Die Verunsicherung in der Rantzau-Kaserne in Boostedt ist groß. Rund 2000 Soldaten fürchten das Aus für den Standort.

Boostedt. Ein Besucher der Internet-Seite des Bundesverteidigungsministeriums muss lange suchen, um auf einen der wichtigsten Sätze zu stoßen: "Standortfragen werden nicht vor Mitte des Jahres entschieden" heißt es militärisch knapp mitten im Text in der Rubrik "Häufig gestellte Fragen (Teil 3)". Seitdem Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine umfassende Strukturreform der Bundeswehr angekündigt hat, weiß kaum ein Soldat, wo er in den kommenden Jahren zum Dienst antreten muss. Auch in der Rantzau-Kaserne in Boostedt wagt niemand vorherzusagen, ob der Traditionsstandort mit seinen knapp 2000 Soldaten demnächst auf einer Streichliste steht und möglicherweise dicht gemacht wird. "Die Unsicherheit bei der Bundeswehr ist riesengroß - auch in Boostedt", sagt Hergen Hennings vom Bundeswehrverband. "Ein unsagbar kläglicher Zustand."

Im Mai 2010 hatte zu Guttenberg angekündigt, die Streitkräfte zu reformieren und zu verkleinern. Seitdem arbeitet das Ministerium hinter verschlossenen Türen an Konzepten für eine moderne, aber geschrumpfte Armee. Millionen hat die Bundeswehr in den Standort Boostedt gesteckt, der sich in den vergangenen fünf Jahren von einer Panzerkaserne in ein Logistikzentrum verwandelt hat. Doch nicht einmal Offiziere glauben, dass der gerade beendete Umbau und die Investitionen die Kaserne retten werden, wenn sie nicht in das Konzept des Ministeriums für eine auf Auslandseinsätze getrimmte Truppe passt.

Boostedt gehört zu den größten Truppenstandorten im Norden: 1020 Soldaten gehören in Boostedt zum Logistikbataillon 162, weitere 710 arbeiten beim Instandsetzungsbataillon. Hinzu kommen der Sanitätsdienst mit 61 Soldaten, das Munitionslager mit 58 und eine kleine Logistikeinheit mit 25. Außerdem werden demnächst mehr als 100 Militärpolizisten (Feldjäger) einrücken, die nach Boostedt verlegt werden sollen. Die Unterkünfte sind bereits hergerichtet.

"Was wird auf meinem Verband? Wo lande ich eines Tages?"

Die Sorgen der Soldaten gelten allerdings nur in zweiter Linie den Standorten, weiß Hennings vom Bundeswehrverband. Er berichtete von den Fragen, die sich jeder Kamerad seit Monaten stelle: "Was wird aus meinem Verband? Wo lande ich eines Tages?" Denkbar ist beispielsweise auch, dass Boostedt erhalten bleibt, aber die Bataillone verlegt oder komplett umstrukturiert werden. "Das Schlimmste ist, dass keiner den Soldaten sagt, was bei der Strukturreform herauskommt", klagte Hennings. "Seit der Rede im Mai ist nichts mehr entschieden worden." Hennings fürchtet sogar, dass sich die Entscheidungsprozesse nach dem Rücktritt zu Guttenbergs noch weiter hinauszögern, weil sich sein Nachfolger Thomas de Mazière erst einarbeiten müsse. Letzte Klarheit werde ohnehin erst im Jahr 2016 herrschen. Dann soll die Strukturreform umgesetzt sein.

Auch Boostedts Bürgermeister Rüdiger Steffensen kennt die Sorgen und weiß, dass eine umstrukturierte Bundeswehr nicht nur die Lebensplanung vieler Soldaten auf den Kopf stellen könnte, sondern auch die kommunale Wirtschaft empfindlich treffen würde. Viele der 4600 Einwohner leben von den Soldaten, die in der Gemeinde einkaufen, tanken und abends in die Kneipe gehen. "Wir als Gemeinde profitieren von den vielen Soldaten", sagt Steffensen. "Ohne die Bundeswehr wäre Boostedt nicht mehr Boostedt." Im Ort herrsche "gespanntes Warten". Als die ersten Soldaten in den 50er-Jahren in Boostedt ihre Unterkünfte bezogen, wurden sie noch vor den Dorfbewohnern beschimpft. Heute gehören die Männer in Grün zum Ortsbild.

Dass sie eines Tages komplett aus Boostedt verschwinden werden, glaubt Steffensen allerdings nicht. Der Bürgermeister erinnert sich noch an die Gerüchte während der vorerst letzten Strukturreform vor gut fünf Jahren, als Boostedt eine komplette Panzerbrigade verlor, die im Kalten Krieg Schleswig-Holstein gegen einen Angriff der Ostblock-Staaten verteidigen sollte und nicht mehr gebraucht wurde. "Das war fast alles falsch", sagt Steffensen über das Gerede. Für den Standort Boostedt spreche damals wie heute die gute Infrastruktur: Die Kaserne nutze einen eigenen Bahnanschluss, liege nahe der Autobahn 7 und verfüge über einen eigenen Übungsplatz.

Auch die Landesregierung bemüht sich, die Folgen der bevorstehenden Strukturreform für Schleswig-Holstein erträglich zu gestalten. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat die Devise ausgegeben, so viel Bundeswehr wie möglich in Schleswig-Holstein zu halten. Die Landesregierung nutze verschiedene "Kanäle" nach Berlin und versuche intensiv, deutlich zu machen, welche Folgen Standortschließungen und Personalreduzierungen haben könnten, sagt Regierungssprecher Knut Peters. Seit Beginn des Jahres 2010 finde ein "regelmäßiger Austausch hinter den Kulissen statt".

Auch die Landesregierung weiß, dass Schleswig-Holstein um Opfer nicht herumkommen wird. "Wir sind nicht weltfremd", sagt Peters. Wenn Strukturanpassungen anstehen, werde das Bundesland davon nicht ausgenommen. Allerdings weise die Landesregierung stets darauf hin, dass Schleswig-Holstein bereits bei den vorangegangenen Bundeswehr-Modernisierungen überproportional betroffen gewesen sei. Bei den Gesprächen hinter den Kulissen gilt die Marschroute, dass das Land keine Prioritäten ausspricht. "Wir werden uns nicht an einer Debatte beteiligen, in der Standorte gegeneinander ausgespielt werden", hat der Ministerpräsident gesagt.

Bundestagsabgeordneter spricht demnächst mit dem Inspekteur

Ein wenig offensiver geht Carstensens Parteifreund Philipp Murmann ans Werk. Boostedt liegt im Wahlkreis des christdemokratischen Bundestagsabgeordneten, der sich demnächst mit dem Inspekteur der Streitkräftebasis treffen will und dabei die Vorteile des Standortes herausstreichen möchte.

Außer in Boostedt herrscht auch in anderen Kasernen Schleswig-Holsteins Unsicherheit. Husum fürchtet sich vor dem Verlust der Pioniere, die die Region bei einer Sturmflut braucht. In Eutin ist der letzte schleswig-holsteinische Standort des Heeres von einer Schließung bedroht. Unruhe herrscht außerdem bei der Marine in Kiel, Flensburg und Eckernförde.

Aus dem kleinen Boostedt sind keine Aktionen zu erwarten

Aus Furcht vor der Schließung der Standorte der Heeresflugabwehr mit 1200 Soldaten haben die Bewohner von Lütjenburg (Kreis Ostholstein) 6500 Unterschriften gesammelt und dem Ministerpräsidenten übergeben. Dazu erhielt er eine druckfrische Imagebroschüre, in der sich Lütjenburg als "Garnisonsstadt mit Herz" vorstellt. In Kiel wirkt Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) öffentlichkeitswirksam für den Erhalt der Streitkräfte in der Landeshauptstadt.

Aus dem kleinen Boostedt sind vergleichbare öffentlichkeitswirksame Aktionen kaum zu erwarten. Eher schon vom großen Nachbarn Neumünster und den größeren Orten des Kreises Segeberg, in denen viele Soldaten leben, die in der Rantzau-Kaserne stationiert sind. Doch bislang schaue man nach Berlin wie ein Kaninchen auf die Schlange, sagt ein Soldat.