Gasflaschen explodieren auf dem Stadtfest “Spektakulum“. 1200 Rettungskräfte sind im Einsatz. Es gibt knapp 400 Verletzte.

Norderstedt. Sonnabend, 22. August, 20.45 Uhr. Immer noch fast 30 Grad und Besucherrekord beim Stadtfest "Spektakulum". 25.000 amüsieren sich mit und ohne Alkohol. Schulter an Schulter, Rücken an Bauch drängt sich das Partyvolk auf dem Rathausplatz, feiert mit "Lotto King Karl und den Barmbek Dream Boys", die auf der Bühne seit gut einer Stunde die Stimmung ankurbeln.

Plötzlich gibt es einen lauten Knall, ein Feuerball steigt in den Himmel, Menschen schreien, rennen davon. In der Rettungsleitstelle an der Stormarnstraße hört das Telefon nicht auf zu klingeln. Aufgeregte Anrufer, zum Teil alkoholisiert, berichten von dem Vorfall. Der Disponent in der Leitstelle hört im Hintergrund laute Hilfe- und Panikschreie und schickt die ersten Einsatzkräfte los. Kurz darauf meldet sich der Leiter des für das Stadtfest zuständigen Sanitätsdienstes. Er informiert die Leitstelle über eine Explosion auf dem Rathausmarkt, spricht von tumultartigen Zuständen, Menschen, die am Boden liegen, panischen Fluchtbewegungen in der Menschenmenge, die bis dahin "Lotto" gelauscht hat. Die Sanitäter vor Ort sind im Einsatz, bekommen die Lage aber nicht in den Griff. "Schicken sie alles raus, was sie an Rettungskräften und -mitteln haben", fordert der Sani-Chef den Disponenten auf.

Der alarmiert die vier Ortswehren, die mit 73 Einsatzkräften ausrücken, personell geschwächt, weil offenbar viele selbst das Stadtfest besuchen. Der Disponent benachrichtigt die Technische Einsatzleitung und den Führungsstab. Das ist das Szenario, das Norderstedts stellvertretender Gemeindewehrführer Niels Ole Jaap für die diesjährige Katastrophenschutzübung ausgearbeitet hat. Zwei Tage hat der Führungsstab in der Landesfeuerwehrschule in Harrislee für den Ernstfall trainiert. Im Führungsstab sitzen Mitarbeiter der Verwaltung, Vertreter von Polizei, Bundeswehr und Technischem Hilfswerk. Sie kooperieren mit der Technischen Einsatzleitung am Einsatzort.

"Als wir die Übung geplant haben, platzte die Katastrophe von der Love-Parade in Duisburg mitten hinein. Das hat uns gezeigt, dass solche Ereignisse jederzeit möglich sind, auch bei uns", sagt Jaap, der mit der Explosion mitten in einer Menschentraube auf dem Stadtfest einen Übungsfall konstruiert hat, der die Einsatzkräfte wie den Führungsstab, der die Hilfe koordiniert, extrem fordert.

Immer neue Schreckensmeldungen gehen in der Leitstelle ein. Die Notrufleitungen sind überlastet, alle vier Norderstedter Feuerwehren im Einsatz. Es gibt erste, unbestätigte Meldungen über Tote und Verletzte sowie zahlreiche Reanimationen auf dem gesamten Partygelände. Massenpanik macht sich breit, die Einsatzfahrzeuge kommen nicht durch, Festbesucher und Verletzte irren übers Gelände, weg vom Explosionsort.

Allmählich treffen die Mitglieder des Führungsstabes ein. "Normalerweise vergehen rund 30 Minuten, bis der Stab einsatzbereit ist", sagt Gemeindewehrführer Joachim Seyferth. Und sofort gerät das Gremium unter Druck: Jaap und seine Kollegen von der Übungsleitung drücken dem Führungsstab 46 Meldungen der Einsatzkräfte in die Hand. Nun gilt es, die Lage zu sondieren, Ordnung ins Chaos zu bringen. Und das konzentriert und ruhig. "Hektik schadet hier genauso wie ein Alleingang", sagt Seyferth.

Der Stab muss die Meldungen sichten, den Einsatzbereich strukturieren, An- und Abfahrtswege für die Rettungsfahrzeuge schaffen, Sammelstellen für die Verletzten einrichten, weitere Rettungskräfte alarmieren, den Abtransport der Toten organisieren, Beweise sichern, Partybesucher betreuen und die Angehörigen Minderjähriger finden, ein Bürgertelefon und eine Auskunftsstelle einrichten und die Medien informieren. 28 Minuten nach dem Unglück ruft der erste Journalist an. Der Sohn des Chefredakteurs war auf dem Konzert und hat seinem Vater am Handy geschildert, was passiert ist. Doch das Gespräch brach ab, das Mobilfunknetz ist überlastet.

Die Leitstelle der U-Bahn meldet, dass zahlreiche Partybesucher in den U-Bahnhof Norderstedt-Mitte drängen. Einige sind schon auf den Gleisen, der Verkehr wurde aus Sicherheitsgründen eingestellt.

Der Führungsstab bildet drei Einsatzabschnitte mit mehreren Sammelplätzen für Verletzte. Sie werden nach Schwere der Verletzung in Kategorien eingeteilt. Der Leitende Notarzt verhängt einen Transportstopp, bis der Führungsstab mit den Kliniken die jeweiligen Aufnahmekapazitäten geklärt hat. Immerhin stellt sich heraus, dass mehr als 350 Festbesucher durch die Explosion verletzt wurden, viele haben Verbrennungen. Nach einer Stunde steht auch die Ursache fest: Vier Propangasflaschen eines Catering-Standes haben die Explosion hervorgerufen.

Der Führungsstab sieht sich mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert: das Verbandmaterial ist aufgebraucht, der Diesel für die Generatoren geht zur Neige, die Medienvertreter werden ungeduldig und verlangen nach Information, die ersten Retter sind erschöpft, müssen ausgetauscht werden. Schließlich sind mehr als 1200 Rettungs- und Ordnungskräfte im Einsatz.

"Bei einem Unglücksfall dieser Dimension kann das Motto nur heißen: Think Big!", sagt Seyferth. Wichtig sei, "vor die Lage" zu kommen und den Meldungen nicht ständig hinterherzulaufen. "Ein Übungseffekt ist deutlich zu spüren, das regelmäßige Training zahlt sich aus", sagt Rathaussprecher Hauke Borchardt, im Führungsstab zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.