Das Projekt “Norderstedt spricht viele Sprachen“ sucht Sprachpartner für Migranten, die mitreden und sich so besser integrieren wollen.

Norderstedt. Es ist die Hauptforderung der deutschen Gesellschaft an alle Migranten: Lerne die deutsche Sprache, dann stehen dir alle Türen offen, sie ist der "Schlüssel zur Welt". Und viele Menschen, die aus Russland, aus der Türkei, aus Afrika oder anderen Teilen der Welt nach Deutschland kommen, folgen diesem Rat. Sie belegen Sprach-Kurse und beherrschen die deutsche Orthografie am Ende besser als mancher Deutsche. Doch was hilft das, wenn Migranten das Erlernte kaum anwenden können. Wenn also kaum ein Deutscher mit ihnen spricht.

Ein Norderstedter Projekt möchte die Sprachlosigkeit zwischen den Kulturen in der Stadt überwinden. "Norderstedt spricht - viele Sprachen" ist der Titel. Im Kern handelt es sich um eine Partner-Börse der linguistischen Art, die Migranten und Deutsche zusammenbringen soll. Im persönlichen Kontakt lernt der eine vom jeweils anderen Muttersprachler. Dabei können alleine die Sprachen, aber auch die kulturellen Unterschiede im Mittelpunkt stehen.

Die Grammatik sitzt, aber die Sprachpraxis fehlt komplett

Initiiert wurde das Projekt von Heide Kröger, der Integrationsbeauftragten der Stadt Norderstedt und der Arbeitsgemeinschaft Sprache, in der sich alle Hilfsangebote für Einwanderer im Kreis Segeberg untereinander abstimmen. Unter anderen sind die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie, die Caritas und der Weiterbildungsverbund dabei. Die Mitarbeiter dort kennen aus den Gesprächen mit den Hilfesuchenden das immergleiche Problem: "Die Grammatik sitzt einigermaßen, aber die Sprachpraxis fehlt", sagt Heide Kröger. Dass etliche Migranten kaum in engeren Sprach-Kontakt mit Deutschen kommen, hängt mit vielen Aspekten zusammen. "Zunächst einmal haben viele keine Arbeit. Die meisten Menschen lernen sich über den Job kennen. Das fällt bei vielen Migranten schon mal weg", sagt Sonja Baudisch, die für die Arbeiterwohlfahrt tätig ist.

Manche Einwanderer würden sich aber auch schlicht schämen, weil das Deutsch noch nicht so gut sitzt. "Und wir haben in Norddeutschland einfach nicht diese Kultur des Aufeinanderzugehens, diesen offenen und gastfreundlichen Umgang, den wir selber im Ausland so schätzen", sagt Heide Kröger. Die Initiatoren sind sich einig, dass es bei den Migranten nicht an der Bereitschaft mangelt, in Kontakt mit Deutschen zu treten - und hoffen, dass dies bei den Norderstedtern auch nicht der Fall ist. "Wir suchen Menschen, die Interesse an einer fremden Sprache haben oder die jemanden aus einer anderen Kultur kennenlernen wollen", sagt Heide Kröger.

Der oder die Sprachpartnerin meldet sich per E-Mail an norderstedt-spricht@wtnet.de oder ruft unter der Telefonnummer 040/53 59 59 16 bei der Integrationsbeauftragten Heide Kröger an. Mit Kröger bespricht der Sprachpartner, an welcher Sprache oder Nationalität er interessiert ist. Alle gängigen Weltsprachen sind unter den Migranten in Norderstedt vertreten (siehe Artikel unten), hauptsächlich aber Türkisch und osteuropäische Sprachen. Die Arbeitsgemeinschaft Sprache macht sich dann auf die Suche nach einem passenden Migranten.

Zwei Damen plaudern einmal die Woche zwei Stunden Englisch und Polnisch

Wie die Treffen zwischen den Sprachpartner dann aussehen, das bestimmen die Partner ganz individuell. Zwei Sprachpartnerinnen, die sich bereits gefunden haben, sind die Norderstedterinnen Helga Kadow, 75, und Katarzyna Kosmal-Stoffers, 32. Helga Kadow versucht seit geraumer Zeit, sich Polnisch beizubringen. Sie arbeitet mit Büchern und Hörkonserven. Über die Volkshochschule lernte sie die gebürtige Polin Katarzyna Kosmal-Stoffers kennen. "Ich wollte mein Englisch verbessern, für den beruflichen Einsatz in Großbritannien", sagt Kosmal-Stoffers. Helga Kadow spricht ziemlich perfekt Englisch. Und so wurden die beiden Frauen Sprachpartnerinnen. "Seit eineinhalb Jahren treffen wir uns einmal in der Woche. Dan sprechen wir zunächst eine Stunde lang Polnisch und dann eine weitere Stunden nur noch Englisch", sagt Helga Kadow.

Polnisch sei eine sehr schwere und komplizierte Sprache. Helga Kadow ist froh, mit Katarzyna Kosmal-Stoffers eine versierte Muttersprachlerin gefunden zu haben. "Polnisch ist nicht nur meine Muttersprache, ich habe sie auch studiert", sagt die 32-Jährige. Sie wiederum ist froh, mit Helga Kadow ihre englische Sprachbarriere überwunden zu haben. Aus der Sprachpartnerschaft ist mittlerweile mehr geworden. Die beiden nennen sich Freundinnen. "und mein kleiner Sohn sagt sogar babcia zu Helga, das heißt Oma auf Polnisch", sagt Katarzyna Kosmal-Stoffers.

Sozialdezernentin Anette Reinders hat die Schirmherrschaft übernommen

Heide Kröger betont, dass das Projekt nicht nur auf die reine Sprachpartnerschaft abzielt. "Auch wer kein spezielles Interesse an der Erweiterung seiner Sprachkenntnisse hat, kann über das Projekt Menschen aus anderen Kulturkreisen kennenlernen." Die Schirmherrschaft für "Norderstedt spricht - viele Sprachen" hat die Sozialdezernentin und Zweite Stadträtin, Anette Reinders, übernommen. "Es sind genau diese Projekte, die wir in dieser Stadt brauchen, um auch das gegenseitige Verständnis zwischen den Kulturen zu fördern", sagt Reinders.

In Norderstedt hätten 19 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. "Also ist fast jeder Fünfte ein Einwanderer. Wer seinen Bekanntenkreis überschaut, wird in der Regel aber kaum Migranten darunter finden", sagt die Stadträtin. Wer die Integration fordert, der muss auch bereit sein, sie aktiv zu unterstützen.