Die umfassende Strukturreform der Truppe ist Gesprächsthema Nummer 1 bei den Soldaten. Der Bundeswehrverband spricht von Zukunftssorgen

Die Veränderungen in der Bundeswehr sorgen für Unruhe in den Kasernen. Viele Soldaten sind verunsichert. Redakteur Wolfgang Klietz sprach darüber mit Oberstabsfeldwebel a. D. Hans-Dieter Petersen, dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes in Norddeutschland. Er vertritt 56 000 Mitglieder.

Norderstedter Zeitung:

Der Verteidigungsminister hat binnen weniger Monate die Wehrpflicht abgeschafft, ganze Waffensysteme werden kurzfristig eingemottet. Wie sieht die Bundeswehr in wenigen Jahren aus?

Hans-Dieter Petersen:

Wenn die Vorstellungen des Bundesverteidigungsministers realisiert werden können, vor allem vor dem Hintergrund des dafür erforderlichen Finanzrahmens, haben wir eine kleinere, effektive und zukunftsfähige Struktur von unten nach oben geplant - ohne die Mängel der Vergangenheit. Eines ist klar: Ohne strukturelle Änderung fahren wir das System Bundeswehr an die Wand.

Norderstedter Zeitung:

Macht der Minister zu viel Tempo?

Petersen:

Ganz im Gegenteil. Wir leiden jetzt noch unter den Fehlern der vorherigen Strukturentscheidungen. Die Truppe ist seit Jahren permanent unterfinanziert, mit "hohlen Strukturen", die ineffizient und unwirtschaftlich sind und die zu sehr den Geist des Kalten Krieges atmen. Seit Jahren leben unsere Soldaten vom Prinzip Hoffnung. Je schneller dies geändert wird, umso besser.

Norderstedter Zeitung:

Wie wirken sich die Strukturveränderungen und ihr Tempo auf die Stimmung und die Motivation der Soldaten aus?

Petersen:

Die Stimmungslage ist zum Teil als chaotisch und bedrohlich zu charakterisieren. Immerhin stehen wir am Anfang des größten Veränderungsprozesses in der Geschichte der Bundeswehr. Die politischen Entscheidungen stehen noch aus. Viele Modelle werden diskutiert. Zukunftssorgen, Sorgen um den Standort und persönliche Ängste um die eigene Zukunft sind verständlich. Deshalb noch einmal: Der grundsätzliche Ansatz des Ministers ist zu begrüßen. Aber Soldaten haben zu oft erlebt, dass am Ende des Tages die Bundesregierung aus "Sparzwängen" die zwingend notwendigen Maßnahmen - vor allem soziale Begleitmaßnahmen oder Steigerung der Attraktivität - nicht mitgetragen hat.

Norderstedter Zeitung:

Können die Soldaten ihre eigene Zukunft planen?

Petersen:

Genau das ist der Punkt. Wenn die Strukturentscheidungen stehen, wenn die daraus folgende Standortentscheidungen stehen, vor allem aber den betroffenen Menschen in den Streitkräften dann auch dienstrechtliche Instrumente - ideal wäre ein Reformbegleitgesetz - angeboten werden, ist hoffentlich die Perspektivlosigkeit beendet und Planungssicherheit gegeben.

Norderstedter Zeitung:

Was steht bei der Umstrukturierung im Vordergrund: die dramatische Haushaltslage oder die Ausrichtung der Truppe auf ihre künftigen Aufgaben?

Petersen:

Die Haushaltslage ist natürlich ein Thema. Gleichwohl soll - und ich sage - es darf keinesfalls eine Bundeswehr nach Kassenlage mehr geben. Deshalb steht im Vordergrund eine effektive, schlanke, effiziente und zukunftsfähige Struktur mit erstklassigem Personal und Material. Diese Absicht muss aber umgesetzt werden. Das ist das Parlament den Soldaten mit hochgefährlichen Einsätzen und zunehmenden Opferzahlen schuldig.

Norderstedter Zeitung:

Was könnte die Neu-Organisation für den Standort Boostedt bedeuten, der in den vergangenen Jahren mit Millionenaufwand modernisiert wurde?

Petersen:

Natürlich werden die politischen und strukturellen Entscheidungen Folgen für die derzeit etwa 392 Standorte der Bundeswehr haben. Dazu muss man aber zuvor wissen: wie ist der personelle Umfang, die Ausplanung der Organisationsbereiche und der entsprechenden Systeme? Dies wird auch Folgen für Standorte haben, die zwar erhalten bleiben, aber sich künftig anders neu organisieren müssen. Insofern ist eine Prognose für Boostedt derzeit seriös nicht zu machen.