Der Norderstedter Jens Hennings hat eine Spürnase entwickelt. Er ist einer von drei Wolfsbetreuern im Norden

Kreis Segeberg. Immer mit der Spürnase am Boden: Ist Jens Hennings in der freien Natur unterwegs, hat er durchweg den Blick nach unten gesenkt; ist er dauernd bei der Fährtenlese. Vor allem einem ist der Norderstedter auf der Spur, der sich auf leisen Pfoten in seine einstmaligen Reviere zurück schleicht - der Wolf!

"Sichtungen haben wir in Schleswig-Holstein reichlich, aber noch keinen Nachweis", sagt Jens Matzen aus Stolpe. Matzen, der Norderstedter Hennings, Abteilungsleiter Nord im Verein "Freundeskreis freilebender Wölfe", und Wolf-Gunthram Freiherr von Schenck sind die drei Wolfsbetreuer in Schleswig-Holstein. Sie rücken möglichst sofort aus, wenn im Norden jemand meint, einen Wolf oder dessen Hinterlassenschaften entdeckt zu haben - und das immer öfter. Von Schenck, Geschäftsführer des Wildparks Eekholt, der den Mittelpunkt des "Wolfsmanagements" in Schleswig-Holstein bildet, erzählt, dass er jüngst in die Gegend nach Malente gefahren sei. Die Wolfsbetreuer sprechen vor Ort mit Zeugen, werten Pfoten- und Kotspuren aus, gucken sich eventuell gerissene Tiere an.

Im April 2007 war in Ostholstein ein Wolf totgefahren worden. Seitdem gab es zahlreiche Sichtungen, aber keinen konkreten Nachweise mehr. Die Marschrichtung des Wolfs aber ist unverkennbar, wie eine Karte verdeutlicht, die der Freundeskreis während der "Wolfsnächte" im Wildpark Eekholt zeigt. Vom Südosten der Republik, wo in der Lausitz (nordöstliches Sachsen/südliches Brandenburg) sechs Rudel mit annähernd 50 Exemplaren und zwei welpenlose Paare frei leben, führt die Spur der Wölfe in Nordwestlicher Richtung. Die Experten gehen fest davon aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Bayern mit der Einwanderung von Wölfen aus Sachsen, Polen und Tschechien zu rechnen ist. Im nächsten Schritt käme dann Schleswig-Holstein dran.

Die Faszination, die der Wolf auf den Menschen ausübt, ist ungebrochen groß. Zu den bereits 16. "Wolfsnächten" im Wildpark Eekholt am Segeberger Forst kamen erneut mehrere Tausend Besucher. Das Eekholter Mini-Rudel mit den Geschwister-Tieren Lena und Erik (geboren 2003) ertrug den Rummel mit Gelassenheit. Einzig, als ihre gewohnte Fütterungszeit verschoben wurden, um sie abends im Scheinwerferlicht über die Bühne gehen zu lassen, ergriff die Tiere Unruhe. "Was passiert, wenn ich ins Gehege falle? Fressen die mich dann auf?" will ein etwa zehn Jahre alter Steppke wissen, der Lena und Erik vom erhöhten Beobachtungspunkt beäugte. "Nein", entgegnet der Wildpark-Mitarbeiter lachend, "die haben dann Mitleid mit dir."

Umgekehrt war und ist es nicht so. Erbarmungslos wurde der Wolf hierzulande vom Menschen gejagt und ausgerottet. In Brokenlande, gar nicht weit von Eekholt, zeugt der "Wolfstein" davon, dass dort 1820 der letzte Wolf Schleswig-Holsteins getötet wurde.

Schon bald soll es wieder mehr Wölfe am Segeberger Forst geben. Die Verantwortlichen des Wildparks planen (wie berichtet), das Wolfsgehege deutlich um viele Hektar zu vergrößern, um dann auch wieder ein größeres Rudel zu halten. "Wir warten auf die letzten Genehmigungen", sagt Ute Kröger, Pressesprecherin und Leiterin der Wildparkschule. Im Rahmen des schleswig-holsteinischen Wolfsmanagements beginnt in Eekholt im März ein Seminar zur Schulung weiterer Wolfsbetreuer. "Der Wolf kommt, man muss ihn nur lassen", sagt Ute Kröger.

Aber lassen wir ihn wirklich? Die Fachleute des Kieler Umweltministeriums gehen davon aus, "dass mittelfristig zunächst nur einzelne Tiere in Schleswig-Holstein durchwandern werden". Sollten sich einzelne Tiere dann "standorttreu" verhalten, werde das Areal von Amts wegen zu "Wolfsgebieten" erklärt. Damit aber ist es nicht getan, denn das Raubtier Wolf muss auch fressen. Ein erwachsenes Tier braucht täglich drei bis vier Kilogramm Fleisch. Hochgerechnet auf ein Jahr bedeutet dies, dass ein Wolf im Jahr annähernd 60 Rehe oder 15 Rothirsche frisst. Aber warum anstrengend jagen, wenn er auch ganz leicht Nutztiere kriegen kann, sagt sich der schlaue Jäger. Und schon ist der Konflikt mit Nutztierhaltern da. "Und der Wolf wird schnell mal zum Problemwolf erklärt", ärgert sich Wolfsbetreuer Hennings. Der Norderstedter zielt auf Schlagzeilen aus der vorigen Woche ab, als ein Wolf in Brandenburg Rentiere in einem Gehege gerissen hatte - und in der Boulevardpresse zur blutrünstigen Bestie gemacht worden war. "In der Theorie ist das alles kein Problem", orakelt Hennings, "in der Praxis sieht es anders aus." Wer seine Nutztiere effektiv schützt, schützt damit auch den Wolf, weil er ihn aus dem Schussfeld seiner Gegner nimmt. Und effektiver Schutz fängt laut Hennings ("Es gibt überall genug Wildtiere, die der Wolf fressen kann") mit dem Aufbau von 90 Zentimeter hohen Elektrozäunen um Schafs- und Ziegenkoppeln an, bestenfalls gekrönt mit "Flatterband" (Breitbandlitze). "Der Wolf springt nicht über hohe Zäune, wohl aber versucht er, sich unter dem Zaun hindurch zu buddeln", weiß der Wolfsbetreuer. Die Schutzzäune müssten ergo gut im Boden verankert sein. Maximale Sicherheit bietet seinen Schafen und Ziegen, wer gut ausgebildete Herdenschutzhunde geeigneter Rassen einsetzt.

Im Freiesstat Sachsen, wo es frei lebende Wölfe gibt, gewährt die öffentliche Hand den Besitzern von Nutztieren, die Schäden durch Wölfe erleiden, finanzielle Hilfe. Solches ist auch in Schleswig-Holstein vorgesehen.

Die Kadaver der Rentiere, die der Wolf in Brandenburg gerissen hatte, sind übrigens inzwischen im Wildpark Eekholt gelandet. Wenn dort demnächst die Schulungen neuer Wolfsexperten beginnen, werden die toten Tiere dazu dienen, Bisspuren von Wölfen zu demonstrieren.