Konrektor Sönke Radetzky, 47, stellt heute die Schule Kisdorf vor, die vor 14 Jahren quasi über Nacht bundesweit bekannt wurde: Damals wurde der binnendifferenzierte Unterricht für Haupt- und Realschüler eingeführt.

Angelika Schwarke hatte manchmal seltsame Anwandlungen. Sie wohnt nur wenige Schritte von der Schule Kisdorf entfernt und konnte es nicht lassen, die Mauern hin und wieder zu streicheln. So gerne wäre sie wieder zurückgekehrt an "ihre" Schule, in der sie einst als junge Lehrerin gearbeitet hatte. Das Schicksal wollte es anders, sie ging beruflich einen anderen Weg.

Jetzt aber hat ihr große Stunde geschlagen: Nach 24 Jahren an der Grundschule Oering, wo sie sich auch sehr wohl gefühlt hat, ist sie mit Beginn des laufenden Schuljahres zurückgekehrt. "Wir haben sie zurückgeholt", sagt Konrektor Sönke Radetzky, 47, und lacht. Die inzwischen 59 Jahre alte Lehrerin hatte denn auch gleich ihr Erfolgserlebnis: Zusammen mit dem Referendar Ulf Langenau, 41, wurde sie zur Vertrauenslehrerin gewählt. Jetzt ist die Welt für Angelika Schwarke wieder in Ordnung.

Einige Lehrer kommen jeden Morgen aus Lübeck oder Kiel angereist

Während sie das erzählt, sitzt sie zusammen mit Kollegen im geräumigen Lehrerzimmer, trinkt eine Tasse Kaffee und isst ein Stück Erdbeerkuchen mit Schlagsahne. Fast alle im Raum essen ebenfalls Kuchen - spendiert wurde er von einer Kollegin, als eine Art Wiedergutmachung, weil sie etlichen Mitgliedern des Kollegiums zusätzliche Arbeit aufgebürdet hatte. Aber eine Ausnahme ist dieser vormittägliche Kaffeeklatsch durchaus nicht. "Bei uns herrscht ein so gutes Arbeitsklima, dass es kaum zu fassen ist", sagt Sönke Radetzky, der als einer der dienstältesten Lehrer die Aufgabe übernommen hat, die Schule Kisdorf vorzustellen. Seit 16 Jahren ist er hier Lehrer, und immer noch kommt er jeden Morgen gerne hierher. Einige Kollegen von ihm kommen seit Jahren sogar aus Lübeck und Kiel angereist.

Der ehemalige Schulleiter Köster hat einen Ehrenparkplatz

Eine ehemalige Kollegin nahm für längere Zeit die Qual der Elbtunnel-Staus auf sich, um aus Niedersachsen anzureisen. "Wir können sehr entspannt arbeiten, weil es auch keinen Druck von oben gibt", sagt Konrektor Radetzky. Das ist als Lob in Richtung Schulleiterin Anke von Husen zu verstehen, die 2009 die Nachfolge des schon fast als legendär eingestuften Schulleiters Hauke Köster angetreten hat. Der wirft einen langen Schatten: Vor dem Eingang des verzweigten und für Neuankömmlinge leicht unübersichtlichen Schulgebäudes hängt das Schild "Ehrenparkplatz Hauke Köster". Tatsächlich soll er diesen Parkplatz gelegentlich auch nutzen. Denn der frühere Schulleiter besucht die Schule in Kisdorf immer noch sehr gerne - genau wie viele andere ehemalige Lehrer, die es oft zurückzieht in das Gebäude am Grotredder.

Jeder Lehrer in Kisdorf hat einen eigenen Schreibtisch

Die Lehrer haben es tatsächlich gut in dieser Schule: Nicht nur das Lehrerzimmer ist großzügig, sondern auch das "Arbeitszimmer". Denn das ist ein Novum in der schleswig-holsteinischen Schullandschaft: Jeder Lehrer hat seinen eigenen abgeteilten Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Ablagefläche. Das sieht auf den ersten Blick zwar etwas kabinenartig aus und erinnert entfernt an ein Callcenter, erfüllt aber offenbar seinen Zweck.

Die Schule Kisdorf ist eine Grund- und Gemeinschaftsschule, die einen guten Ruf genießt. Nicht nur in Kisdorf, nicht nur im Kreis Segeberg, sondern in ganz Schleswig-Holstein. Denn vor 14 Jahren sorgte Schulleiter Köster für viel Aufsehen, als er mit Bildung des Realschulzweiges den binnendifferenzierten Unterricht einführte. Damit wurde die Schule Kisdorf mit einem Schlag zu einer Modellschule, die auch Besuch aus anderen Bundesländern bekam. Viele Schulleiter wollten wissen, wie das funktionierte - Haupt- und Realschüler in einer Klasse. Sogar große deutsche Tageszeitungen brachten Berichte aus Kisdorf. Für viele andere Schulen in Deutschland wurde das Kisdorfer Modell zu einem Vorbild.

Bundesweit findet das sogenannte Kisdorfer Modell Beachtung

Die Schule bekam dadurch eine große Strahlkraft, die bis heute anhält und viele Schüler aus anderen Gemeinden anlockt. Es gibt sogar Gymnasiallehrer, die sich hierher versetzen lassen, weil sie von der Kisdorfer Schule überzeugt sind. Sönke Radetzky hat das Kisdorfer Modell von Beginn an miterlebt und festgestellt, dass es funktioniert, wenn alle Pädagogen und Eltern mitziehen. Von der Schule mit binnendifferenziertem Unterricht zur Gemeinschaftsschule war es dann nur noch ein kleiner, aber sehr entscheidender Schritt

Schulleiterin Anke von Husen, die von der Quickborner Realschule nach Kisdorf gewechselt ist, will den guten Ruf der Schule nicht nur erhalten, sondern auch ausbauen. "Ich bin in die Weiterentwicklung eingestiegen und habe gut zu tun", sagt sie. Ein großes Lob spricht sie dem Schulträger aus: "Das Amt Kisdorf unterstützt uns wirklich in allen Belangen und steht voll und ganz hinter uns." Schulelternbeiratsvorsitzende Birga Kreuzaler ist auch nach zehn Jahren aktiver Elternarbeit immer noch darüber begeistert, dass Eltern und Lehrer an einem Strang ziehen. "Mir wird von Eltern immer wieder gesagt, dass es die richtige Entscheidung war, ihr Kind auf diese Schule zu schicken."

Im Keller hat Computerexperte Horst Hiller das Sagen

Sönke Radetzky weist aus einem Fenster im oberen Geschoss und zeigt, wie die Schule gewachsen ist: Zu sehen sind viele flache und höhere Gebäudeteile - das Schulgebäude ist gewachsen. Für Neuankömmlinge ist das Baukastensystem, das sích über Jahre entwickelt hat, schwer zu durchblicken, die Schüler kommen aber offenbar gut damit zurecht. 1972 wurde die Schule am Grotredder eingeweiht, vorher gab es die "Ole School" am Sengel, die jetzt als Veranstaltungsort und Heimat des Kinderschutzbundes immer noch ein Dorfmittelpunkt ist. Aber Dorfmittelpunkt ist inzwischen natürlich auch die "moderne" Schule Kisdorf geworden.

Genutzt wird jeder Winkel des ausufernden Gebäudes. Da gibt es im Neubautrakt zum Beispiel kleine Räume, in die sich Schüler zurückziehen können, wenn sie intensiv und ungestört arbeiten wollen. Selbst im Keller gibt es Schulräume: Hier hat Horst Hiller, 70, das Sagen. Denn er ist der Herr über die PC-Räume - und das schon seit 20 Jahren. Damals fing der EDV-Administrator der Schule mit drei Homecomputern der Marke Commodore C64 an, heute stehen hier viele Computer, die zum Teil von einer Rendsburger Firma stammen. Gute Kontakte sind alles. Auch hier. Zu dieser Firma gibt es mehrere. Unter anderem ist der Schwiegervater des Konrektors dort tätig... Kein Wunder also, dass diese Schule immer noch zu den bestausgestatteten in Schleswig-Holstein gehört. Horst Hiller ist stolz auf seinen Wirkungskreis im Schulkeller.

Neues Schmuckstück der Schule Kisdorf ist die vorgelagerte Mensa, die vor zwei Jahren mit Beginn der Gemeinschaftsschule eröffnet wurde. Hier herrscht in diesen Tagen reger Betrieb. Denn Ganztagskoordinatorin Anja Lindemann veranstaltet eine Drei-Tage-Börse, um alle freiwilligen Angebote zu präsentieren. 60 Prozent der Schüler nehmen eins oder mehrere Angebote wahr. Besonders beliebt sind Präventionskurse wie "Ich bin stark". Hier ist an diesem Vormittag auch Martina Witzke, 35, zu treffen, die als Schulsozialarbeiterin für manche Schüler so etwas wie eine "Seelsorgerin" ist. Seit Gründung der Gemeinschaftsschule hat sie hier eine Dreiviertelstelle und kümmert sich um Schüler, die zum Beispiel eine kurzzeitige Auszeit benötigen, weil sie sich nicht mehr konzentrieren können. Bei Problemfällen steht sie auch im engen Kontakt mit den Eltern. Im nächsten Schuljahr beginnt sie mit einer Konfliktlotsenausbildung. Auch das gehört zu den Angeboten der offenen Ganztagsschule.

In der großen Pause beginnt sich die lichtdurchflutete Mensa zu füllen. Die Schüler stehen an, um sich Getränke oder Brötchen zu kaufen: Dieses Gebäude ist ganz offenbar ein beliebter Treffpunkt für die Mädchen und Jungen, von denen viele schon von der ersten Klasse an hier zur Schule gehen. Denn das ist ja auch eine Besonderheit der Schule Kisdorf: Die Kinder können hier ein ganzes Schulleben verbringen. Nicole Heddram, 14, und Jonas Albrecht, 15, die beiden Schülersprecher aus der 9b, bringen es gemeinsam auf einen Nenner: "Die Schule ist nett, die Lehrer sind nett, die Rektorin ist nett. Die Schule gefällt uns." Ein Lob aus kompetentem Mund, den Sönke Radetzky gerne hört und der seine Meinung bestätigt: "Ich möchte nirgendwo anders arbeiten."