Ein drastischer Überfall heizt die Diskussion um die Sicherheit am U-Bahnhof Norderstedt-Mitte wieder an

Norderstedt. Warum diese Brutalität? Anna W., 78, fragt sich das seit dem 23. Oktober jeden Tag. "Er hätte ja nur fragen müssen, ich hätte ihm mein Geld gegeben", sagt die Henstedt-Ulzburgerin. Und ihr Freund Paul Z., 80, sagt: "Ich bin ein alter Mann, habe Parkinson. Ich hätte mich doch nicht gewehrt." Doch die beiden unbekannten Täter, die den beiden Senioren in jener Sonnabendnacht hinter dem Norderstedter Rathaus auflauerten, stellten keine Fragen. Sie schlugen die beiden Senioren krankenhausreif. Und entkamen mit 20 Euro aus dem Portemonnaie von Anna W.

Die aus Sicht vieler Bürger mangelhafte Sicherheit rund um den U- und Bus-Bahnhof Norderstedt-Mitte wurde im Sommer heftig diskutiert in der Stadt. Die Verwaltung beauftragte den privaten Sicherheitsdienst Pütz Security aus Kaltenkirchen, bis Ende Oktober zur Probe Streife zu laufen. In der Politik schlugen die Wogen hoch: Die einen sahen in den schwarzen Sheriffs die Lösung für die Sicherheit der Bürger am Bahnhof. Die anderen geißelten die Streife als unmöglichen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger und mahnten an, die Stadt zahle für eine Leistung, die die Polizei zu erbringen habe und weiche damit das Gewaltmonopol des Staates auf.

Die Realität sieht so aus: Während Paul Z. und Anna W. hinter dem Norderstedter Rathaus zu Opfern wurden, ging die Pütz-Streife ihres Weges, und die Polizeiwache Norderstedt Mitte war nur einen Steinwurf entfernt.

Anna W. und Paul Z. sind aktive Senioren. Sie lieben die Kultur und die Musik, fahren oft nach Hamburg. Am 23. Oktober stellten sie ihr Auto auf dem Park-&-Ride-Parkplatz hinter dem Norderstedter Rathaus ab und fuhren mit der U-Bahn zum Gänsemarkt. Im Engelsaal am Valentinskamp wurde das Musical "Ganz Paris träumt von der Liebe" gegeben. "Das war schnell vorbei. Schon gegen 21.30 Uhr machten wir uns auf den Heimweg", sagt Anna W. Mit der AKN über den Bahnhof Eidelstedt zu fahren, wagten die beiden nicht. "Da hatten wir schon einmal die Bahn nach Norderstedt verpasst. Das war so Angst einflößend dort - fürchterlich. Wir nahmen ein Taxi bis Henstedt-Ulzburg, für über 50 Euro", sagt Paul Z.

In der U-Bahn fuhren sie zusammen mit einer Gruppe von Norderstedtern, die gemeinsam mit ihnen in Norderstedt-Mitte den Zug verließ. "Ich kann nicht mehr so schnell laufen. Deswegen waren die gleich weg und wir allein auf dem Bahnsteig", sagt Paul Z.

Draußen gießt es in Strömen. Paul Z. schickt seine Lebensgefährtin mit dem Autoschlüssel schon mal in Richtung Parkplatz. Nur weil er mehr Zeit braucht, soll sie nicht nass werden. Auf der Brücke über den Gleisen in Richtung des Hintereingangs des Norderstedter Rathauses nimmt Paul Z. zwei Jugendliche war. "Die hatten die Kapuzen tief im Gesicht. Heute glaube ich: Das waren die beiden. Und sie haben von der Brücke aus ihre Opfer ausgespäht", sagt Paul Z.

Dann ging alles ganz schnell. "Ich höre Anna fürchterlich schreien. Dann weiß ich nur noch, dass ich auf dem Boden liege und am Kopf stark blute", sagt Paul Z. Eine Faust muss Paul Z. mitten auf dem rechten Auge getroffen haben. Das Nasenbein ist gebrochen, das Jochbein angebrochen, das Glas seiner Brille hat in die Haut geschnitten, eine Platzwunde klafft auf der Wange. Anna W. sagt, sie sei nur noch einen Schritt vom Auto entfernt gewesen. "Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, ich fliege", sagt Anna W. Mit voller Wucht muss einer der Täter die 78-Jährige ohne Vorwarnung umgestoßen haben. "Ich fiel mit der linken Schulter auf eine Bordsteinkante", sagt Anna W. Der behandelnde Arzt im Heidberg-Krankenhaus wird später einen komplizierten zweifachen Oberarmbruch diagnostizieren. Anna W. liegt im Dreck und krallt sich an ihrer korallenroten Handtasche fest, an der der Täter nun mit aller Gewalt herumreißt. "Ich konnte das natürlich nicht mehr lange aushalten, bei der Verletzung", sagt Anna W. In der Dunkelheit kann sie den Mann, der über ihr steht nur schemenhaft erkennen. "Etwas stämmig, vielleicht 1,70 Meter groß, ein helles Gesicht", sagt sie. Schließlich hat der Täter die Tasche, sein Komplize - etwa gleich groß, aber schmächtiger - tritt hinzu, die beiden kramen in der Tasche, werfen den Haustürschlüssel und eine Trinkflasche auf den Boden und laufen schließlich so schnell sie können über den Parkplatz davon. Die beiden Senioren schleppen sich in den überdachten Hintereingang der Rathauses und alarmieren die Polizei.

Über zwei Wochen nach dem Überfall sitzen Anna W. und Paul Z. in ihrem Reihenhaus in Henstedt-Ulzburg. Anna W. kann kaum schlafen. Kurz nach dem Überfall litt sie unter Durchfall, Erbrechen und zitterte immerzu. Paul Z.'s physische Wunden sind verheilt. Aber wenn er Jugendliche auf der Straße sieht, wird ihm mulmig. Anna W. muss für die Weiterbehandlung wieder in die Klinik. "Ich werde den Arm wohl nie mehr nach oben strecken können", sagt sie. Die Stadt Bargteheide schrieb kürzlich, dass das Portemonnaie von Anna W. abgegeben worden sei. Die Papiere seien noch drin.

Anna W. hat bislang vergeblich versucht, die Polizei zu informieren. "Ich wurde nicht durchgestellt, die ermittelnde Beamtin sei im Urlaub, hieß es", sagt Anna W. Norderstedts Kripo-Chef Hans-Jürgen Mader bestätigt, dass die Kollegin im Urlaub sei. "Wir ermitteln, haben aber keine neuen Anhaltspunkte", sagt Mader. Der Fund des Portemonnaies ist für ihn eine Neuigkeit.

Paul Z. und Anna W. sollen jetzt eine Paartherapie machen, um ihre Angst zu bekämpfen. Sie fürchten, dass es damit nicht getan sein wird. Denn der Schock sitzt sehr tief.