die Dienststellenleiter, Mehrarbeit zu verhindern. Das führt dazu, dass an einigen Wochentagen die Einsatzstärke heruntergefahren wird. Es gibt aber eine festgelegte Mindesteinsatzstärke, diese wird immer eingehalten. Das, was zwingend erforderlich ist, wird gemacht.

Wie viele Straftaten gibt es pro Jahr im Direktionsbereich? Und wie sind diese Zahlen einzuordnen?

Parchmann:

Wir haben es im Direktionsbereich jährlich mit etwa 40 000 Straftaten und 13 000 Verkehrsunfällen zu tun. Damit liegen wir landesweit sehr weit oben in der Statistik. Es gibt auf Landesebene eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Stellenverteilung bei der Landespolizei befasst und prüft, ob es personelle Schieflagen in einzelnen Bereichen gibt. Ich habe in der Vergangenheit immer gesagt: Diese Schieflage gibt es, und ich stehe dazu. Und der Verdacht, dass in der Polizeidirektion Segeberg wegen der Arbeitsbelastung ein erhöhter Personalbedarf vorhanden ist, scheint sich zu bestätigen. Ich sage aber ausdrücklich nicht, dass andere Bereiche zu viel Personal haben. Die Landespolizei ist insgesamt hoch belastet.

Die Internet-Kriminalität boomt. Sind ihre Beamten in der Lage, in diesem Deliktbereich zu ermitteln? Wie sieht es mit der technischen Ausrüstung und der notwendigen Schulung aus?

Parchmann:

Das Internet macht vieles komplexer. Früher hat jemand das Versandhaus Quelle betrogen, da haben wir mit dem Sachbearbeiter bei Quelle gesprochen, und der konnte uns die Hinweise geben, die dann oft auch zum Täter führten. Heutzutage wird zum Beispiel bei Ebay gekauft. Und wenn da ein Betrug stattfindet, haben wir eine gewisse Hürde, um überhaupt bei Ebay herauszufinden, wie das vonstatten gegangen ist, wie der Account-Inhaber aussieht und was für Transaktionen er noch getätigt hat. Die Bereitschaft von solchen Plattformen, die polizeilichen Ermittlungen intensiv zu unterstützen, kann ich nicht bestätigen. Was die Ausstattung betrifft, haben wir inzwischen die Situation, dass jeder Kollege einen internetfähigen Rechner hat und mit diesem auch umgehen kann und muss.

Die Gewaltbereitschaft gegen Polizisten nimmt bundesweit zu. Wie sieht es im Direktionsbereich aus?

Parchmann:

Die Zahlen sind im Direktionsbereich leicht rückläufig. Wir hatten in den ersten neun Monaten dieses Jahres 129 derartige Fälle. Im Jahr davor waren es im gleichen Zeitraum 153 Fälle. Die Gesamtzahlen liegen im Kreis Pinneberg etwas höher als im Kreis Segeberg. Das wundert auch nicht, weil der ländliche Bereich im Kreis Segeberg größer ist. Solche Vorfälle gibt es größtenteils im städtisch geprägten Bereich. Fast immer ist Alkohol mit im Spiel. Alkoholisierte Menschen neigen dazu, Aggressivität zu entwickeln und Polizeibeamte und ihre Weisungen weniger zu akzeptieren und sich gegen unsere Maßnahmen zur Wehr zu setzen.

Wie sind ihre Kollegen darauf vorbereitet?

Parchmann:

Sie sind sehr gut vorbereitet, auch ihre Ausstattung ist sehr gut. Allerdings steckt in jeder Uniform auch ein Mensch. Und selbst wenn man eine Schutzausrüstung anhat, leidet trotzdem die Seele, wenn man geschlagen und geschubst wird. Was ich mir wünsche, ist mehr Respekt vor dem Menschen in Uniform und dass mehr Berücksichtigung findet, dass auch Polizeibeamte das Recht haben, unverletzt nach Hause zu kommen und eine Menschenwürde haben.

Wie verarbeiten Kollegen schlimme Erfahrungen?

Parchmann:

Wir haben ausgebildete Kolleginnen und Kollegen für Krisenintervention, die mit Betroffenen das Gespräch suchen. Wichtig ist zunächst einmal, dass die Kollegen und Kolleginnen miteinander reden, und das machen sie in ihrer Dienstelle. Das ist wichtig, weil es das erste Verarbeiten ist. Dann kümmert sich der Vorgesetzte. Danach kann der Betroffene professionelle Hilfe vom Kriseninterventionsteam oder der Notfallseelsorge der Landespolizei dazu holen. Wir haben auch einen psychologischen Dienst bei der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung. Die Kollegen, die vor wenigen Tagen in Bad Bramstedt bei einem tödlichen Unfall mit einer Schülerin im Einsatz waren, wurden zunächst vom Notfallseelsorger der Feuerwehr betreut.

Werden diese Angebote relativ häufig in Anspruch genommen?

Parchmann:

Die Inanspruchnahme ist eher gering. Laut einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wird in ungefähr sechs Prozent der Fälle von derartigen Einrichtungen Gebrauch gemacht. Viele Kollegen verarbeiten ihre Erlebnisse durch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten, wünschen sich aber auch, dass sich stärker gekümmert wird. Daran arbeiten wir.

Die Jugendkriminalität ist ein Problem. Im Kreis Segeberg gibt es seit Jahren zwei Ermittlungsgruppen in Norderstedt und Bad Segeberg, die sich nur mit diesen Tätern befassen. Zeigt diese Spezialisierung Erfolg? Und wie viele Intensivtäter sind derzeit bei ihnen aktenkundig?

Parchmann:

Das Argument, das für diese Ermittlungsgruppen mit jeweils vier Beamten spricht, ist der Umstand, dass wir bei Menschen dieses Alters noch etwas bewegen können. Ein 13-, 14-, oder 15-jähriger Jugendlicher hat seinen Weg noch nicht gefunden. Wenn wir den in die richtige Richtung lenken, dann hat man Erfolg. Bei einem älteren Dauerstraftäter, der schon Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, kommen wir da nicht mehr weiter. Die Entwicklung, was die Jugendkriminalität betrifft, ist 2011 nicht sonderlich auffällig, es gibt keine großen Veränderungen. Wir kommen bisher auf die gleichen Zahlen wie im Vorjahr. Auffällig aber ist, dass der Anteil der weiblichen Täter erheblich angestiegen ist. Intensivtäter haben wir im Kreis Segeberg derzeit 73, etwa die Hälfte davon im Bereich Norderstedt/Henstedt-Ulzburg. Wichtig ist, dass die Bestrafung möglichst schnell nach der Tat erfolgt. Hier gibt es eine enge und wirksame Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Kiel, der Jugendgerichtshilfe und den Jugendrichtern. Auf diese Weise lassen sich kriminelle Karrieren wirkungsvoll eindämmen.

Der Ausbau der Autobahn 20 kommt voran, die Verlängerung der A 21 bis nach Kiel soll folgen. Wann wird das seit Jahren geplante Reviergebäude für die Autobahnpolizei in Bad Segeberg gebaut?

Parchmann:

Das Projekt ist endgültig vom Tisch, weil das Geld für den Bau eines Autobahnreviers nicht zur Verfügung steht. Für die polizeiliche Arbeit ist es zwar praktisch, aber nicht zwingend, für die Autobahnpolizei direkt an einer Autobahnzufahrt zu bauen. Wir haben im Direktionsgebäude an der Dorfstraße in Bad Segeberg für eine angemessene Unterbringung der Kollegen gesorgt. Dieser Standort hat zwar Nachteile, wenn wir Unterstützungskräfte brauchen, die sich durch den Verkehr der Segeberger Innenstadt kämpfen müssen. Doch vor diesem nicht unüberwindbaren Problem stehen die Kollegen vom Rettungsdienst auch.