Hans-Jürgen S. aus Henstedt-Ulzburg galt als unauffällig. Eine DNA-Probe seines Bruders führte zur Festnahme

Henstedt-Ulzburg. Eine kleine Siedlung steht unter Schock: Nach der Festnahme des mutmaßlichen Mädchenmörders aus Henstedt-Ulzburg hat sich am Freitag bei den Menschen am Eschenweg schnell herumgesprochen, dass einer ihrer Nachbarn sich für die grausige Tat verantworten muss. Zwei Jahrzehnte haben die Bewohner fast Tür an Tür mit Hans-Jürgen S. gelebt, der 1984 die Schwesterschülerin Gabriele Stender vergewaltigt und erdrosselt haben soll.

"Still, ruhig und sehr unauffällig" - so beschreiben Nachbarn den bärtigen 64-Jährigen, der bei der Mordkommission ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und seit Mittwoch in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet. Das gepflegte Mittelreihenhaus wirkt verlassen. Dort lebte S. mit seiner Mutter, sie hat vor zwei Monaten ihren 90. Geburtstag gefeiert. Bekannte fürchten, dass sie an dem Schmerz zerbrechen könnte, einen Sohn zu haben, der eines furchtbaren Verbrechens beschuldigt wird. Für die Mordkommission besteht kein Zweifel mehr, dass S. der Mann war, der im Februar Gabriele Stender als Anhalterin mitnahm. Sie wollte zur Diskothek Kutsche nach Alveslohe fahren. Ihre Leiche entdeckten spielende Kinder neun Tage später in einem Waldstück in Weddelbrook.

Auf kriminalistischen Umwegen kamen die Fahnder dem Täter auf die Spur

Beamte der Mordkommission hatten Hans-Jürgen S. am Dienstag verhaftet. Eine DNA-Analyse hatte ihn überführt - allerdings erst auf kriminalistischen Umwegen. Zunächst war der Bruder von S. ins Visier der Ermittler geraten. Die Mordkommission hat den Mann bereits kurz nach der Tat überprüft. Obwohl er und das Opfer sich nicht kannten, passte er ins Raster bei der Tätersuche. "Dafür sprachen seine Ortskenntnisse in Henstedt-Ulzburg und Weddelbrook", sagte ein Beamter.

Als die Mordkommission im vergangenen Herbst den Fall erneut aufrollte, überprüften die Ermittler ihn und 150 weitere Männer erneut und baten um eine Speichelprobe für ein neuartiges Verfahren zur DNA-Analyse. Spezialisten des Landeskriminalamtes (LKA) war es gelungen, eine Spur von der Kleidung der Getöteten zu identifizieren. Vor etwa zwei Wochen folgte eine Meldung aus dem LKA, die die Fahnder elektrisierte: Die DNA des Mannes stimme zwar nicht 100-prozentig mit der vom Tatort überein. Wahrscheinlich sei jedoch, dass ein naher Verwandter - vermutlich der Bruder - der Täter sei. Schnell geriet damit Hans-Jürgen S. in den Mittelpunkt der Ermittlungen.

Er war offenbar völlig überrascht, als die Kriminalbeamten am Dienstag vor der Haustür standen und ihn um eine Speichelprobe baten. Sofort rasten Polizisten mit dem Material ins LKA nach Kiel. Eine Sofortuntersuchung brachte Gewissheit, diese DNA-Spur war ein Volltreffer.

Der Druck, der jetzt aus S. lastete, war so groß, dass er das Verbrechen bis ins Detail gestand. Dabei nannte er nach Informationen der Norderstedter Zeitung auch Details, die nach einer juristischen Bewertung des Amtsgerichts Kiel zu einem Haftbefehl wegen Mordes führten. Hätte der Vorwurf lediglich auf Totschlag und Vergewaltigung gelautet, wäre S. frei gewesen. Beide Taten wären verjährt.

Vor der Haustür am Eschenweg steht der alte BMW von Hans-Jürgen S. Der 64-Jährige ist begeisterter Fan des Hamburger Sportvereins. Er hat Vereinsaufkleber am dem Wagen befestigt, in dem Fahrzeug liegen HSV-Kissen. Täglich ist Hans-Jürgen S. mit dem Wagen zur Arbeit gefahren. Der Festgenommene hat den Beruf des Maurers gelernt. Er arbeitete bei einer Bausanierungsfirma in Hamburg. Hans-Jürgen S. ist seit Jahren geschieden. Als Gabriele Stender 1984 starb, lebte er gemeinsam mit seiner Frau in einem Reihenhaus in Kaltenkirchen. Seine Töchter waren nur wenige Jahre jünger als das Opfer. Hans-Jürgen S. lässt sich von dem Rechtsanwalt Horst Schumacher aus Henstedt-Ulzburg vertreten.

"Ich bin geschockt", sagt ein Nachbar von Hans-Jürgen S. "Der war ein sehr ruhiger, stiller Mann." Alle Mitglieder der Familie seien Fans des HSV - "durch und durch!" Nachbarn sorgen sich besonders um die Mutter des Tatverdächtigen: "Wir nennen sie hier alle liebevoll Oma. Sie muss ja einen Schock bekommen haben, als ihr Sohn zu Hause festgenommen wurde." Ein anderer Anwohner sagt: "Er ist ein guter Handwerker. Dass er so eine Tat begangen haben soll, das hätten wir nie gedacht." Auffällig sei gewesen, dass Hans-Jürgen S. engere Kontakte in der Nachbarschaft stets vermieden habe. Ein Ermittler der Kripo sprach von einem "auffällig unauffälligen" Leben des mutmaßlichen Mörders.

Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft betonen, dass Täter und Opfer sich vor dem Verbrechen nicht kannten. Staatsanwältin Birgit Heß spricht von einer "schicksalhaften Begegnung". Dass Hans-Jürgen S. nach der Scheidung nur wenige 100 Meter vom Elternhaus seines Opfers entfernt nach Henstedt-Ulzburg zog, ist vermutlich nur ein Zufall.

Die Mutter der Toten lebt in der Gemeinde, der Vater ist gestorben

"Ich bin froh, dass dieser Mord aufgeklärt ist", sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgervorsteher Carsten Schäfer. Er hofft, dass die Hinterbliebenen von Gabriele Stender die Kraft finden, emotional die Belastungen zu ertragen. Gabriele Stenders Vater ist gestorben, ihre Mutter lebt in der Großgemeinde. Schäfer sorgt sich auch um das Umfeld von Hans-Jürgen S.: "Meine Gedanken sind auch bei der Familie des mutmaßlichen Täters."

Günter Santjer vom Weißen Ring Schleswig-Holstein geht davon aus, dass die Hinterbliebenen des Opfers nach der Festnahme ein Gefühl der Genugtuung erleben. "Für sie ist eine quälend lange Zeit der Ungewissheit vorbei." Gleichzeitig bestehe die Gefahr der Retraumatisierung. Santjer: "Diese Sekundäropfer durchleben einen Spagat zwischen Genugtuung und einem erneuten Aufwühlen der Gefühle." Der Weiße Ring biete kostenlose Unterstützung an und vermittle bei Bedarf therapeutische Hilfe.