Eine Nissenhütte im Stadtmuseum macht die Zeit nach 1945 in den Ursprungsgemeinden lebendig

Norderstedt. Die Nissenhütte sieht gemütlich aus, wie sie da so nagelneu im ersten Stock des Norderstedter Stadtmuseums steht. Das feste, gewellte Stahldach wirkt, als könne es gut vor den Widrigkeiten des Wetters schützen. Die kleinen grünen Sprossenfenster haben den Charme skandinavischer Holzhäuschen. Innen geht es zwar eng zu, aber irgendwie gemütlich: Der kleine Bollerofen, das Tischchen, die beiden Betten. Es fehlt nichts für ein einfaches Leben - bis auf die Toilette und das fließende Wasser.

Man muss sie sich wegdenken aus dem Museum und hineindenken an den Rugenbarg in Garstedt im Januar 1945, um sich sämtliche Illusionen von Gemütlichkeit oder Lebensqualität in Bezug auf Nissenhütten zu rauben. Die vier Norderstedter Ursprungsgemeinden wurden in dieser Zeit von den Flüchtlingsströmen aus dem Osten überflutet. Schon 1943 hatten sich unzählige Menschen aus dem ausgebombten Hamburg in das vom Krieg relativ verschont gebliebene Schleswig-Holstein gerettet. 1939 lebten in Harksheide, Garstedt, Glashütte und Friedrichsgabe vielleicht 10 000 Menschen. Bis 1950 war diese Zahl auf mehr als 20 000 Einwohner angeschwollen.

Die Menschen finden Zuflucht in den Wohnungen und Häusern der Dorfbewohner. Und wer hier nicht unterkommt, zieht in die Lager auf dem Lindenhof in Harksheide. Oder in einer der etwa 40 Quadratmeter großen Nissenhütten in Garstedt. Obwohl die Assoziation zutreffend ist, leitet sich der Name "Nissenhütte" nicht von den Eiern der Kopfläuse ab. Vielmehr hat der kanadische Ingenieur und Offizier Peter Norman Nissen die sogenannte "Nissen Hut" im Auftrag der britischen Regierung 1916 entwickelt.

Der Teiler in den engen Hütten war nicht etwa: Eine Familie, eine Nissenhütte. In der Regel lebten gleich mehrere Familien in einer Hütte. Privatsphäre versuchten die Parteien, mehr schlecht als recht zu erreichen, indem sie Decken als Raumteiler aufhängten. Das Wellblech der Nissenhütte schützte zwar vor Regen und Wind. Aber die Hitze im Sommer und die Eiseskälte im Winter leitete es ungemindert ins Innere. Wer keine zusätzlichen Fenster in die Außenhülle der Hütte schnitt, ging im Sommer ein. Und im Winter wurden die Nissenhütten zu Tropfsteinhütten, weil sich das Kondenswasser an der Decke zu Eiszapfen ausformte.

Das Flüchtlings-Leben in Garstedt oder Harksheide war elend. Viele Menschen waren krank und litten unter der qualvollen Enge der Lager und den schlechten hygienischen Verhältnissen. In der Nissenhütte wurde gekocht, gegessen, die Wäsche wurde gewaschen und getrocknet, es wurde gelernt, der Tabak zum Trocknen aufgehängt, die Heimarbeit erledigt, Kartoffeln, Kohle, Holz oder Torf gelagert. Manche hielten sich obern drein Hühner unter oder sogar im Bett. Und zwischen all dem stritten und liebten die Menschen sich.

Bis in die 50er-Jahre hinein lebten die Menschen am Rugenbarg in den Nissenhütten. Erst dann begann langsam der Wiederaufbau Deutschlands. Es gab wieder genügend Arbeitsplätze sorgte, die es den Flüchtlingen ermöglichten, in anderen deutschen Bundesländern Fuß zu fassen und das überfüllte Hamburger Randgebiet zu verlassen. Der Wohnungsbau zog an, unterstützt durch die Eigenleistungen der Flüchtlinge. Als eine der ersten Siedlungen auf dem heutigen Norderstedter Gebiet entstanden 1949 die Siedlungshäuser entlang des Langenharmer Weges. Sie wurden aus den Mitteln des Marshall-Planes finanziert. Im selben Jahr baute die "Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft Stiftung Adlershorst Am wilden Moor, der heutigen Falkenbergstraße, eine Reihe von Siedlungshäusern mit Ställen für Vieh und großem Garten für den Anbau von Gemüse.

An die schlimme Flüchtlingszeit erinnern heute in Norderstedt vor allem Straßennamen, die nach den Orten und Regionen benannt wurden, aus denen die Flüchtlinge, Ausgebombten und Vertriebenen stammten. 1960 schließlich wurde neben dem Gemeindezentrum der Falkenbergkirche ein Ehrenmal vom damaligen Innenminister Helmut Lemke enthüllt. Der Landesverband der vertriebenen Deutschen, Ortsgruppe Harksheide, hatte den Bildhauer Carl Schümann gebeten, eine Flüchtlingsfamilie in Stein zu hauen. Schümanns Figuren wirken leidgeprüft und verzweifelt, das etwas zurück bleibende Kind versinnbildlicht die verlorene Generation der jungen Vertriebenen. Aber trotz ihres Schicksals ist der Blick strikt nach vorn gerichtet.