Wenn Parzellen an neue Käufer übergeben werden, wird der Kaufpreis von einer Vereinskommission geschätzt. Streit ist dabei programmiert.

Norderstedt. Helga Schulze, 73, ringt um Fassung. So groß ist die Wut auf den 1. Vorsitzenden des Kleingärtnervereins Garstedt, Nico Silberbach. Die Rentnerin steht in ihrer Parzelle auf der Koppel Am Spann, zwischen Laube, Riesen-Gartenzwerg und Kunstteich, und hält das Schreiben des Anwaltes des Vereinsvorstandes in Händen. Sie soll ihren Garten verlassen, sonst folgt die Zwangsräumung, so steht es da geschrieben. Das juristische Ende eines Kleinkriegs im Kleingarten.

Das Paradoxe: Helga Schulze würde den Garten lieber gestern als heute loswerden. "Weil ich in meinem Alter auch nicht mehr kann, die Pflege und alles", sagt die 73-Jährige. Aber Streit mit dem Vereinsvorsitzenden gab es, weil sie das Fleckchen Grün in der Einflugschneise des Flughafens Hamburg nicht zu den Konditionen verlassen möchte, die der Verein ihr diktiert. Helga Schulze sagt, sie habe einen Käufer für den Garten gehabt. "3500 Euro wollte der mir geben. Wir waren handelseinig." Doch dann habe der Vereinsvorstand sich eingeschaltet, den Garten abgewertet und ihr den Käufer vergrault. Jetzt verlange der Vorstand Silberbach, dass sie die Parzelle für gerade mal 1700 Euro räume. "So geht man nicht mit Menschen um", sagt Helga Schulze.

Ein Hauptfeldwebel sorgt für Gesetzestreue auf den Parzellen

Konflikte, wie sie derzeit in den Kleingärten der Region häufig vorkommen. Ein Generationenwechsel ist im Gang in den Lauben. Alte räumen die Parzellen, junge Familien aus der Stadt rücken nach. Damit das Grün aber von einem Kleingärtner auf den anderen übergehen kann, muss der Wert der Parzelle geschätzt werden. Und zwar durch eine Schätzkommission des Vereins und auf Basis der gesetzlich vorgegebenen "Richtlinien zur Ermittlung einer angemessenen Entschädigung beim Pächterwechsel in Kleingärten". Der Kleingärtnerverein ist kein Pflanzen-, aber unbestritten ein Paragrafen-Dschungel.

Wenn es ums Geld und die Regeln geht, geraten die Kleingärtner aneinander. "Ich weiß, dass ich der Böse bin in dieser Geschichte", sagt Nico Silberbach, der Vorsitzende der Kleingärtner in Garstedt. "Aber ich habe die Regeln nicht gemacht. Ich sorge nur dafür, dass sie eingehalten werden." Silberbach hat das Bundeskleingartengesetz ausführlich studiert, in den fünf Jahren die er nun den Vorsitz in Garstedt macht und verantwortlich ist für die 214 Gärten an fünf Standorten, den sogenannten Koppeln. Der Hauptfeldwebel der Feldjäger, der Polizei der Bundeswehr, sagt von sich, dass er den Job nicht gemacht hätte, wenn er den Rattenschwanz an Konsequenzen geahnt hätte. "Aber ich bin einer, der durchzieht, was er einmal angefangen hat", sagt Silberbach. Und das sei die konsequente Umsetzung der Kleingarten-Gesetze auf jeder Parzelle, die vor dem Pächterwechsel stehe. Damit der Neue bei null anfangen kann", sagt Silberbach. Null meint den gesetzlichen Idealzustand. Also keine Thuja-Hecken (gefährliche Pilzträger), Eternit-Dächer (Asbest), Laubenanbauten (unberechtigte Wohnnutzung) oder großzügige Dächer über dem Freisitz (dürfen höchstens fliegend montiert werden). "Über Jahre wurde das alles geduldet. Das muss ein Ende haben. Wir als Verein, ich als Vorstand - wir müssen uns schützen", sagt Silberbach.

Der Vorsitzende will den Verein vor Entsorgungskosten schützen

Gegen den schlimmsten anzunehmenden Fall, der Entwidmung des Kleingartengeländes durch die Stadt Norderstedt. Silberbach: "Städte und Kommunen haben kaum noch Geld. Wer sagt uns, dass die nicht irgendwann die Kleingärten als lukrative Bauflächen entdecken?" Dass also ein Prüfer der Stadt komme und bei der Begehung der Gärten eine Liste der Verstöße gegen das Kleingartengesetz erstelle und mit Kündigung drohe. "Wenn eine Koppel voller Mängel ist, fallen alle fünf", prophezeit Silberbach für seinen Verein. Kleingärtner, die sich immer satzungskonform verhalten hätten, könnten klagen. "Eine Million Euro an Forderungen stehen schnell im Raum. Und wenn die Versicherung mir Vorsatz nachweist, weil ich all die Jahre nichts unternommen habe, dann hafte ich als Vorstand und kann meinen Kindern sieben Jahre lang nichts zu Weihnachten schenken", sagt Silberbach.

Deswegen hole er bei der Übergabe schon mal die "Brechstange" raus. So wie bei Helga Schulze, die ihren Garten zwar auf Basis einer Vereins-Schätzung verkaufen wollte, aber ohne zunächst die Bedingung zu erfüllen, einige Verstöße im Garten abzustellen, sagt Silberbach. "Das habe er dem potenziellen Käufer der Parzelle natürlich mitgeteilt." Am Ende bleibe oft der Verein auf den Kosten für die Mängelbeseitigung sitzen. Silberbach: "Allein die Entsorgung eines Eternit-Daches kostet zwischen 300 und 500 Euro."

Die Stadt lässt Kleingärtner machen und hat für Kontrollen kaum Zeit

Bleibt die Frage, ob die Angst des Kleingärtners vor der Kontrolle und Entwidmung des Geländes wirklich begründet ist. "Es liegt überhaupt nicht in unserem Interesse, Kleingärten aufzulösen. Ganz im Gegenteil", sagt Hauke Borchardt, Sprecher der Stadt Norderstedt. Die Stadt mische sich so gut wie nie in die Belange der Kleingärtner ein. "Für Kontrollgänge haben wir gar keine Zeit", sagt Borchardt. Falls sich Kleingärtner etwas feinere Lauben mit fließendem Wasser bauen würden, dann würde die Stadt großzügig darüber hinwegsehen. "Dauerwohnnutzung sehen wir aber kritisch", sagt Borchardt. Nur wenn sich die Kleingärtner gegenseitig anschwärzen, entstehe für die Stadt der "Kontrollzwang". Borchardt: "Aber von uns aus marschiert hier keiner los."

Dann hätte Helga Schulze ihren Garten also getrost für 3500 Euro an den Interessenten verkaufen können - inklusive der Verstöße gegen das Bundeskleingartengesetz. Die Stadt hätte zumindest nichts dagegen gehabt.